Muslimin sein. Carla Amina Baghajati

Muslimin sein - Carla Amina Baghajati


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      Es geht also um etliche Einschränkungen, wobei bezüglich des Betens, Fastens und des tawafs, der rituellen Umrundung der Kaaba in Mekka, ein weitgehender Konsens unter den Gelehrten besteht, obwohl, wie eingangs bereits festgestellt, eigentlich keine relevante Aussage dazu im Koran vorliegt. Ableitungen aus der gelebten Praxis der Frühzeit des Islams sind also erforderlich. Wie bereits ausgeführt gibt es hier authentische Schilderungen von Frauen im unmittelbaren Umfeld des Propheten und auch Aussagen von ihm selbst. Bei der Pilgerfahrt etwa ist interessant, dass er Frauen, die mit der Absicht, diese zu verrichten, aufgebrochen waren, erklärte, sie müssten in den Zustand der rituellen Reinheit eintreten (ihram) – also eine rituelle Ganzkörperwaschung vornehmen, die sonst erst am Ende der Menstruation möglich ist – und sich vor der Blutung eben mit einer Binde schützen, um sich frei bewegen zu können.36 Nicht von allen Riten der Hadsch sind menstruierende Frauen zudem ausgenommen: „Wenn die menstruierende Frau und die Frau im Wochenbett die Zeit erreichen, sollten sie baden, in den Ihram eintreten (also wie oben) und alle Rituale (wie die anderen) ausführen, außer den Tawaf um die Kaaba.“37

      Für die Untersuchung des Reinheitsaspekts ist besonders aufschlussreich, dass der ihram-Zustand auch für eine Menstruierende gültig ist, ja sie diesen bewusst annehmen kann. Denn dieser oft mit „Weihezustand“ übersetzte Begriff umschließt die ganze spirituelle Dimension, Gottes Nähe während der Pilgerfahrt zu suchen. Ist die Ganzkörperwaschung (ghusl) schon ein spiritueller Akt, so das Eintreten in den ihram noch viel umfassender und für viele Muslime ein einzigartiges Erlebnis, weil es sozusagen das Tor bildet, die Pilgerfahrt zu vollziehen, an deren Ende das Ziel steht, sich wie „neugeboren“ zu fühlen. Dass Frauen, auch wenn sie ihre Tage haben, nicht ausgeschlossen sind, zeigt ganz deutlich, dass sie während dieser Zeit eben nicht irgendwie „minderwertig“ sind. Wer dies in aller Konsequenz bedenkt, kann für sich auch viel eher annehmen, dass es beim Aussetzen von Beten und Fasten in dieser Zeit um eine wirkliche Erleichterung geht, die ihren „verletzlichen Zustand“ berücksichtigt.

      Wünschenswert wäre ein reflektierter Sprachgebrauch beim Verfassen religiöser Erläuterungen. Wenn Männern erklärt wird, sie müssten sich von einer rituellen Unreinheit (Samenerguss) zuerst mit einer Ganzwaschung (ghusl) reinigen, ehe sie wieder beten, so findet sich nicht jener abwertende Unterton, der Texte rund um die Menstruation häufig begleitet. Wenn dagegen Frauen lesen, dass nach ihrer Periode ein ghusl vorzunehmen sei, dann oft mit dem Beisatz „damit sie ihre Reinheit wieder erlangen“, was impliziert, sie seien während der Periode „unrein“.

      Dass die rituelle Unreinheit nicht mit einer den ganzen Menschen umfassenden Unreinheit zu verwechseln ist, belegt eine Episode, in der ein Mann, der sich nach dem Beischlaf noch nicht gereinigt hatte, dem Propheten schamhaft aus dem Weg ging. Dieser wies ihn zurecht, dass er sehr wohl auch in diesem Zustand neben ihm hätte sitzen können: „Preis sei Gott! Ein Muslim wird doch nie unrein!“38 Diese Aussage bezieht sich in ihrer Allgemeingültigkeit natürlich sowohl auf Männer wie auf Frauen. Das innere Bekenntnis zum Islam bedingt bereits eine Gottesnähe, die nicht temporär durch Zeiten sehr menschlicher körperlicher Zustände – die ja alle in Gottes Schöpfung liegen! – aufgehoben werden kann.

      Die monatliche Blutung als natürlichen Vorgang anzunehmen, ist wichtig für Frauen, um sich in diesen Phasen positiv wahrnehmen zu können. In der theologischen Literatur zur Menstruation gibt es eine Fülle von Datierungsvorschlägen, wie die Zeit der Regelblutung zu bemessen sei. Diese beziehen sich nicht nur auf direkte Hinweise, sondern auch auf allgemeinere theologische Erkenntnisse, von denen ausgehend Übertragungen vorgenommen werden. So manche Aussage würde einer medizinischen Überprüfung aus heutiger Sicht kaum standhalten. So zum Beispiel der schon zitierte Ibn Al Djauzi: „Wenn eine junge Frau Blut sieht und sie ist neun Jahre alt, so handelt es sich um die Menstruation. Wenn sie Blut sieht und sie ist über fünfzig Jahre, dann ist das kein Regelblut.“ Verwirrend mag auch scheinen, wie die Anzahl der Tage einer Blutung bei Hanafi auf ein Minimum von drei und ein Maximum von zehn Tagen festgelegt ist, während ein anderer der vier sunnitischen Begründer einer Rechtsschule, Shafai, von bis zu fünfzehn Tagen ausgeht. Da ist es als betroffene Frau wohl realitätsnäher, sich direkt an Aisha zu orientieren. Frauen hatten ihr einige Wäschestücke mit gelben Flecken zugesandt, weil sie wissen wollten, ob ihre Menstruation schon beendet sei. Sie kommentierte: „Seid nicht hastig, bis ihr den weißen Ausfluss seht.“ Anstatt stur Tage zu zählen, geht es also vor allem um Selbstbeobachtung. Wer das unternimmt, lernt sich und den eigenen Körper viel besser kennen und wird sich im Zyklus so auskennen, dass dies auch beim Spüren der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage hilft und insgesamt ein tieferes Körperbewusstsein und innere Balance mit sich bringt. Eine muslimische Frau mag sich auch daran erinnern, dass der islamische Mondkalender ihr das Verfolgen des Monatszyklus erleichtert, weil er sich oft mit diesem deckt.

