Die Schatten von Paradell. Sebastian Müller

Die Schatten von Paradell - Sebastian Müller


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versuche es mit den bewegten Entchen als Ziel“, kündigte Charles selbstbewusst an. Er zielte nur kurz, schoss und der Schuss streifte die erste Ente an der Ecke, sodass sie widerwillig langsam umfiel. Aber sie war unten. Das zählte. „Ah, sie zieht minimal nach links“, murmelte er für sich. Dann setzte er wieder an und die restlichen Schüsse fielen, ohne abzusetzen, in einer schwindelerregenden Schnelligkeit.

      „Alle Enten sind weg“, verkündete der Schausteller überrascht den Umstehenden. „Wir haben hier einen Meisterschützen. Damit dürfen sie sich da von den kleinen Plüschtieren eines aussuchen oder aus den Kisten da vorne.“

      „Hey, was ist mit den Hauptpreisen da hinten in der Ecke?“, fragte Simon. „Dad hat alle Enten erwischt, warum bekommt er dann nicht, was er will?“

      Der Schausteller antwortete: „Hör zu Junge, die Hauptpreise bekommt man nicht so einfach. Die sind für die Allerbesten vorbehalten.“

      „Mein Dad ist der Allerbeste“, verkündete Simon nachdrücklich mit stolzer Stimme. „Nicht wahr Mum? Dad kann niemand das Wasser reichen.“

      „Na klar. Dein Vater ist ein Superheld. Der Typ in der Bude ist zu knauserig und rückt die großartigen Preise nicht raus“, bestätigte ihm seine Mutter.

      Charles sagte: „Das stimmt Sophia, das ist immer eine gemeine Abzocke an diesen Buden. Aber dem zeig ich es.“ Und an Simon gewandt fügte er hinzu: „Du sollst deinen Hauptpreis bekommen. Versprochen ist versprochen.“

      Er rückte dicht an den Schausteller ran und sprach flüsternd, aber unmissverständlich zu ihm. „Okay, mein Freund, ich zahle nochmal doppelt so viele Schüsse, dass ich genug für die zweite Reihe Enten habe und sie drehen die Geschwindigkeit auf Anschlag. Ich habe meinem Sohn den Hauptpreis versprochen. Wenn ich alle erwische, bekomme ich eins von denen, ohne Wenn und Aber.“

      Der Schausteller willigte mürrisch in den Deal ein. Hauptsächlich, weil er sich versprach, damit mehr Interessenten an seinen Stand zu locken. Er hatte vor, die Aktion werbewirksam anzupreisen.

      „Na mein Junge, schau aufmerksam hin. Such dir einen der Hauptpreise aus“, sagte Charles. Simon betrachtete die Auslage neugierig. Es gab gewaltige Plüschtiere, einen ferngesteuerten Truck sowie eine Legoburg. Ihn beeindruckte das alles nicht.

      Doch da entdeckte er, was er wollte. „Da, Dad, siehst du die Rockgitarre? Wow, ist die cool. Die ist es.“ Simons Augen leuchteten. Es war zwar eine Kindergitarre, aber sie sah verdammt echt aus.

      „Gut mein Sohn. Dann aufpassen und Daumen drücken“, sagte Charles, zwinkerte Simon zu und schulterte wieder das Gewehr.

      „Aufgepasst, aufgepasst, kommen Sie näher Leute. Schaut euch diesen tollkühnen Schützen an“, schrie der Schausteller aus voller Kraft. „Dieser Herr wagt das Unmögliche.“ Er wedelte enthusiastisch mit den Armen und winkte die vorbeiziehenden Volksfestgäste heran. „Die schnellste Geschwindigkeitsstufe, das hat bisher keiner geschafft. Werden Sie Zeugen dieses wagemutigen Versuchs!“

      Sophia küsste Charles als Glücksbringer auf die Wange: „Viel Glück Schatz.“ Er lächelte und setzte das Gewehr an.

      Die Enten rasten in einer unfassbaren Geschwindigkeit hin und her. Für die meisten Zuschauer waren sie zu fix, um sie zu erkennen. Sie verschwommen vor ihren Augen.

      Charles zielte minimal länger und atmete entspannt. Währenddessen wich die Sonne dem Schatten und ein zarter Windzug kam auf. Die ganze Bude schien sich zu verdunkeln. Und viele Schatten streiften langsam über die Ziele an der Wand.

      „Oje, das wird knifflig“, dachte Simon und hielt den Atem an. In dem Moment ließ sein Vater seinen Atem allmählich entweichen und schoss. In herrlich gleichmäßigem Takt machte es Peng und jedes Mal hörte man direkt das beruhigende metallische Pling einer umfallenden Ente.

