Kettenwerk. Georgian J. Peters

Kettenwerk - Georgian J. Peters


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Teppich und zwar so, dass keiner dem anderen in die Karten sehen konnte.

      „Italien?“

      „Falsch … weiter.“

      „Nee, nimm ’ne andere Karte“, erwiderte Georgie, während er sich erhob und die Deckenbeleuchtung einschaltete. Drei Strahler, die sich beliebig in alle Richtungen drehen ließen.

      Im Zimmer war es sofort heller als im Behandlungsraum beim Zahnarzt.

      „Hey, Mann, ich hab’ so das Gefühl, dass du schon alle Karten auswendig kennst.“

      „Gar nich’ wahr!“

      „Doch, du weißt immer gleich die richtige Antwort“, ein prüfender Blick lag auf Tommi, „du denkst, ich merk’ das nich’!“ Tatsächlich aber hatte er keine Lust mehr, weiterzuspielen, weil ihn Rennautos eigentlich überhaupt nicht interessierten.

      Er ging hinüber zum Schallplattenregal und zog zwei Langspielplatten heraus. Seine Schwester hatte sie gekauft: The Butterfield Blues Band und The Doors.

      „Hee, das musst du hören … Super, die Scheiben.“ Er legte The Doors auf den Plattenteller, riss den Verstärker auf und gab Tommi die Plattenhülle. Dann trat er ans Fenster und sah hinaus. Aber sofort sprang er zur Seite, um hinter dem Vorhang in Deckung zu gehen. Er signalisierte Tommi, sitzen zu bleiben. Durch einen Spalt der Gardine spähte er hinunter auf den Gehweg.

      Deutlich sah er Holmi und Ulli, wie sie sich, heftig gestikulierend, unterhielten. Irgendwas hatten die beiden vor, da war sich Georgie ganz sicher.

      Mit einer schnellen Drehung vom Fenster weg sah er zu Tommi, der ihn mit großen Augen anstarrte, in der Hand die Plattenhülle und noch immer im Schneidersitz.

      Und die Doors dröhnten ihr „The Crystal Ship“ aus den Lautsprechern.

      „Psst … komm’ mit“, drückte Georgie aus seinem Mundwinkel, wobei er den Zeigefinger vor den Mund hielt.

      „Was … was ist denn?“

      Bevor Georgie das Zimmer verließ, drehte er die Musik laut auf, während sich Tommi schwerfällig erhob. Ohne Widerrede folgte er, obwohl er null durchblickte.

      Er rannte Georgie hinterher, der im Badezimmer verschwand, das Licht ausgeschaltet ließ und unterhalb des Fensters in Stellung ging. Tommi machte es ihm nach und wollte seine Frage wiederholen … „Psst!“, überging ihn Georgie, erhob sich und spähte durch das grobmaschige Geflecht der Gardine. Jetzt war da nur noch Ulli und der spähte zum Haus herüber.

      Holmi war verschwunden.

      Doch sein geschärfter Blick verriet ihm, dass Ullis Augen nicht an dem hellerleuchteten Fenster hingen, sondern eher geradeaus an der Haustür oder rechts daneben.

      Er hatte genug gesehen.

      „Los … In den Keller! Mach’ zu … Wir müssen uns beeilen!“, mit einem Tritt in Tommis gepolsterte Rippengegend verließ er das Badezimmer und verschwand durch die Tür, noch ehe Tommi die Situation einigermaßen erfasst hatte.

      „Hee, halt’ mal … Was geht denn eigentlich ab, verdammt?“

      Irgendwo nahe der Haustür muss Holmi stecken, kombinierte Georgie und konnte ein breites Grinsen, gemessen an dem köstlichen Spaß, der sich ihm gerade auftat, nicht verbergen. Viel zu dumpf dröhnte die Musik von oben herunter, sodass Holmi nicht bemerkte, wie Georgie hinter ihm die kleine Kellerluke öffnete. Holmi hielt seine Superwaffe schussbereit und neben ihm an der Wand lehnte die Taschenlampe seines Vaters.

      Wie unvorsichtig Holmi doch immer ist!

      Die unausgereifte Arglist ließ Holmi die Kellerluke einfach übersehen und gerade, als er sich in eine noch günstigere Position bringen wollte, um Georgie besser treffen zu können, traf ihn von hinten ein luftraubender Schlag in die Seite.

      Der Schreck war so endgültig, dass er nicht einmal Schmerz verspürte. Er erstarrte auf der Stelle und für einen Moment schien auch sein Herz still zu stehen. Nicht den geringsten Laut brachte er hervor, obwohl sein Mund weit aufgerissen war.

      Zumindest ein Schmerzensschrei hätte kommen müssen, doch seine Stimmbänder entließen nicht mal ein hohles Krächzen.