      Im Zusammenhang mit der Natürlichkeit des weiblichen Zyklus sei auch daran erinnert, dass Blut nichts „Ekliges“ an sich hat. Es wurde schon festgestellt, dass manche Gelehrte eine Blutung nicht einmal als Grund sehen, die Gebetswaschung zu erneuern. Sicher ist auch, dass eine Zwischenblutung (istihada) keine Befreiung vom Gebet mit sich bringt. Hier wird das Blut einfach abgewaschen und nach der Gebetswaschung das Ritualgebet verrichtet. Bei der Menstruation und dem Wochenfluss geht es also nicht eigentlich um das „Bluten“, denn das ist nur das äußere Anzeichen für jenen Zustand der Verletzlichkeit, wie er in 2:222 bezeichnet wird, auf den in der religiösen Praxis Erleichterungen folgen.

      Eine Frau ist auch völlig frei darin, sich vielleicht umso intensiver anderen Formen des Gottesdienstes zu widmen. Die dua‘, das Bittgebet, und der dhikr, das intensive Gedenken Gottes mit meditativem Charakter, stehen den Gläubigen jederzeit auch ohne vorherige Gebetswaschung offen.

      Dass die Unmöglichkeit, eine Gebetswaschung zu verrichten, den Hintergrund der Einschränkungen bei manchen religiösen Übungen bildet, hat einige wenige Meinungen dazu gebracht, das Fasten anders zu betrachten als das Ritualgebet. Denn würde man eine Übertragung von jenen Hadithen vornehmen, in denen eindeutig davon die Rede ist, dass Männer im Zustand, in dem sie noch einer Ganzwaschung bedürfen, das Fasten begannen und dieses volle Gültigkeit hat, so würde die Notwendigkeit der rituellen Reinheit beim Fasten wegfallen. Eine solche Auslegung, die davon ausgeht, beim Nicht-Fasten der Frauen gehe es um eine ruhsa – eine Erleichterung, bei der sie selbst entscheiden können, ob sie dieser bedürfen oder nicht – bildet aber eine absolute Minderheitenmeinung und würde bei den Frauen selbst auf Protest stoßen.

      Zum tawaf zeigt die Al Azhar einen interessanten Ansatz, indem sie moderne Herausforderungen bedenkt. War es in alten Zeiten kein Problem, wenn eine Frau eben bis zur Beendigung der Menstruation wartete, ehe sie den tawaf ausführte, kann das heute bei gebuchten Flügen und zu verlängernden Hotelaufenthalten logistisch und finanziell große Probleme verursachen. Unter Berücksichtigung dieser geänderten Umstände wird einer Frau der tawaf freigestellt, auch wenn sie ihre Regel hat. Al Azhar sichert sich gegen Vorwürfe ab, dass dies ja wohl eine willkürliche Fatwa sei, indem zusätzlich Hadithe als Belege angeführt werden, die zeigen, dass es unter den frühen Muslimen sehr wohl eine ähnliche Praxis gegeben hat.

      Was das Lesen des Korans betrifft, so bestehen im Gegensatz zur zuvor zitierten Meinung von Ibn Al Djauzi durchaus verschiedene Auffassungen. Weil viele Muslime aus großem Respekt vor der Würde des originalen Korantextes, des mushaf, diesen nur nach einer Gebetswaschung berühren wollen oder laut rezitieren, sind viele Frauen zurückhaltend, den Koran während ihrer Periode, wo sie diese Waschung nicht vornehmen können, zur Hand zu nehmen und zu lesen. Moderne Technik wie Internetseiten, die den Koran nicht nur optisch abbilden, sondern daneben von diversen Rezitatoren bis zur Möglichkeit, Übertragungen in eine Vielzahl von Sprachen einzublenden, eine große Auswahl zum Studium bieten, machen es unnötig, das Buch selbst anzugreifen. Schon seit langem gibt es außerdem Auslegungen, die vor dem Hintergrund des Abwägens von Prioritäten etwa einer Koranlehrerin freistellen, auch während ihrer Tage den Koran selbst laut zu rezitieren.

      Auch was das Betreten einer Moschee angeht, hat der bereits erwähnte Hadith, demnach eine menstruierende Frau einen Gebetsteppich in der Moschee ausbreitet, gezeigt, dass es hier wohl nicht um ein absolutes


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