Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie
wurde nun von Regelbüchern, Sportpsychologen, Videoanalysen der gegnerischen Verhaltensmuster auf dem Wasser, Software mit virtuellen Kämpfen zwischen verschiedenen Teams und Liveanalysen der technischen Daten der Yachten während der Rennen geprägt. Die Segler, einst mit Kost und Logis bezahlt, konnten nun Tausende Dollar im Monat verdienen. Oder noch mehr. Auch sie hatten sich weiterentwickelt. Kannten sie früher einfach das Boot und konnten die Segelbedingungen lesen, so beschäftigten sie sich nun auch mit der Konstruktion und dem Bau der Yachten, mit der Physik hinter der Verdrängung eines Bootes und seinem Vortrieb.
Larrys Interesse für den Segelsport war in seinen Teenagerzeiten entzündet worden, als er im Süden Chicagos mit seinen Adoptiveltern Lillian und Louis Ellison in der unteren Mittelschicht aufwuchs. Es war eine Titelgeschichte in »National Geographic«, die ihn packte. Sie berichtete von einem Jungen namens Robin Lee Graham, der als jüngster Mensch die Welt allein umsegeln wollte. Die erste Folge der Geschichte erschien mit einem Bild des schlanken und sonnengebräunten Graham ohne T-Shirt an Bord seiner 24-Fuß-Sloop DOVE. Der Titel lautete »Ein Teenager segelt allein um die Welt«. Larry las jedes Wort über die Abenteuer dieses Teenagers in seinem kleinen Boot, seine Reisen in exotische Reviere, seine beiden Katzenjungen an Bord und seinen Kurzwellenempfänger zur Gesellschaft. Er beneidete Graham um die Unterstützung seiner Eltern bei diesem Abenteuer. Er repräsentierte das Gegenteil seines eigenen Lebens. Larrys Stiefvater, ein russischer Jude, der 1905 mit einem Dampfschiff nach Amerika gekommen war und seinen komplizierten russischen Namen auf Höhe von Ellis Island in Ellison geändert hatte, schien viel Zeit damit zu verbringen, dem jungen Larry zu sagen, dass er ohnehin niemals einen bedeutenden Beitrag zu irgendetwas leisten würde. Die beiden hatten mehr Streitpunkte als Gemeinsamkeiten. Lou Ellison verehrte autoritäre Figuren. Er war auf ewig dankbar, ein Amerikaner zu sein. Larry aber hielt die Mächtigen für weitgehend uninspiriert oder falsch in ihren Ansichten. Wenn die beiden über die Tugenden von Präsident Eisenhower und seine Politik sprachen, erklärte Lou Larry: »Er ist der Präsident. Er weiß Dinge, von denen wir keine Ahnung haben. Diese Informationen ermöglichen es ihm, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auch, wenn wir sie nicht verstehen können.« Larry antwortete: »Er sieht für mich aus wie ein Mensch. Ich bin sicher, dass er Fehler macht wie alle anderen Menschen auch.« Larry glaubte nie an die Unfehlbarkeit von Obrigkeiten. Liebend gern zitierte er Mark Twain: »Was ist ein Experte? Nur ein Typ von außerhalb.«
Larry vergaß die »Experten«-Tipps nie, die er während seiner Kindheit von Autoritäten erhalten hatte. Als Schüler an der South Shore High School hatte man ihm gesagt, dass ein verpatzter Latein-Abschluss ihm das Leben »ruinieren« würde. Er schaute seinen Lehrer an und sagte: »Wenn ich aufgrund eines Verkehrsunfalls querschnittgelähmt wäre, würde das vielleicht mein Leben ruinieren. Aber eine Note ist doch nur ein Zeichen in einem Rechteck.« Der Lehrer fand das wenig witzig. Doch Larry lernte gut genug für eine befriedigende Note. Als Junge hatte Larry einmal fast den Biologie-Abschluss vermasselt, weil er nie ins Labor und stattdessen lieber zum Basketball-Training ging. Seine Biologielehrerin, die zufällig die Mutter eines seiner besten Freunde war, sagte ihm bei einem Familienessen, dass sie ihn durchfallen lassen könnte, weil er die Laborstunden hatte ausfallen lassen, und er dann seine Zulassung zu den Sportstunden verlieren würde. Larry konterte: »Was wäre, wenn ich in der Abschlussprüfung die beste Note schreibe und beweise, dass ich mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse? Würden Sie mich dann immer noch durchfallen lassen?« Sie sagte: »Ja.« Und Larry dachte: »Cool, da wird also die Person, die mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse, die einzige sein, die durchfällt. So funktioniert die Welt also.« Untypisch für Larry war, dass er sich tatsächlich intensiv auf die Prüfung vorbereitete und alle damit überraschte, als er in der schwierigen Schlussprüfung die beste Note schrieb. Die Biologielehrerin gab nach und ihm im Zeugnis eine Drei. Im Physikunterricht war Larry bei seinem Lehrer ähnlich unpopulär. Er hatte die anstrengende Angewohnheit, seinen Ausbilder beim Schreiben von Problemlösungen an der Tafel zu korrigieren. Larry war, was Lehrer heute »verhaltensauffällig« nennen. Grahams Geschichte trug den Jungen von dieser Art Reglementierung und dem Katechismus der Schule zu Abenteuer und Freiheit auf See. Hier war ein Junge über Wochen allein auf See unterwegs. Er musste mit Stürmen, kreisenden Haien und gebrochenen Masten klarkommen. Er besuchte exotische Orte wie Pago Pago und Guadalcanal. Und bei alledem war er sein eigener Steuermann.
