Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie

Der Milliardär und der Mechaniker - Julian Guthrie


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war im Alter von sieben Jahren gestorben, weil er auf einem Feld gespielt und eine italienische Granate für einen Ball gehalten hatte. Sie war in seinen Händen detoniert. Jozos Brüder lebten in Hodilje, einem kleinen Fischerdorf, von umgerechnet etwa 80 Dollar, die sie jeden Monat vom Staat erhielten. Um klarzukommen, erwirtschafteten sie sich als Fischer und Farmer etwas dazu, bauten Oliven, Tomaten und Kartoffeln an, verkauften Austern und Muscheln, mit denen sie ein bisschen Extrageld in der einheimischen Währung Dinar oder Kuna verdienten.

      Zum ersten Mal in ihrem Leben kamen Norbert, der gerade 44 Jahre alt geworden war, und sein 22 Jahre älterer Vater miteinander aus. Der Tod von Norberts Mutter Gertrude hatte sie drei Jahre zuvor enger zusammenrücken lassen. Gertrude war 59 Jahre alt gewesen, als sie zum Auftakt einer Europareise einen Asthmaanfall erlitt. Nach 35 Arbeitsjahren bei der Banc of America in San Francisco, wo sie als Kassiererin angefangen und als Vizepräsidentin aufgehört hatte, war sie in Rente gegangen und hatte einen Teilzeitjob in Marin County angenommen, um auch weiterhin eine Beschäftigung zu haben. Dort hatte sie eine 220-Dollar-Rundreise nach Deutschland für sich entdeckt. Sie war in Amsterdam und auf dem Weg nach Hamburg, als sie von einer schweren Asthmaattacke heimgesucht wurde. Sie hielt lange genug durch, sodass Jozo und Norbert an ihrer Seite sein konnten, als sie in einem holländischen Hotel starb.

      Eine der Gemeinsamkeiten von Norbert und seinem Vater war das Angeln. Und sie liebten es, im Golden Gate Yacht Club einen Drink zu nehmen. Der befand sich in einer stillen ungepflegten Ecke im Hafen von San Francisco nahe der Stelle, wo Jozos Boot vor Anker lag.

      Jozo hatte Norbert über Jahre hinweg bearbeitet, mit in sein Klimaanlagen-Geschäft einzusteigen, in dem Norbert immer wieder einmal phasenweise gejobbt hatte. In den frühen 1970er-Jahren hatte Norbert dort für fünf Dollar die Stunde ausgeholfen und genügend Geld verdient, um sich sein erstes Auto zu kaufen: einen braunen Ford Pinto Baujahr 1973.

      Norbert stieg 1982 in das Geschäft mit den Klimaanlagen ein. Zu dem Zeitpunkt beliefen sich die jährlichen Umsätze der Werkstatt auf etwa eine Million Dollar. 17 Jahre später hatten sich die Umsätze mit jährlich bis zu 2,4 Millionen Dollar mehr als verdoppelt. In einem durchschnittlichen Geschäftsjahr betrug der Umsatz etwa 1,4 Millionen Dollar. Während er sich in der mit Autos vollgestellten Werkstatt umsah, wurde Norbert von Stolz auf die geleistete Arbeit ergriffen. Aber es fühlte sich immer noch wie der Traum seines Vaters an. Nicht wie sein eigener.

      Antigua

      Mai 2000

      Bekleidet mit kakifarbenen Shorts und einem SAYONARA-T-Shirt, saß der braun gebrannte Larry Ellison mit Freunden und Segelkameraden am Lagerfeuer, als die Sonne hinter dem puderig weißen Sandstrand und dem klaren blauen Meer vor English Harbour auf Antigua hinter den Westindischen Inseln unterging.

      Larry und seine SAYONARA-Crew hatten gerade die Antigua Sailing Week zum zweiten Mal in Folge gewonnen. Die prestigereichste Regatta der Karibik war 1967 zum ersten Mal ausgetragen worden und bekannt für ihre umwerfend schöne Kulisse und ihre Après-Sail-Partys, auf denen der Rum nur so floss. SAYONARA hatte die gesamte Flotte von 300 Booten übertroffen, darunter die MORNING GLORY von SAP-Gründer und -Boss Hasso Plattner und die BOOMERANG des Schifffahrtsmagnaten George Coumantaros. Binnen fünf Jahren hatte sich SAYONARA in 25 von 27 Regatten erste Plätze gesichert. Sie hatte außerdem im Sydney-to-Hobart-Rennen heldenhaft dem todbringenden Sturm getrotzt. Der Sieg in dieser Antigua Sailing Week bescherte dem Oracle-Boss seinen vierten Weltmeistertitel in der Maxi-Klasse und die Tatsache, nun Eigner einer der erfolgreichsten Rennyachten in der Segelsportgeschichte zu sein.

