Die Schatten von Paradell. Sebastian Müller

Die Schatten von Paradell - Sebastian Müller


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Er schnaufte und setzte sein Basecap ab, um sich damit Luft zuzufächeln. „Dafür habe ich auch was, um dir bei der Hitze zu helfen. Warte“, sagte Ben und kramte in seinem Rucksack. „Meine Mum hat mir die kleine Kühltasche eingepackt, mit Eis drin. Du magst doch Erdbeere oder Marie?“

      „Ja super“, freute sie sich und lächelte Ben glücklich an. Er gab es ihr und nahm sich selbst ein Schokoeis.

      „Und was ist mit mir?“, fragte Simon gespielt beleidigt. „Was kann ich dir bieten für ein kühles Eis? Eine Decke habe ich leider nicht und eine Frau bin ich leider auch nicht“, lachte er. Ben schaute Marie verlegen an und auch sie errötete und schaute zur Seite. Da antwortete Ben eilig: „Ach, schon gut, du bekommst auch eins. Was magst du?“

      „Schoko bitte. Danke schön“, antwortete er.

      Simon hatte recht gehabt, was die andern beiden Freunde anging. Sie verspäteten sich fürchterlich. Ben, Marie und er hatten längst ihr Eis aufgegessen, bis Lukas und Tamara da waren.

      Als sie ankamen, sahen sie wieder aus, als ob sie schick zum Essen ausgehen wollten, anstatt Eis auf einer Wiese sitzend zu schlecken.

      Simon begrüßte sie, wie üblich, ohne sich einen Seitenhieb zu verkneifen: „Na ihr zwei, die Haare sitzen gut. Hoffentlich bleibt das, bis ihr nachher zu dem Empfang kommt, oder sind die Sachen eher was für das Theater?“

      „Ach Simon, du verstehst das nicht“, gab Tamara schnippisch zurück. „Nicht jeder hat das Bedürfnis, wie ein mittelloser Surferboy auszusehen.“

      „Na los, setzt euch. Habt ihr eine Decke dabei?“, fragte Ben. Das hatten sie, breiteten diese neben den anderen aus und setzten sich.

      Nachdem die beiden Neuankömmlinge ihr Eis von Ben erhalten hatten, unterbrach Marie nach einem Moment das Schweigen. „Mich brennt es, die ganze Zeit zu fragen. Wie habt ihr die Nacht geschlafen?“

      Tamara antwortete kurz angebunden: „Ging schon. Eigentlich ganz gut.“ Marie schaute sie an und sah die übermäßige Schminke um die Augen, die nur schwer die müden Augenränder verdeckte. Aber sie sagte nichts.

      Lukas hingegen gab ausweichend zu, dass es nicht so gut bei ihm gewesen war. „Mein Schlaf war eher aufgewühlt, aber ich erinnere mich an nichts Konkretes, falls ich geträumt habe.“

      Ben sagte: „Ich habe leider nicht geträumt. Nicht von den anderen und auch sonst nichts.“

      Darauf erwiderte Marie: „Sei froh. Ich weiß, du hättest sie gern wiedergesehen, ich hatte schlimme Alpträume. Nicht direkt von denen. Ich wurde im Traum permanent verfolgt. Ich habe nur nie gesehen, wer oder was es war. Es waren düstere Schatten und ich bin die ganze Zeit panisch geflohen. Ich kam kaum vom Fleck und die Schatten kamen dauernd näher. Bis ich letztendlich schweißgebadet aufgewacht bin.“ Sie erschauerte bei der Erinnerung. „Und bei dir Simon?“, fragte sie.

      Er zögerte mit der Antwort und sagte dann: „Bei mir war es ganz eigenartig. Ihr kennt ja die Geschichte von meinen Eltern?“ Alle nickten verlegen.

      „In letzter Zeit habe ich kaum damit Probleme gehabt und erst recht keine Alpträume mehr wie in der ersten Zeit. Doch gestern habe ich wieder furchtbar lebendig davon geträumt. Beinahe real hat es gewirkt. Mehr als sonst im Traum. Aber nicht nur das. Die Schatten und die komischen Stimmen kamen darin vor.“

      Simon erzählte den anderen vier seinen Traum im Detail und seine Überlegungen, was das zu bedeuten gehabt haben könnte. Doch alle waren sich einig, dass das eine Kombination der Erlebnisse vom Vortag gewesen war, was ihm in der Nacht einen Streich gespielt hatte.

