USA. Hannelore Veit
in ein Paralleluniversum, vertraut und gleichzeitig fremd. Vieles hat sich verändert in diesem Land – manches davon offensichtlich, manches subtil. Ach Amerika, wie sehr ich dich noch immer bewundere und gleichzeitig bedaure.
Transatlantische Gedanken, Teil 2
Hannelore Veit
Es sind erste Eindrücke, die prägen. Meine ersten Eindrücke der USA gehen auf die 1980er Jahre zurück. Als junge Fulbright-Studentin kam ich hierher, es war ein unglaubliches Gefühl der Freiheit, der Weite, des Willkommen-Seins in diesem Land. Ich hatte das Gefühl, mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Die Menschen hier wollten zeigen, was für ein demokratisches, weltoffenes und großartiges Land sie sind. Viele der Menschen, die ich als Studentin kennengelernt habe, zähle ich auch heute noch zu meinen Freunden.
30 Jahre später kam ich als Korrespondentin zurück in ein Land, das sich total verändert hatte, ein Land, in dem ich mich als Ausländerin, auch als Europäerin, nicht mehr uneingeschränkt willkommen fühle. Der 11. September 2001 hat dieses Land verändert. Nach mehr als zehn Jahren Krieg in Afghanistan und im Irak haben die USA das Interesse am Rest der Welt verloren. Die Haupt-Nachrichten: local news. Mit Donald Trump im Weißen Haus hat sich das alles noch drastisch verschärft. America First – der Rest der Welt zählt nicht. Und im Inneren ist die Kluft so tief geworden, dass ein Dialog nicht mehr möglich scheint. Die, die versuchen zu vermitteln, die einen Kompromiss suchen, werden nicht gehört, weder in der Politik noch in der Gesellschaft. Republikaner und Demokraten können schon längst nicht mehr miteinander. Es geht um Machtspiele in Washington – um nichts sonst. Trump-Anhänger leben in ihrer eigenen Welt, sehen Donald Trump, wie es eine meiner Interviewpartnerinnen sagte, als einen, der »den Sumpf trockenlegen wollte, aber nicht gewusst hat, wie viele Alligatoren in diesem Sumpf leben«. Trump-Gegner können es nicht fassen, dass dieser Egozentriker, der andere anpöbelt, aber selbst nicht die geringste Kritik verträgt und beratungsresistent ist, das Amt des Präsidenten innehat, ein Amt, um das in Zeiten vor Donald Trump immer ein Hauch von Ehrfurcht geweht hat. Jeder lebt in einer Blase, holt sich die Informationen dort, wo er oder sie sicher sein kann, dass sie die eigene Meinung widerspiegeln. Niemand will Argumente dafür und dagegen hören. Der Präsident macht es vor: Desinformation wird so oft wiederholt, bis sie salonfähig ist.
Ich versuche in meinen Kapiteln des Buches, Amerikaner zu Wort kommen zu lassen und möglichst wenig zu werten – auch wenn es, das muss ich zugeben, manchmal schwerfällt.
Die USA sind heute ein tief gespaltenes Land. Und doch erlebe ich immer wieder, wie das Amerika aufblitzt, das ich aus meiner Studentenzeit in Erinnerung habe. Es ist immer noch das Land der Weite, der Freiheit und der freien Meinungsäußerung, ein Land, das gerade im Frühsommer 2020 mit der Protestwelle gegen Rassismus eine intensive Phase der Konfrontation mit der eigenen Geschichte durchlebt. Eine Phase, aus der dieses Land, und da teile ich die Meinung meines afroamerikanischen Gesprächspartners Doug im Kapitel »Der Realist«, lernen und hoffentlich gestärkt hervorgehen wird. Die USA sind eine stabile Demokratie mit gut verankerten Kontrollen der Macht, auch der Macht des Präsidenten: Die »checks and balances«, die in der Verfassung festgelegt sind, garantieren, dass der Kongress, der Präsident und die Gerichte einander kontrollieren. Bis jetzt haben sie funktioniert – der Präsident, der am liebsten allein regieren würde, wird gebremst vom Kongress und von den Gerichten.
Wir kritisieren die USA oft und heftig, weil wir das können – weil Kritiker nicht im Gefängnis landen oder »verschwinden«, weil ich als ausländische Journalistin nicht damit rechnen muss, Repressalien ausgesetzt zu sein. Es sind nach wie vor gemeinsame Werte, die die USA und Europa verbinden.
