USA. Hannelore Veit

USA - Hannelore Veit


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Oahu mehrmals besucht. »Viele Leute sagen, wir fliegen nach Hawaii, wir gehen ins Paradies – Strand, Piña Colada, Hula-Mädchen mit Blumenkränzen –, aber das entspricht nicht der Realität: Der Bundesstaat hat das größte Obdachlosen-Problem im ganzen Land.« Und die Tourismusbranche dort verschleiere die Probleme, weswegen er gerne eine alternative Hawaii-Tour auf die Beine gestellt hätte. Doch die strengen Regulierungen und die Bürokratie Hawaiis hätten diesen Plan vorerst zunichte gemacht. »So bleibt mir nichts anderes übrig, als die sozialen Bewegungen Hawaiis hier aus der Ferne zu unterstützen – demnächst gibt es in New York eine große Demonstration gegen den geplanten Bau eines Teleskops auf dem Land der hawaiianischen Ureinwohner, da werde ich sicher mitmarschieren«, so Pellagatti. In Planung sei auch ein Aktivistentreffen rund um bleiverseuchtes Trinkwasser in der nahe gelegenen Stadt Newark.

      Der rote Doppeldecker-Bus passiert den ehemaligen Standort des World Trade Center, das am 11. September 2001 durch Terrorangriffe zerstört wurde. Ein kollektives Trauma, das das Land und die Stadt bis heute nicht ganz überwunden haben. Ein stimmiges Mahnmal erinnert an die Opfer des Anschlags – daneben ragt das neue One World Trade Center über 500 Meter in den Himmel. Der Bus hat die Südspitze Manhattans erreicht und biegt in die Wall Street ein, das Herz des Finanzdistrikts und Sitz der US-Börse. Einige Tour-Gäste steigen aus, um ein Selfie mit der berühmten Charging-Bull-Statue zu bekommen. Diese Skulptur eines Stiers war ursprünglich als befristetes Street-Art-Projekt konzipiert und wurde erst danach zu einer permanenten Installation – »ein Symbol für die Marktgläubigkeit dieser Stadt«, erzählt Tour-Guide Pellagatti den verbleibenden Passagieren mit einem unüberhörbaren Seufzer. Der rote Bus rollt zur letzten Station weiter, Pellagatti bedankt sich für die Aufmerksamkeit und sammelt Trinkgeld ein. Ein Senioren-Paar aus Kalifornien bedankt sich für die Tour, »toll, dass Sie die Dinge beim Namen nennen«, sagt die ältere Dame, während sie Mike einen 20-Dollar-Schein zusteckt. »Falls Sie noch Zeit haben, würde ich Ihnen einen Spaziergang zum nahe gelegenen Zuccotti-Park ans Herz legen«, erwidert der junge New Yorker. »Dort hat die Occupy-Wall-Street-Bewegung ihren Anfang genommen, die 99 Prozent der Bevölkerung haben begonnen, gegen das eine Prozent der Superreichen zu kämpfen – ein Kampf, der bis heute andauert und uns alle betrifft.«

      Im Juni 2020 erreiche ich Mike nach mehreren erfolglosen Versuchen am Telefon. Seine Lebensumstände haben sich seit unserer gemeinsamen Stadtrundfahrt deutlich verschlechtert: Die Corona-Krise hat New York City besonders hart getroffen, der Tourismus ist zusammengebrochen, Pellagatti hat seinen Tour-Guide-Job verloren. Er arbeitet jetzt aushilfsweise in einem Kaufhaus in New Jersey und erzählt mir, wie unglücklich er über den verordneten Corona-Shutdown der Stadt ist. Die Quarantäne-Maßnahmen hält er für übertrieben. Mike schildert, wie er in eine tiefe Depression gestürzt ist, aus der er sich gerade erst langsam und mit Hilfe von Therapie befreit. Derzeit bereite er sein Comeback als alternativer Touristenführer vor – die Stadt New Orleans reize ihn dabei besonders. Mike Pellagatti unterstützt die landesweiten Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus, die sich auch auf den Straßen des Big Apple abspielen. »Vielleicht sind sie ein weiterer Schritt hin zu einer größeren sozialen Revolte, die unser verrottetes System wegfegt«, sagt der junge New Yorker.

       Der Konservative

       Mit voller Überzeugung für Trump

       Fargo, North Dakota image Hannelore Veit

      Fargo – das ist der Name einer Stadt, der sofort ein Bild im Kopf entstehen lässt: karge Landschaft, kalt, unwirtlich. Wer immer den Filmklassiker der Coen-Brüder aus dem Jahr 1996 gesehen hat, wird ähnliche Eindrücke mitgenommen haben.

      Ich plane eine Reportage über eine Familie, die Trump gewählt hat und zu Trump steht, aber nicht in das übliche Klischee der ungebildeten, selbstgefälligen und grölenden Trump-Anhänger fällt, die seine populistischen Ideen unreflektiert aufnehmen und die wir in den Medien so gerne als die Wählerbasis Trumps beschreiben. Fast die Hälfte der Amerikaner hat Trump 2016 gewählt. Mit seinen Stammwählern allein hätte Trump die Wahl nie gewinnen können.