      Rund um das Lagerfeuer trank Larry Wasser aus einer Plastikflasche, während eine karibische Steelband spielte und eine leichte Brise durch die umstehenden Palmen strich. Er hatte mit Anfang 20 dem Trinken von Alkohol komplett abgeschworen. Dem Entschluss war ein peinlicher Vorfall vorausgegangen, als er bei einer Party eine außer gewöhnlich verführerische junge Frau geküsst hatte, die ein transparentes pinkfarbenes Kleid trug. Die Frau war die Verlobte eines Freundes von ihm gewesen …

      Die Segler saßen rund um das Lagerfeuer und tauschten sich über die jüngsten Gerüchte aus der Welt des Regattasports aus. Russell Coutts, ein Mann mit Mopp-Frisur auf dem Kopf und bis vor Kurzem Skipper von Team New Zealand, hatte gerade den America’s Cup und damit die wichtigste internationale Segelsporttrophäe gewonnen. Dieser Russell Coutts sei nun für einen jungen europäischen Milliardär namens Ernesto Bertarelli im Einsatz, um ein Schweizer Herausforderer-Team für den nächsten Cup im Jahre 2003 aufzubauen. Das Überlaufen von Coutts und vier weiteren neuseeländischen Teammitgliedern – Murray Jones, Simon Daubney, Dean Phipps und Warwick Fleury – hatte die Neuseeländer sehr aufgebracht und Schockwellen durch die Reihen der Sportfans geschickt. Bertarelli hatte gesagt, er hätte es sich selbst nicht verziehen, wenn er eine solche Chance auf ein Team und die Cupteilnahme ungenutzt gelassen hätte. Während es im Cup schon lange sogenannte freie Agenten oder auch Segelsöldner gegeben hatte, war der Wechsel des erfolgreichen Coutts und seiner Gefolgsleute auf ein anderes Schiff für ein anderes Land doch in etwa vergleichbar mit der Vorstellung, dass die besten amerikanischen Tennisspieler im Davis Cup plötzlich für Frankreich antreten würden.

      Über mehr als eineinhalb Jahrhunderte war um den America’s Cup in einer sehr nationalistischen Weise gekämpft worden. Niemals zuvor hatte es Abwerbungen und Überläufer auf diesem Niveau gegeben. Gerade in den Jahren zuvor hatten sich die Neuseeländer einen Ruf als »New York Yankees des Segelsports« erworben, die »Mr. America’s Cup« Dennis Conner die Kanne 1995 vor San Diego gestohlen und 2000 vor Auckland in Neuseeland erfolgreich verteidigt hatten. Unter Coutts, der sich aufgrund seiner aggressiven Taktik schon früh den Spitznamen »Crash Coutts« erworben hatte, hatte Team New Zealand nicht ein einziges Cup-Rennen verloren.

      Die Nachrichten stimmten Larry nachdenklich. Er hatte den Cup seit Jahrzehnten verfolgt und im Alter von 26 Jahren die aufsehenerregende Geschichte von Bill Ficker gelesen, der den America’s Cup für den New York Yacht Club gewonnen hatte. »Ficker is quicker – Ficker ist schneller« lautete damals eine Schlagzeile. Larry gefiel die Vorstellung, dass das erste Cup-Duell ein halbes Jahrhundert vor dem ersten Finale der US-amerikanischen Baseball-Profiligen und fast zwei Jahrzehnte vor der Geburt des modernen College-Footballs an der Ostküste begonnen hatte. Die erste Cup-Regatta wurde im Rahmen der Weltausstellung in London ausgetragen, die am 1. Mai 1851 eröffnet worden war und neueste Erfindungen aus Industrie, Kunst und Wissenschaft gefeiert hatte – vom Telegrafen bis zur Nähmaschine. Unter den Besuchern der Messe im Hyde Park waren Charles Dickens, Samuel Colt, Alfred Lord Tennyson und Mitglieder der königlichen Familie. Bezahlt von den industriellen Ausstellern, machte die Messe mit ihrem berühmten Kristallpalast aus Glas und Stahl von sich reden. Die Vision zu dieser internationalen Ausstellung hatte Königin Victorias Ehemann Prinz Albert. Doch die Idee zu einem Segelrennen zwischen Nationen hatte eine Handvoll Männer des New York Yacht Clubs, der 1844 gegründet worden war.

      Die AMERICA repräsentierte das innovative Können der Vereinigten Staaten auf dem Wasser. Sie war ein 29 Meter langer, schwarzer Gaffelriggschoner mit einem konkaven Bug, tiefem Freibord und Baumwollsegeln. Man sagte ihr nach, dass ihre Segel besser die Form hielten als die Flachssegel der Briten. Sie hatte die Form von Lotsenbooten. Im Juni hatte sie ihre Segel im East River von New York City gesetzt und war auf ihrer Atlantiküberquerung von Kapitän W. H. Brown, der eine Werft am Fuße der östlichen 12. Straße in New York betrieb, und zwölf Männern bemannt worden. Brown hatte die AMERICA für 20 000 Dollar in bar bauen lassen. Der Marquis von Anglesey, ein Mitglied der 1815 gegründeten Royal Yacht Squadron als erstem Segelclub mit königlicher Bestimmung, warf einen Blick auf die AMERICA und sagte: »Wenn sie richtig ist, dann liegen wir alle falsch.« Ein weiterer Brite bemerkte, dass die AMERICA wie ein »Falke unter Tauben« aussehe.

      Das Segelteam an Bord der AMERICA wurde von John Cox Stevens geführt, dem Sohn eines revolutionären Kriegsoffiziers, dem ersten Kommodore des New York Yacht Clubs. Er war ein Mann, der wusste, wie man die eine oder andere Wette bei Sportveranstaltungen zu platzieren hatte. Der Crew gehörte auch James Hamilton an, Sohn des Gründungsvaters Alexander Hamilton, der einst erster Sekretär im Finanzministerium der Vereinigten Staaten gewesen war. Das Rennen – 53 Meilen rund um die Isle of Wight, wo Königin Victoria mit dem Osborne House ihr Sommerhaus


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