      Simon lehnte sich wieder zurück ins Gras und hing seinen Gedanken nach. „Es ist zu verlockend für mein Unterbewusstsein, sich einzureden, Mum und Dad leben in einer anderen verrückten Parallelwelt und warten dort auf mich. Das ist klassische Verdrängung und eindeutig Unsinn.“

      Kapitel 3 – Schützender Glaube

      – 1 –

      Gegen siebzehn Uhr an diesem Mittwoch, in der letzten Ferienwoche des Sommers, hatten die fünf Freunde endgültig genug Sonne. Bens Eis war alle und es war unerträglich heiß. Sie räumten ihr Zeug zusammen und machten sich auf den Weg. Simon schwang sich auf sein Rad und sagte: „Also dann macht’s gut, Leute. Wir sehen uns die Tage. Ein Tick Ferien haben wir ja noch.“ Lukas und Tamara putzten sich mit den Händen gründlich Reste vom Gras von den Kleidern und spazierten zum Bus.

      An der Haltestelle schaute Lukas auf den Fahrplan und sagte: „Mist, knapp verpasst, aber der nächste kommt in 10 Minuten.“

      Tamara antwortete: „Gut, lass uns im Schatten sitzen beim Warten.“ Als sie auf der Bank waren, fragte sie ihn: „Du hast vorhin wieder extrem geschafft ausgesehen und ich denke nicht, dass das an dem schlechten Schlaf lag, von dem du erzählt hast. Was war los daheim?“

      Lukas seufzte: „Ach, Dad hat wieder Probleme auf Arbeit. Und du weißt ja, dass es speziell dann am schlimmsten mit den beiden ist.“

      „Deine Mum hat sich auch wieder von ihm mitreißen lassen?“, fragte Tamara.

      „Ja, in den meisten Fällen wirkt es, als ob sie selbst an dem religiösen Erlösungsgerede von Dad zweifelt. Aber sobald er loslegt, verfliegt das wie Nebel im Wind. Dad ist so überzeugt, dass ausschließlich der Herr über uns wacht und unser Schicksal in Händen hält, dass er nicht erkennt, was sein eigenes Handeln für Auswirkungen auf die Personen in seiner Umgebung hat.“

      „Er ist dein Vater, verdammt. Er ist mindestens genauso verantwortlich für dein Wohlergehen wie Gott. Aber was sag ich dir das. Du weißt ja, wie es bei mir daheim aussieht.“

      Lukas nahm sie in den Arm und sagte: „Ja, das weiß ich, aber so ist es ja nicht jeden Tag und wir haben uns. Die können uns mal mit ihrem Fanatismus. Du zeigst mir, wie schön das Leben sein kann.“

      So saßen sie die restlichen Minuten, bis der Bus kam, Arm in Arm beisammen.

      Tamara stieg zwei Haltestellen vor Lukas aus. Sie küsste ihn zum Abschied und verließ den Bus. Als dieser losfuhr, schaute Lukas ihr gedankenverloren nach.

      Er wohnte mit seinen Eltern in einem Altbau, direkt an der Haltstelle. Sein Viertel war deutlich grüner und idyllischer als die seiner Freunde.

      Oben an der Wohnungstür empfing ihn seine Mutter. Martha Pfeiffer war eine dürre Frau mittleren Alters mit streng nach hinten gebundenen Haaren und einem langen hochgeschlossenen Kleid. Darüber trug sie eine Schürze mit der Aufschrift „Gott schütze dieses Heim“.

      Resolut schaute sie auf ihren Sohn und sagte: „Das Essen ist so gut wie fertig, wo warst du so lange?“ Dann huschte aber doch ein schmales Lächeln über ihr Gesicht. „Na los, komm rein und zieh dich flink für das Essen um. Dein Vater ist noch in seinem Büro. Rasch, ab in dein Zimmer.“

      Lukas beeilte sich und war kurze Zeit später bereit am Esstisch, als die Tür zum Arbeitszimmer seines Vaters aufging.

      „Was denken die sich?“, schimpfte er, als er herauskam. „Wie können die es wagen, uns ihre finanzielle Unterstützung zu entziehen? Speziell in schlechten Zeiten müssen die Kirche und der Glaube stark sein. Und wir unterstützen sie dabei rechtlich gegen all jene ketzerischen Arschlöcher, die das zerstören. Gott ist auch allzeit für uns da und unterstützt uns, egal wie die Zeiten stehen.“

      Christian Pfeiffer war Partner in einer Anwaltskanzlei für Kirchenrecht. Glühend verteidigte er die Kirche vor Gericht. Leider war die wirtschaftliche Lage herausfordernd. Aus diesem Grund sprangen vermehrt die finanziellen Unterstützer ab.

      „Du hast ja Recht, nichtsdestotrotz hört der Herr solche Wortwahl auch nicht gern“, sagte Martha. „Komm jetzt. Essen ist fertig. Wir warten.“

      Christian brummte zustimmend und nickte. „Wenn ich mich aufrege, lasse ich mich zu deren Sprache hinreißen. Du weißt ja, die Sprache deiner komischen Freunde Lukas. Speziell dieser Simon hat ein Schandmaul. Das kommt alles von dieser verkommenen Rockmusik, die der andauernd


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