      Fargo, der Name fällt in einer Besprechung mit meiner Producerin Lauren. Sie hat dort eine Familie gefunden, die bereit ist, mit mir zu reden. Ich bin sofort Feuer und Flamme. Fargo wollte ich immer schon sehen.

      Es ist März, als ich dorthin reise. Direktflüge gibt es keine. Anstatt in Minneapolis, einem großen Drehkreuz im Mittleren Westen, in einen Anschlussflug nach Fargo umzusteigen, beschließe ich, mit meinem Kameramann Markus ein Mietauto zu nehmen und quer durch Minnesota nach North Dakota zu fahren. Nicht nur, weil Fliegen umständlich und langweilig ist, sondern auch, weil ich so ein Gefühl für die unendliche Weite des Mittleren Westens bekomme. Vier Autostunden sind es bis Fargo, quer durch das Land der 10 000 Seen, wie Minnesota genannt wird. Die Landschaft verändert sich kaum, ein paar Hügel, flaches Land, so weit der Blick reicht. Selbst im März sind die Teiche hier im Norden noch zugefroren.

      Der eiskalte, aber sonnige Märztag neigt sich dem Ende zu, als wir Fargo erreichen. Fast baumlos ist die Ebene rund um die Stadt, der kalte Wind raubt einem den Atem. Und doch: Fargo ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Gar nicht düster, kein gottverlassener Winkel, wie es der Film suggeriert. Fargo liegt am Red River, ist mit 120 000 Einwohnern die größte Stadt im dünn besiedelten North Dakota und hat ein hübsches Art-Déco-Zentrum, das mit seinen roten Backsteinfassaden erkennen lässt, dass sie schon sehr westlich liegt. Cowboy-Romantik schimmert durch. Fargo ist eine junge Stadt, das Durchschnittsalter der Bevölkerung beträgt 30 Jahre. Fargo bietet das, was viele andere Städte nicht haben: eine niedrige Kriminalitätsrate, kaum Arbeitslosigkeit und leistbare Wohnungen. Sie ist eine der lebenswertesten Kleinstädte der USA.

      »Welcome, and please feel at home here.« John Trandem öffnet die Tür zu seinem Einfamilienhaus am Rande der Stadt. Mit seiner Frau Lydia und ihren drei kleinen Kindern lebt John in dem für europäische Verhältnisse geräumigen, neu gebauten Haus, vier Garagen lassen erahnen, dass Autos eine wichtige Rolle im Leben der Trandems spielen. John, der Mann, den ich gerne näher kennenlernen möchte, ist Besitzer einer kleinen Autowerkstatt. Solide Mittelklasse, sympathisch, drahtig, die schulterlangen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. John ist Mitte 40, seine Frau Lydia um einiges jünger, zart, bildhübsch, schüchtern wirkt sie. Ihr Haus liegt in einer neuen Siedlung am Rande der Stadt: Bäume, die im Sommer Schatten spenden könnten, gibt es hier in dieser Siedlung – noch – keine. Die Vorgärten und die im Winter braunen Wiesen hinter den Häusern sind kahl. Die unvermeidlichen BBQ-Griller stehen – winterfest verhüllt – auf jeder Terrasse.

       Religion, das Fundament des Lebens

      Die Trandems sind so etwas wie eine konservative Bilderbuchfamilie, stolz darauf, ihre konservativen Werte hochzuhalten, und stolz darauf, tiefreligiös zu sein.

      Johns und Lydias Gastfreundschaft ist überwältigend. Die Einladung zum Abendessen schlagen mein Kameramann Markus und ich zuerst aus – und wir bleiben dann doch. Vor dem gemeinsamen Abendessen reichen sich Eltern und Kinder die Hände: »Father, we thank you so much for this day, we thank you for all the opportunities you placed before us«: John ist es, der heute das Tischgebet spricht. Für die Kinder habe ich als Mitbringsel ein Miniflughafenset mitgebracht, ein Flugzeug zu wenig, weil ich mit zwei und nicht drei Kindern gerechnet habe. Kein Problem: »We’ll share«, wir wechseln uns ab, sagt Elsie, mit fast sechs die älteste der Trandem-Kinder. Wenn nicht genug für alle da ist, wird geteilt – ohne Aufforderung der Eltern. Kinder wie aus dem Bilderbuch eben.

      John Trandem hat mir schon im Vorfeld gesagt, dass er sehr religiös ist. Er lässt uns für eine Stunde mit Lydia und den Kindern allein: Er geht zu seiner Bibelstunde. Wie jeden Montagabend. Lydia besucht ihre Bibelstunde für Mütter am Mittwoch. Ihr Glaube beeinflusst alles im Leben der Trandems. »Ich bin in einer Familie aufgewachsen, für die der Glaube wichtig war, für die der Kirchenbesuch wichtig war«, sagt Lydia. »Von Kindheit an.«

      »Mein Glaube definiert


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