Kettenwerk. Georgian J. Peters

Kettenwerk - Georgian J. Peters


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er betreten zu Boden. Wie elektrisiert reagierte er auf den Körperkontakt und da war wieder dieses Gemisch von Faszination und Abneigung. Sein Geist geriet in einen dichten, grauen Nebel, der seinen Verstand zugleich zu lähmen begann.

      Schließlich fand sie den Schlüsselbund und öffnete die Tür, die nach innen aufschwang.

      Energisch zog sie ihn in den abgedunkelten Raum, stieß die Tür hinter sich zu und Georgie hörte, wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte.

      Ein verstohlener Blick verriet ihm, dass ihr die Nachmittagshitze doch arg zu schaffen machte. Sie schien unter der weißgesteiften Haube zu glühen. Ihr kantiges Gesicht wies eine stark rosa Färbung auf und sie schwitzte.

      „Da setzt du dich hin und rührst dich nicht!“, zerrte sie ihn hinüber zu dem klapprigen Bett, das linkerhand die Wand ausfüllte. Durch die schweren Vorhänge drang kaum Tageslicht in den kleinen Raum.

      Schwelende Hitze staute sich und es roch muffig, obwohl Georgie auch hier überall ihr süßliches Parfum einsog. Die Luft vor seinen Augen schien zu flimmern.

      Ein altmodischer Schreibtisch, auf dem eine schlichte Schreiblampe das spärliche Licht spendete, das sich ausschließlich auf die Tischplatte zentrierte, füllte den Raum halblinks. Rechts neben dem Schreibtisch registrierte er einen Aktenschrank aus dunklem Holz. Er wirkte dort wie ein widerlich schwarzer Fleck.

      An einem der beiden Garderobenhaken hing ihr grauer Regenmantel.

      Dort ging sie hinüber. Hastig zog sie die Strickjacke aus und schwang sie über den anderen Haken.

      Den Rest an Mobiliar, den Georgie im Augenwinkel erfasste, bildeten zwei karge Amtsstühle, die vor und hinter dem Schreibtisch standen. Das Zimmer wirkte schlicht und ungemütlich.

      Hier gehörte harmonische Atmosphäre nicht her, obwohl ihm ebenfalls heiß wurde, als er eingesunken auf dem Bett saß und sie beobachtete. Die Löwin in ihrer Höhle, dachte er bei sich, und ich lebe noch … Welche Strafe hat sie wohl für mich vorgesehen?

      Aus dem Augenwinkel sah er neben dem Bett ein schmales, kleines Waschbecken, darüber eine Ablage und einen runden Spiegel. Daneben hing ein weißes, längliches Arzneischränkchen.

      Zwei weiße, längliche Handtücher mit auffälliger, roter Blockschrift:

      FREIE UND HANSESTADT HAMBURG hingen links daneben.

      Sie ging zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Nein, sie ließ nur kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen.

      Das lässt das Blut abkühlen, wusste Georgie scharfsinnig zu deuten.

      Über die Schulter sah sie ihn an. Jetzt spielte ein schmales Lächeln auf ihren Lippen, obwohl ihre Augen keinerlei Heiterkeit zeigten.

      Es war, als wartete sie auf eine Reaktion seinerseits, auf eine Antwort oder auf eine Erklärung, vielleicht auf eine plausible Entschuldigung, warum er das Gelände verlassen wollte, und noch während er eine Antwort zusammenraffte, hörte er sich sagen: „Ich wollte nur den Ball holen.“ Er erschrak, da seine Worte zusätzlich die flirrende Stille durchbrachen, also baute er die Notlüge instinktiv aus: „Drüben habe ich einen Lederball im Gebüsch entdeckt.“ Damit konnte er nicht weit kommen, das war ihm klar. Verschämt biss er sich auf die Unterlippe.

      Sie sah ihn nur an, während sie die Hände abtrocknete.

      Nichts passierte. Nur das aufdringliche Wasserrauschen brach weiterhin die flirrende Stille. Dadurch kündigte sich ein schwacher Druck auf seiner Blase an, doch er ließ sich nichts anmerken.

      Ein wenig schafsmäßig blickte er drein, jedoch hielt er ihrem Blick stand, was die vertrackte Situation zumindest etwas entkräftete.

      Sie schwitzte noch immer, das war nicht zu übersehen. Ihre Stirn und die Schläfen zeigten glitzernde Schweißperlen und um den Mund herum glänzte sie feucht.

      „Einen Ball also“, kam sie auf ihn zu und als sie das sagte, zuckte er zusammen, „du wolltest also nur den Ball holen?“

      „Ja, das stimmt“, antwortete er schnell, wobei er verlegen die Hände im Schoß knetete.