Die meisten Gesprächspartner, die ich getroffen habe (zugegeben nicht alle), mag ich einfach persönlich, ob ich ihre politische Einstellung jetzt goutiere oder nicht. Willkommen habe ich mich bei der konservativen Familie in Fargo genauso gefühlt wie bei der Anything-But-Trump-Universitätslektorin in Kalifornien. Ich kenne Freundschaften zwischen Trump-Gegnern und Trump-Unterstützern, die weiter bestehen, weil beide Seiten gelernt haben, das Thema Trump auszuklammern.
Mag sein, dass hier die unverbesserliche Optimistin in mir spricht, aber ich habe in all den Jahren, die ich hier gelebt habe, so viele Aspekte dieses Landes kennengelernt, dass ich aus voller Überzeugung sagen kann: Trotz aller Kritik, die ich übe, liebe ich dieses Land. Wie es ein amerikanischer Freund ausdrückt: Das schönste an diesem Land ist seine Fähigkeit, sich nach dunklen Kapiteln der Geschichte neu zu finden.
Der Revolutions-Führer
Eine Tour der etwas anderen Art durch den Big Apple
New York
»Herzlich willkommen in New York City! Eines gleich vorweg: Das hier ist nicht Disneyland – hier wird nichts schöngeredet, wir nennen die Dinge beim Namen – the Good, the Bad and the Ugly.« Michael Pellagattis Blick wandert selbstbewusst über das Dach des offenen Doppeldecker-Busses. Alle Sitzplätze sind belegt, er wirkt zufrieden – es ist Hochsaison, noch vor der Corona-Krise, und seine heutigen Gäste, internationale Besucher und US-Amerikaner, lauschen den Worten des 32-jährigen Touristenführers aufmerksam. »Ich bin New Yorker der fünften Generation und kenne diese Stadt wie meine Westentasche«, fügt Pellagatti mit kantigem New Yorker Akzent hinzu. Er trägt ein schwarzes Barrett und eine verspiegelte Sonnenbrille – in der linken Hand hält er einen ausziehbaren Teleskopstock, den rechten Arm zieren mehrere Tätowierungen.
Der rote »Hop on Hop off«-Bus setzt sich in Bewegung, manövriert im Schritttempo durch den zähen New Yorker Morgenverkehr rund um den berühmten Times Square. Gigantische Leuchtreklamen flackern von den Gebäudefassaden. Grelle Bildschirme wetteifern um die Aufmerksamkeit der Passanten – werben für Broadway-Musicals, Sportschuhe und Aftershave. Ein buntes Kaleidoskop, nein, Stroboskop spätkapitalistischer Ekstase. Im Hintergrund das Hupen genervter Pendler, begleitet vom Dröhnen mehrerer Presslufthämmer, ein Fußgänger schimpft lautstark auf einen vorbeisausenden Radfahrer. »Ahh, hört ihr das? Bei dieser Geräuschkulisse wird mir gleich ganz warm ums Herz«, sagt Pellagatti – »das ist die wahre Symphonie New Yorks, vergesst die noblen Orchester. Darum reden wir New Yorker auch so laut, sonst hört uns keiner, vielleicht sind wir deswegen alle ein bisschen neurotisch!«
Pellagatti trinkt aus seiner Wasserflasche, atmet kurz durch und widmet sich sofort wieder mit vollem Elan seinen Tour-Gästen. Er ist ein wandelndes Lexikon der Stadt – kaum ein Straßenblock, den er nicht mit einer historischen Anekdote kommentiert.
»In diesem Gebäude ist Nikola Tesla gestorben … und in dieser Nachbarschaft wurde Präsident Franklin D. Roosevelt geboren … Und hier haben sich die irischen Hafenarbeiter angesiedelt, nachdem man sie vom alten Dock am East River vertrieben hatte.«
Der Bus biegt in die 34. Straße ein. »Hier zu meiner Linken sehen sie Macy’s, eines der größten Kaufhäuser der Welt«, erzählt der junge Guide, »das Gebäude soll demnächst zu einem Wolkenkratzer umgebaut werden, die Amazon-Konkurrenz setzt ihnen offenbar ziemlich zu …«
»… Zu meiner Rechten befindet sich das berühmte Empire State Building, wussten Sie, dass es ursprünglich als Zeppelin-Landeplatz konzipiert war?«
»… Und hier in dieser Kirche hat Trump seine Melania geheiratet – the GREATEST wedding ever«, ergänzt er mit einer gekonnten Stimm-Imitation des US-Präsidenten.
Die Occupy-Wall-Street-Tour
Michael Pellagatti ist seit sechs Jahren als Touristenführer in Manhattan tätig. Zwei bis drei solcher Bus-Rundfahrten absolviert er pro Tag, 17 Dollar beträgt der Stundenlohn. »Kein Vermögen, aber ich bin krankenversichert, das ist