      „Psst. Holmi … Ich bin’s … Keinen Mucks“, flüsterte Georgie. Holmi erkannte die Stimme sofort. „Los … Komm’ vorsichtig ’rein … Dann kriegt Ulli nichts mit.“

      Erschlagen ließ Holmi den Kopf sinken, als versuchte er, hinter sich zu sehen, schräg an sich vorbei. Dann erst drehte er sich zur Seite und stieß heftig den Atem aus.

      Georgies breites Grinsen schwoll in der Kelleröffnung an.

      „Mann, ich bin fast gestorben“, brachte Holmi heraus, „das ist dir aber wirklich gelungen … du Arsch.“

      „Du hast nich’ damit gerechnet, was?“, einladend trat Georgie einen Schritt zurück. „Los komm’ schon … kriech’ rein.“

      Jetzt ballte sich resignierte Empörung … Gerade wird mein eigener Plan vereitelt. Ein Sieg ist nicht mehr zu feiern, alles im Eimer! Und blamiert hab ich mich auch noch! Holmi schnaufte gepresst. Stattdessen sah er hinüber zum Gehweg, indem er ein paar Zweige beiseiteschob. Ulli hatte nichts mitbekommen. Eigentlich wäre es die freundschaftliche Pflicht gewesen, ihn zu warnen, doch Holmi raffte die Wasserspritze und die Taschenlampe zusammen und schob sich rückwärts in die Kellerluke.

      Wie ein Rüde, der zum Pinkeln das linke Bein hob, tastete er mit dem Fuß in die Öffnung. Gleichzeitig stützte er sich mit dem Ellenbogen ab, verlagerte das Gewicht auf die andere Seite, um das andere Bein nachzuziehen.

      Lautlos verschluckte ihn die schmale Kellerluke.

      Zwei Etagen höher entschied sich Tommi derweil für eine wohlüberlegte Verfolgung. Mit einem knappen Handgriff zog er die Schirmmütze nach rechts, bis sie, genauestens ausgerichtet, den Nacken bedeckte. Er stützte sich auf das Treppengeländer, um Ruhe in seine Atmung zu bringen, da er schnaubte wie ein Pferd. Na toll, Georgie ist also in den Keller … weil er draußen was gesehen hat … Kann er ja auch ruhig … Ist sein gutes Recht … Aber deshalb werde ich nicht unüberlegt hinterher rennen … Ich lass’ mir einfach ’n bisschen Zeit! Vorsichtig stieg er die Stufen zum Erdgeschoss hinab. Das brachte ihn nach rechts in die Küche und von dort in den Keller. Merkwürdigerweise war es überall im Haus dunkel. Allerdings wollte er sich gerade jetzt von dieser Tatsache nicht verunsichern lassen, nicht jetzt. Fest entschlossen tastete er sich weiter vor zur schmalen Kellertür.

      Die offen stand. Als er in den stockfinsteren Schlund hinuntersah, war er dermaßen angespannt, dass er das Gefühl hatte, seine Haut wäre eine Nummer zu klein. Mann, wie soll das bloß gehen? … Wie soll ich da nur heil runterkommen? Panik kündigte sich an, trieb Schweiß in seine Achselhöhlen und auch auf die Stirn. Sekundenschnell war seine Kehle trocken. Er spürte, wie sich wieder diese hässliche Atemnot ankündigte, die seinen Brustkorb zusammenschnüren wollte.

      Seine Knie drohten ihm weg zu knicken. Scheiße, verdammt! Wenn ich auf dieser Treppe stolper’ … diese Scheißtreppe … dann ist es doch aus mit mir! Bestimmt lauert Georgie da irgendwo … Hastig wischte er sich den Schweiß von der Stirn und auch von den Lippen. Er zog die Mütze noch fester auf den Kopf.

      Dunkelheit war für ihn der Alptraum, Dunkelheit ist unberechenbar. Immer stößt man sich irgendwo, haut sich die Knie oder Schienbeine auf und bekommt schlimme Beulen am Kopf.

      Er trat einen Schritt vor und noch einen, um zunächst die Schwelle der schmalen Kellertür zu bezwingen.

      Kein Laut drang aus der finsteren Tiefe herauf, was ihn schüttelte, ihm raue Gänsehaut über den Rücken toben ließ. Trotzdem schob er den Fuß weiter vor. Sein rechter Fuß erreichte die oberste Stufe, als er Geräusche hörte … unklare, hallende Stimmen und dumpfes Geraschel. Mit zittrigen Knien bezwang er die oberste Stufe und ergriff das Geländer wie ein Ertrinkender. Schweißperlen tropften von ihm herab und er kämpfte bereits mit der beginnenden Atemnot.

      Nein,


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