Little Pearl. Madlen Schaffhauser
»Heute hast du ganz schön Gas gegeben. Wolltest mich wohl für meinen vorherigen Sieg bestrafen.« Mark dehnt neben mir seine Beine, indem er sich mit den Händen an der Wand abstützt, während ein Bein leicht angewinkelt und das andere gestreckt ist.
»Es war so wie immer«, meine ich achselzuckend, verschränke die Hände, halte sie über meinen Kopf und strecke die Arme, soweit ich kann. Vermutlich habe ich ein ganz wenig mehr von uns abverlangt als normalerweise. Ich wollte meine Gedanken an Avery vertreiben. Mittlerweile glaube ich aber, dass noch so ein hartes Training die süße Brünette nicht aus meinem Kopf verdrängen kann.
»Ja klar.« Ein wissendes Grinsen taucht auf Marks Gesicht auf.
»Kümmere du dich um deinen eigenen Kram.« Ich schnappe mir mein Handtuch, um mir den Schweiß von der Stirn und im Nacken abzuwischen.
Er lacht bloß. »Dienstag? Gleiche Zeit?«, fragt er mich, ehe wir ins Innere des Studios gehen.
»Wenn du dann keinen Muskelkater mehr hast«, ziehe ich in mit einer gehobenen Augenbraue auf.
Er legt einen Finger unter sein linkes Auge und zieht das Unterlid nach unten. »Von wegen. Bis dann.«
»Bis dann.«
Wir boxen uns die Fäuste ab. Er verschwindet unter die Dusche, ich schaue mal nach, was vorne läuft.
Weit komme ich nicht, schon hält mich Logan auf. Er ist ein richtiger Surfertyp. Nicht nur durch sein Aussehen - gewellte blonde Haare, blaue Augen, braungebrannte Haut. Er verbringt jede freie Minute mit Surfen. Auch geht er an viele Wettkämpfe. Mal schauen, wann er den Job hier an den Nagel hängt. Ich warte eigentlich jeden Tag darauf.
»Lucy war ziemlich angepisst, weil du nicht das Training mit ihr zu Ende geführt hast.«
Ich atme genervt aus. »Ich habe ihr doch gesagt, dass wir die Stunde nachholen würden.«
»Was sie nicht davon abhielt, zu meckern, wie eine verf-«
Mit einem strengen Blick warne ich ihn, seine Klappe zu halten. »Sie ist unsere Kundin.«
»Die auf Extrabehandlungen besteht.«
»Sie bezahlt dafür.«
»Trotzdem hat sie kein Recht, mich zu beschimpfen oder herumzukommandieren.«
»Natürlich nicht, ich rede mit ihr.«
»Mach das.« Logan sieht zur Eingangstür, wo ich vorhin Avery verabschiedet habe und wo jetzt gerade Nat – ein großer Afroamerikaner - hereinkommt. Abgesehen von meinem Bruder Kyle, war Nat mein erster Kunde. Er kommt mehrmals wöchentlich in den Kraftraum, um seine sonst schon gigantischen Muskeln weiter aufzubauen.
»Was war denn überhaupt los? Wer war die junge Frau?», will Logan wissen, nachdem wir Nat mit erhobener Hand begrüßt haben.
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung, ganz ehrlich. Sie war schon angespannt und bleich, als sie das Studio betreten hat. Aber dann muss irgendwas passiert sein. Sie ist fast zusammengeklappt, und ich habe sie ins Büro gebracht, damit sie sich beruhigen konnte. Sie wollte mir nicht sagen, was los war. Na ja, auch egal.«
Logan boxt mich mit dem Ellbogen in den Arm. »Hat dein Charme wohl einmal nicht ausgereicht?«, feixt er.
»Ha, ha.« Ich boxe zurück. »Sieh zu, dass du verschwindest.« Nie im Leben würde ich zugeben, dass es mich wurmt, dass ich kein Wort aus Avery herausbekommen habe. Denn ich hätte sie gerne besser kennengelernt. Nicht nur, weil ich sie hübsch finde, ihre geheimnisvolle und verletzliche Art lässt mich einfach nicht mehr los.
»Jawoll, Boss. Wir sehen uns morgen.« Logan macht kehrt und geht in die Umkleide, um seine Sachen zu holen.
Währenddessen setze ich meinen Weg durchs Studio fort. Sophia kommt soeben aus ihrem Aerobic-Raum, als ich durch die Reihe mit Laufbändern gehe, um denjenigen Hallo zu sagen, die ich noch nicht gesehen habe. Etwa fünf Frauen mit roten Köpfen folgen Sophia. Und mindestens so viele verschwinden in Richtung Dusche.
