Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie

Der Milliardär und der Mechaniker - Julian Guthrie


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Cup

       Nachwort der Autorin

       Danksagung

       Teil I

      »Alle Menschen träumen, nur nicht gleich.«

      T. E. Lawrence

      Südpolarmeer Zwischen Australien und Tasmanien

      Dezember 1998

      Schnittig, schneeweiß und sensationell schön: So segelte die SAYONARA dem Südpolarmeer entgegen. Sie befand sich in einem Revier, das die Antarktis umfließt und für seine tückischen Wellenberge berühmt-berüchtigt ist. Am Steuer seiner 82 Fuß langen und 25 Tonnen schweren Yacht segelte Larry Ellison mit über 25 Knoten vor dem Wind. Er spürte die nasse Luft auf seinem Gesicht und konnte sehen, wie die Feuchtigkeit gegen das massive Großsegel und den Spinnaker schlug. Larry staunte: »Sogar SAYONARA ist nicht dafür geschaffen, so schnell zu segeln.« Seine Yacht begann abzuheben, ihr Bug hob sich, und ihr Heck schöpfte dem Wasser seine Gischt ab. Für diesen Winkel zum Wind war die Kohlefaser-Rakete nicht konstruiert worden. Und hatte ihn nie zuvor erlebt. Irgendetwas stimmte nicht.

      In seinem roten Ölzeug, die graue SAYONARA-Kappe auf dem Kopf, schaute Larry Ellison Brad Butterworth an, einen Neuseeländer mit freundlichem Lächeln, dichtem Haar und einer beeindruckenden Sammlung bedeutender Trophäen. »SAYONARA hebt doch nicht wirklich ab«, sagte Larry ungläubig, »es ist großartig, so schnell zu segeln, aber es ist unwirklich.« Vor zwölf Stunden waren sie in eine der anspruchsvollsten Langstreckenregatten gestartet. So schnell, dass sie bereits an dem Punkt waren, den der amtierende Rekordhalter erst nach 24 Stunden erreicht hatte.

      Larry und sein 22-köpfiges Segelteam, ein »Who’s who« der internationalen Profiszene und Ansammlung prominenter Segler inklusive Rupert Murdochs Sohn Lachlan, hatte den Hafen von Sydney am Samstagnachmittag, dem 26. Dezember, mit Kurs auf Hobart verlassen. In Australien herrschte Hochsommer. Glitzernd beschien die Sonne Hunderttausende von Zuschauern, die entlang der australischen Küste dem Start des 55. Sydney–Hobart-Rennens zusahen. Mit ihrem blütenweißen Spinnaker und dem Kennzeichen der roten japanischen Sonne – Larrys Design – eroberte SAYONARA früh die Führung im 624 Seemeilen langen Klassiker durch die Tasmanische See.

      Larry, 55-jähriger Mitgründer und CEO der Oracle Corporation und etwa 30-facher Milliardär, hatte das Rennen 1995 gewonnen und SAYONARA seitdem mehr als dreimal hintereinander zum Weltmeisterschaftssieg in der Maxi-Klasse gesteuert. Nun wollte er herausfinden, wie viel besser er als Segler in den vergangenen drei Jahren geworden war. »Es wird ein interessanter Test werden«, hatte er sich selbst mit Blick auf sein zweites Sydney-Hobart-Rennen gesagt. Im Sport war eine Klarheit zu finden, die man in der Geschäftswelt so nicht haben konnte. Mit Oracle wollte er immer noch seine Rivalen IBM und Microsoft schlagen, doch das Geschäftsleben glich einem nie endenden Marathon.

      Nach jedem abgelaufenen Quartal kam ein neues. Im Sport dagegen gibt es Signaltöne. Dann läuft die Zeit ab. Quarterback Joe Montana, der noch 58 Sekunden Zeit übrig hat, spielt einen hohen Pass ganz weit nach hinten in die Endzone, und Dwight Clarks Fingerspitzen strecken sich zum Fangen – Touchdown. Sie gewinnen die NFC-Meisterschaft gegen die Dallas Cowboys. Muhammad Ali muss sieben Runden schwere Schläge des jüngeren und stärkeren George Forman einstecken, bevor er ihn in der achten Runde k. o. schlägt und den Weltmeistertitel in der Schwergewichtsklasse zurückgewinnt. Basketball-Legende Michael Jordan gelingt mit dem Schlusspfiff der letzte Sprungwurf gegen Utah Jazz. Er gewinnt damit seine sechste Meisterschaft. Das Spiel ist vorbei. Der Sieger steht fest. Alles eindeutig.

      Am frühen Sonntagmorgen des 27. Dezember – es ist der zweite Tag des Rennens – raste SAYONARA mit Kurs auf den südöstlichen Zipfel Australiens dahin. Die Wellen auf der offenen See wurden immer größer und gewaltiger, weil sie hier von keiner Landmasse beeinträchtigt werden können. Auch der Wind hatte kontinuierlich zugenommen. Die Böen erreichten inzwischen eine Stärke von 45 Knoten (etwa 85 km/h), und der Himmel hatte sich verdüstert. Vor dem Rennen hatte der Australische Wetterdienst eine Sturmwarnung herausgegeben. Die Segler wussten, dass es rau werden könnte. Doch Larry und die meisten seiner Männer an Bord hatten 1995 ähnliche Winde abgewettert.