      Wie eine sich füllende Blutlache breitete sich die Stille aus und die Zeit schlich dahin, als sie plötzlich den Kopf in den Nacken warf und sagte: „Was soll ich nun bloß mit dir machen?“ Dabei hob sie die Hände, als wollte sie mit gespannter Brust eine längere Predigt beginnen. „Auf jeden Fall muss ich dich bestrafen! Du wolltest unerlaubt den Hort verlassen.“

      Und während sie ihn eindringlich musterte, hingen seine geweiteten Augen auf ihren gewaltigen Rundungen. Unmerklich wuchsen weiche Züge in ihrem Gesicht. Sanfte Fältchen kamen zum Vorschein und umspielten ihre Augen, glätteten die sonst so tiefen Furchen.

      In diesem Augenblick fragte er sich, wo die Brille mit den dicken, schwarzen Bügeln abgeblieben war. Wie überhaupt würde sich wohl ihre Haut anfühlen? Bestimmt weich und ganz warm … und hellweiß wird sie sein … und schweißnass!

      Sofort verbannte er die Gedanken wieder, obgleich ihn der aufdringliche Gummigeruch mächtig zu schaffen machte.

      Er schätzte sie im gleichen Alter wie seine Mutter und doch wirkte sie viel älter, wie sie sich jetzt so übermächtig vor ihm aufbaute.

      Nein, in ihrer Nähe verspürte er kein Unbehagen und er hatte anders als die meisten anderen Kindern auch keine Angst. Nur diese gewaltigen Rundungen schreckten ihn ab.

      War ihm da gerade etwas entgangen? Wie von Geisterhand waren plötzlich die oberen Knöpfe des Kittels geöffnet. Erschrocken starrte er auf die tiefe Hautspalte, während sie noch einen Schritt zum Bett machte. Jetzt stand sie unmittelbar vor ihm.

      Schweigend sah sie ihn an, beide Hände auf ihre nicht vorhandene Taille gestützt.

      Was soll jetzt passieren, fragte er sich. Abwechselnd schlich sein Blick von der bebenden Hautspalte hinauf zu ihrem Gesicht und wieder zurück. Das machte er ganz unbewusst, doch sie deutete seinen Blick richtig. Sie registrierte reine, aufrichtige Unschuld, doch auch die verspielte Abenteuerlust, behaftet von kindlichem Verlangen. Das war nicht gespielt, da täuschte sie sich nicht. Und … tatsächlich, er war der Junge, den sie schon so lange kannte. Da gab es keinen Zweifel mehr. Bloß, wie um Gottes Willen konnte das nur geschehen, fragte sie sich. Am liebsten hätte sie ihm alles erzählt, doch sie wusste, dass er niemals begreifen würde, was sie ihm eröffnen würde … jedenfalls jetzt noch nicht!

      Schweigend sah sie ihn an, während die Erinnerung zurückkehrte.

      Plötzlich herrschte sie ihn an, sich die Hände und das Gesicht zu waschen, da er draußen gespielt habe, wo man sich nur dreckig machte, und außerdem wäre er sowieso ganz verschwitzt.

      Mit diesen Worten trat sie einen Schritt zurück, riss ihn unsanft aus seinen Visionen. Missmutig rutschte er vom Bett.

      Er schlurfte widerwillig hinüber zum Waschbecken, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen. Niemals zuvor hatten ihn derartige Gedanken befallen und niemals zuvor befand er sich in einer derart prekären Situation. Im selben Moment, als er das Waschbecken erreichte, war sie bei ihm. Sie griff nach seinen Händen und zerrte sie ungeduldig unter den Wasserhahn, als ginge ihr das alles viel zu langsam.

      Wieder stieg ihm der Gummigeruch in die Nase und attackierte seine gereizten Schleimhäute.

      „Hier!“, herrschte sie ihn an, „Mit Seife natürlich!“

      Ganz dicht spürte er sie im Nacken, während er sein Gesicht wusch. Das Wasser kühlte sein erhitztes Blut. Es tat gut, doch unglücklicherweise schwemmte ihm Seife in die Augen. Sofort attackierte ihn ein brennender Schmerz. Reflexartig drückte er die Handballen in die Augenhöhlen, um den Schmerz zu lindern, aber es brannte dadurch nur noch mehr. Sein Nacken verkrampfte sich und er stöhnte verhalten auf, während die Handballen noch stärker die Augenhöhlen rieben.

      Der Wasserhahn wurde zugedreht.

      Sie drückte ihm ein Handtuch an den Kopf, nach dem er wie ein Ertrinkender griff und es an die schmerzenden Augen presste. Dann erst trocknete


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