Nat bringt an der Langhantel Gewichtscheiben an.
»Brauchst du Hilfe?«, frage ich ihn, sobald ich neben ihm stehe. Ich sehe es nicht gern, wenn jemand allein auf der Hantelbank Gewichte hochstemmt. Ich habe einmal erlebt, dass ein Kerl es mit dem Stemmen übertrieben und dabei beinahe mit dem Leben bezahlt hat, weil ihm die Hantelstange fast die Luft abgedrückt hatte.
»Wenn du Zeit hast.« Nat legt sich mit dem Rücken auf die Drückbank, stellt die Füße fest auf den Boden und positioniert seine Hände an der Stange.
Anfangs zähle ich noch, wie viele Male er sie hochhebt. Doch dann schweifen meine Gedanken, wie schon oft an diesem Nachmittag, zu einer rätselhaften Braunhaarigen.
Als Nat sich an ein anderes Gerät setzt, gehe ich zur Bar, um etwas zu trinken und um zu sehen, ob Sophia meine Hilfe braucht. Sophias Aerobic-Mädels sitzen noch immer da und plaudern aufgeregt. Die eine oder andere sehe ich nicht zum ersten Mal. Es ist auch nicht das erste Mal, bei dem sie mit mir flirten wollen. Normalerweise steige ich sofort darauf ein. Aber heute ... heute regt sich nichts, rein gar nichts, als mir die Ladies ihre Mädels wie auf dem Präsentierteller servieren.
Was hat Avery nur an sich, dass ich nicht mal mehr auf die Oberweite meiner Kundinnen starren will?
»Hallo Klara, Faith«, begrüße ich diejenigen, die ich mit Namen kenne, den anderen lächle ich höflich zu, und wende mich dann an Jada, eine alte Schulfreundin. »Wo hast du Tom gelassen?« Sie und Tom haben sich hier kennengelernt und sind jetzt seit gut einem Jahr ein Paar.
Sie dreht ihren Fruchtcocktail in den Händen. »Er und ein paar Kollegen sind nach Las Vegas gereist. Sein bester Freund feiert Junggesellenabschied.«
»Cool.«
»Cool?« Jana verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. »Mal sehen, mit was für einem Kater Tom nach Hause kommt.«
»Die wissen nie, wann es genug ist«, meldet sich Faith zu Wort.
Ich nutze den Moment und stehle mich davon. Für dieses Thema bin ich ganz bestimmt die falsche Person. Ich hole mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Danach frage ich Sophia, ob sie Hilfe braucht. Dabei lehne ich mich seitwärts an die Theke und lege einen Arm auf die Bar.
Sophia wischt gerade ihre Hände an einem Tuch ab. »Eigentlich habe ich alles im Griff.«
Plötzlich liegt eine Hand auf meinem Arm. Wie vom Blitz getroffen, zucke ich zusammen und mache einen Schritt rückwärts.
»Was ist denn mit deinem Auge passiert?«, fragt mich Klara mitfühlend.
Ich hatte recht, das Veilchen beeindruckt die Frauen, nur anscheinend diejenige nicht, dich ich beeindrucken will.
»Ach das, das war bloß ein kleiner Unfall«, sage ich mit einem geheuchelten Lächeln, achte dabei nicht darauf, wie Klara ihre roten Haare um den Finger zwirbelt und mich anstiert, als würde sie mir am liebsten die Kleider vom Leib reißen, und wende mich an Sophia. »Dann lasse ich dich mal weitermachen. Ich bin im Büro, wenn was ist.«
Sophia sieht mich irritiert an, als ich nicht auf Klaras Flirt eingehe. Ich, der normalerweise keiner Anmache widerstehen kann, verkriecht sich in sein Büro. Das muss jedem, der mich besser kennt, seltsam erscheinen.
»Okay«, meint sie gedehnt, ehe sie sich wieder um die Kundschaft kümmert.
Kapitel 5
Evan
»Wo ist Cee?«
»Keine Ahnung«, antworte ich Kyle, der mich, kaum ist er in meinen Chevy gestiegen, nach unserer Schwester fragt. »Sie meinte, wir würden uns da treffen.«
Es ist kaum nach sechs, und ich fühle mich hundemüde. Außerdem haben wir eine fast dreistündige Fahrt vor uns. Ich seufze. Was man nicht alles für seine Familie macht. Wenigstens hatte ich ein großes, eiweißhaltiges Frühstück – dank Cécile, die gestern