      SAYONARA näherte sich der Bass Strait, jenem Gewässer, das Australien und Tasmanien voneinander trennt und dessen flacher Meeresboden hohen Wellengang und Brandung wie an einem Surfstrand verursacht. Plötzlich wurde SAYONARA von einer 50-Knoten-Böe beschleunigt. Larry steuerte einen tieferen Winkel vor dem Wind, um Druck aus den Segeln und vom Rigg zu nehmen. Doch es war zu spät. Der riesige Spinnaker mit der aufgedruckten japanischen Flagge zerriss wie ein Baumwolltuch. Während der Wind weiter zunahm und immer schwieriger vorherzusagen war, kam der Befehl, den stärksten Spinnaker zu setzen, der sich an Bord befand. Sein Spitzname: der Mini. »Das Segel ist unzerstörbar«, sagte Larry zuversichtlich, während SAYONARAS Bug die weißen Gischtberge durchschnitt. Unter Stress agiert der draufgängerische Milliardär hoch konzentriert. Er hatte schon Kunstfliegerei aus Spaß betrieben und in Stürmen vor Hawaii gesegelt. Er hatte sich einmal das Genick gebrochen und wäre beinahe zum Paraplegiker geworden. Und er hatte Oracle mehr als einmal vom Abgrund des Bankrotts zurückgesteuert. Er war der fünftreichste Mann der Welt. Und das nur zwei Jahrzehnte nach der Beinahe-Zwangsversteigerung seines eigenen Hauses, als er die Rechnungen für Wasser und Strom nicht mehr hatte bezahlen können. Seine Hobbys, so hat er es selbst einmal ausgedrückt, waren eine konstante Suche nach alternativer Spannung. An Bord der SAYONARA hatte er jetzt das gleiche Gefühl. Als hätte er gerade seinen italienischen Marchetti-Kampfjet auf der knapp 800 Meter kurzen Landebahn des kleinen Flughafens von San Carlos in der Region der Bucht gelandet: Sein Verstand fokussierte sich, zwang ihn in die Gegenwart. Sein Freund Steve Jobs hatte ihm einmal gesagt, dass die Landung eines Jets auf einer so kurzen Landebahn nicht möglich sei.

      SAYONARA segelte an diesem Sonntagmorgen auf direktem südlichen Kurs und wurde gerade wieder heftig von einer massiven Böe angeschoben, als das Unmögliche geschah: Das unzerstörbare Segel versagte. Der Bronzebeschlag des Spinnakerbaums, der mit seinem soliden Gewinde etwa einen halben Meter tief in dem Kohlefaserrohr sitzt, war herausgerissen, und der Mini, der Sturmspinnaker, flatterte wie lose Wäsche im Wind. Mit beiden Händen am Steuer fragte sich Larry: »Was für eine Kraft ist das, die so etwas anrichtet?«

      SAYONARA erreichte nun die 300 Kilometer lange und doppelt so breite Meerenge der Bass Strait, ruppig wie der Englische Kanal. Wie das Bermuda Dreieck hat auch die Bass Strait einen mystischen Ruf, trägt den Spitznamen »Schwarzes Loch«. Es ist ein Revier, in dem Schiffe verloren gingen oder sich in Wracks verwandelten. Und wo Boote wie Zweige zerbrachen. Die stürmischen Winde nahmen abrupt ab, und die Windrichtung änderte sich im Uhrzeigersinn von Rückenwind auf Wind direkt von vorn. Der Sturm schien sich zu verflüchtigen, der Wind beruhigte sich auf weniger als zehn Knoten. Butterworth, Larry und SAYONARAS 34-jähriger Projektmanager Bill Erkelens debattierten darüber, ob sie das große, schwere Vorsegel wieder hochziehen sollten. Larry war dafür, aber Butterworth wollte warten und SAYONARA durch die Übergangszone, also jenes Revier, in dem sich die nördlichen Winde in scheinbar milde südliche verwandeln, nur unter Großsegel manövrieren. Sie warteten zehn Minuten, bis Larry sicher war, dass sie den schlimmsten Bereich der Sturmfront passiert hatten. Er ließ das Vorsegel setzen, übergab das Steuer Butterworth und ging zur Navigationsecke im hinteren Teil des Bootes. Er glitt durch die Luke nach unten und nahm auf einer gepolsterten Bank Platz. Er schaute auf die beiden nebeneinander platzierten Laptops und die Instrumentenanzeige, wärmte sich die Hände und erwartete die Anzeige der Satellitenbilder auf den Bildschirmen. Als das erste der Bilder den Bildschirm füllte, weiteten sich seine Augen. »Hast du schon jemals etwas wie das hier gesehen?«, fragte er.

      Mark Rüdiger, SAYONARAS Navigator und Gewinner des gerade erst zu Ende gegangenen Whitbread Round the World Race, studierte die milchige Darstellung und schüttelte langsam den Kopf. Während er auf die wirbelnde, schäumende zyklonale Wolke mit einem Pluszeichen in ihrem Zentrum blickte, beantwortete Larry seine eigene Frage:


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