Larry starrte in das Lagerfeuer von Antigua und lächelte über die Gerüchte der Segler. Irgendjemand sagte, es sei an der Zeit, sich für die nächtliche Siegerehrung umzuziehen. Kurze Zeit später erschien Larry in seinen Kaki-Shorts, einem schwarzen Gürtel und einem kurzärmeligen schwarzen SAYONARA-Seidenhemd im Lokal.
Eine der Eigenschaften Antiguas, die Larry besonders mochte, war ein bestimmter Teil der Inselgeschichte. Hier lag das Revier, in dem sein Held Admiral Horatio Nelson trainiert hatte, bevor er als junger Leutnant auf der Insel sein Basiscamp einrichtete und die Verfolgung von Rumschmugglern aufgenommen hatte. Larry war überzeugt davon, dass er – hätte er im frühen 19. Jahrhundert gelebt – zur Royal Navy gegangen wäre. In der Armee trugen reiche Aristokraten selbst Sorge für ihre Ausstaffierung und waren verantwortlich für ein Regiment. Aber zu einem gewissen Prozentsatz war die Armee auch eine Leistungsgesellschaft, in der das Emporklettern auf der Karriereleiter vom mathematischen Navigationskönnen jedes Einzelnen abhängig war. Gleichzeitig musste man Glück haben, auf dem Schlachtfeld nicht getötet zu werden. Horatio Nelson hatte in der Armee als »Puderaffe« begonnen, war einer jener Jungs, die klein genug waren, das Schießpulver aus dem Pulverturm aus dem Herzen des Kriegsschiffes zu holen. Dazu mussten sie durch die schmalen hölzernen Tunnel kriechen, um die Kanonen auf den Schießdecks zu erreichen. Jahre später kommandierte Nelson die britische Flotte mit 27 Schiffen, die 1805 während der Napoleonischen Kriege in der berühmten Schlacht von Trafalgar 33 französische und spanische Schiffe besiegte. Es war der entscheidende britische Sieg zu See in diesem Krieg. Nelson war der Sieger, obwohl er im Kampf angeschossen wurde und starb. Seine unorthodoxen taktischen Schachzüge hatten den Ausschlag gegeben. Statt seine Flotte dem Feind in einer geschlossenen Linie gegenüberzustellen, was zur damaligen Zeit der üblichen Strategie entsprach, teilte er seine zahlenmäßig unterlegene Flotte in zwei hintereinander formierte Linien auf, die er im rechten Winkel zur formidablen gegnerischen Streitmacht positionierte. Diese Aufstellung verwirrte die Franzosen derart, dass sie die Schlacht verloren.
Larry setzte sich im Lokal an einen Tisch. Er dachte immer noch über die Abtrünnigkeit von Superstar Coutts und seinen Kiwis nach, als SAYONARAS höchst geselliger Trimmer Tony Rae dazukam und fragte, ob er darüber nachgedacht habe, sein Team auf ein neues Niveau zu heben. Er wies darauf hin, dass Larry mit Dickson, Butterworth, Joey Allen, Robbie Naismith und sich selbst bereits über eine eindrucksvolle Crew verfüge. Dazu über ein von Bruce Farr angeführtes Design-Team und das von einem weiteren Kiwi namens Mark »Tugsy« Turner geführte Bootsbauteam.
»Ist jemals irgendjemand im America’s Cup zu Tode gekommen?«, fragte Ellison mit einem Augenzwinkern. Nach der Sydney-to-Hobart-Regatta hatte Larry dem Hochseesegelsport zugunsten von küstennahen Tagesrennen abgeschworen. Rae, der von allen nur »Trae« genannt wurde, war seit 1987 Mitglied im Team New Zealand und Teil der Crew, die den Cup 1995 gewonnen und im Jahre 2000, also erst zwei Monate zuvor, erfolgreich verteidigt hatte. Er lachte Larrys Frage einfach weg (die Antwort lautete ja; ein spanischer Segler war während eines Trainings an Bord einer America’s-Cup-Yacht ums Leben gekommen).
Trae fuhr fort zu erklären, wie eine solche Kampagne zu formieren sei und was dafür nötig wäre. Ein Syndikat oder ein Team für den America’s Cup aufzubauen sei wie der Startschuss zu einer politischen Kampagne. Der Kandidat – Team, Skipper und Crew – müssten vorbereitet sein und die Eröffnung gewinnen. In diesem Fall also die Qualifikation zum America’s Cup namens Louis Vuitton Cup. Erst dann ginge es in den entscheidenden Tanz.
Wie in der Politik würde ein manipulativer Gesetzgeber die künftigen Wettbewerber kontrollieren und bis zu seiner Absetzung regieren. Beherrscht würde der Cup fast von Beginn an von der 1857 entstandenen Stiftungsurkunde (»Deed of Gift«). Zu der damaligen Zeit war es ein Dokument mit 240 Worten, das »einen friedlichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Nationen« versprach und verkündete, dass der Herausforderer »auf eigenem Bug« zur Austragungsstätte anreiste. Eine weitere Klausel infolge der nächsten Überarbeitung verbannte Teams von