      Die Schatten verdichteten sich mit jedem Pling der Enten; die Konturen ließen nach, aber Charles ließ sich nicht ablenken. Er machte unbeirrt weiter. Simon hielt konstant den Atem an und es schmerzte geringfügig in der Brust. Da kamen die letzten drei und peng, peng, peng sowie drei Pling, Pling, Pling.

      Die letzte Ente fiel und die umstehende Menge entlud die Anspannung und brach in Jubel aus. Simon atmete in einem Stoß aus und jubelte am lautesten.

      Die Sonne hatte ihren Weg wiedergefunden und alle Schatten waren weg, als wären sie niemals da gewesen. Simon war zu fokussiert, um dem Ganzen größere Aufmerksamkeit zu widmen.

      Sophia umarmte Charles. „Glückwunsch, mein Revolverheld“, lachte sie. Und zum Schausteller sagte sie mit Nachdruck: „Keine Ausreden mehr. Mein Sohn erhält die Gitarre dahinten.“

      „Aber selbstverständlich“, verkündete er an alle Zuschauer gewandt. „Schaut, schaut, der Meisterschütze hier hat den Hauptpreis redlich verdient. Wer vermag es ihm nachzumachen? Wer akzeptiert die Herausforderung und versucht als Nächster sein Glück? Hier gibt es Gewinne, Gewinne, Gewinne. Einer besser als der andere.“ Tatsächlich trauten sich Andere heran und es entstand eine beträchtliche Schlange an potenziellen Kunden vor der Schießbude.

      Der Besitzer schritt zu den Hauptpreisen und holte die Gitarre herunter. „Hier mein Junge, die ist für dich. Dein Vater hat sie fair erkämpft. Viel Spaß damit.“ Simon bedankte sich artig und freute sich wie ein Schneekönig über seine neue Gitarre.

      – 3 –

      „Sophia, ich glaube, wir haben uns alle Zuckerwatte verdient. Findest du nicht?“, fragte Charles.

      Sophia antwortete: „Klar, mein Revolverheld und mein kleiner Rockstar bekommen heute alles, was sie sich wünschen.“ Sie ging zum Stand nebenan und kaufte eine mächtige Portion Zuckerwatte. Alle drei zupften sich eine Zeit lang schweigend ihre Stückchen ab und genossen sie sowie die Sonne, die auf sie herunterschien.

      Sophia sagte nach kurzer Zeit: „Hier Simon, halt den Rest, du darfst es aufessen, wenn du magst. Ich muss zur Toilette.“

      Da schloss sich Charles an: „Gute Idee, ich komm fix mit. Simon, du wartest hier.“

      „Klar, kein Problem, ich habe ja meine Zuckerwatte“, kichert er.

      Als sich seine Eltern umgedreht hatten, krochen wieder die Schatten heran. Alles verdunkelte sich. Schemenhafte Silhouetten überlagerten die Welt und rangen mit der Realität.

      Simon dachte: „Schade, die Sonne war so schön“, hatte aber nur Augen für seine Zuckerwatte. In dem Moment sah er einen der Schatten an seiner Zuckerwatte vorbeihuschen. Da schaute er auf und ein weiterer bewegte sich vor ihm. Die Form war kaum auszumachen. Mal schien es menschlich, mal wie unförmiger Nebel.

      Eine Stimme neben ihm klang überraschend unnatürlich doppelt, sodass er dachte, er musste sich verhört haben. „Die beiden dahinten. Los. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

      Simon schaute sich um, niemand anderem schien irgendetwas aufzufallen. Außerdem sah er niemanden, der das gesagt gehabt haben könnte. „Die Stimme hat sich melodisch angehört“, dachte Simon. „Aber sie hatte einen fiesen Unterton.“

      Langsam wurde ihm ungemütlich. Eine unnatürliche Kälte schlich sich ihm in die Knochen und er hoffte, dass Mum und Dad bald wieder da wären. Er schaute in Richtung der Toiletten, sah aber kein Zeichen von ihnen.

      Die Luft wurde gefühlt zunehmend dicker und es atmete sich kontinuierlich schwerer. Da hörte Simon ein Klirren von Glas, das aber auch irgendwie metallisch erschien. Gleich darauf zerfielen die Schatten zu Staub und der Druck war aus der Umgebungsluft verflogen. Auch die Sonne war wieder da.

      „Was war das?“, rief Simon deutlich hörbar. „Was war das Klirren und wo sind die Schatten hin?“ Eine Frau, die neben ihm stand, schaute ihn an, als wäre er verrückt geworden.

      „Was willst du Junge? Fantasierst du?“, fragte sie und nahm deutlich Abstand zu ihm ein.

      Da seine Eltern immer noch nicht zurück waren, packte ihn langsam die Angst. Er dachte zwar: „Mensch Simon, du bist elf Jahre alt, das ist lächerlich Angst zu haben,


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