Muslimin sein. Carla Amina Baghajati
Islam konvertiert sind, tun sich oft schwer damit, dass sie während der Zeit ihrer Monatsblutung von einigen religiösen Übungen befreit sind: Das rituelle Gebet, fünfmal über den Tag verteilt, und das Fasten im Ramadan sind hier vor allem zu nennen. So ganz fremd ist ihnen die Anschauung ja nicht, dass Frauen in dieser Zeit irgendwie „anders“ seien. Noch die Großmutter vermied, in diesen Tagen Marmelade einzukochen. Auch in Europa herrschte lange Zeit die Vorstellung, Frauen seien während der Menstruation „unrein“ und man halte sich besser von ihnen fern. Feministinnen wie Germaine Greer begannen bewusst, zu Beginn der 1970er-Jahre Tabus um die Menstruation der Frau aktionistisch aufzubrechen. Bis heute scheint diese Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen. Publikationen wie Chella Quints „Adventures in Menstruating“ oder Chris Bobels „New Blood – Third-Wave Feminism and the Politics of Menstruation“ liefern weiterhin Diskussionsstoff. Wegzukommen von strikten Zuschreibungen, was „Frau“ sei, und gleichzeitig die eigene Körperlichkeit in all ihren Aspekten aus weiblicher Sicht offen zu besprechen und zu ihr zu stehen, bleibt ein Anliegen.
Sichtweisen auf die Regelblutung sind auch bei Muslimen nicht frei von Zuschreibungen, die darin gerne die These von der angeblich gefühlsbewegten und sprunghaften weiblichen Veranlagung begründet sehen wollen. Dies kann negative Folgen für Frauen haben, wenn mit dieser Begründung ihre gesellschaftliche Teilhabe eingeschränkt werden soll, wie dies im Kapitel über die Zeugenschaft noch erörtert werden soll.
Die Menstruation wird im Koran nur einmal erwähnt. Da heißt es: „Und sie werden dich fragen nach den monatlichen Perioden (der Frauen). Sag: ‚Es ist ein verletzlicher Zustand.‘“29 Dies ist eine der Stellen, in denen Gott sich direkt an den Propheten wendet („Sie werden dich fragen“) und ihm aufträgt, wie er mit den Fragen der muslimischen Urgemeinde nach der Regelblutung umgehen soll. Interessant ist hier schon einmal, dass damit dokumentiert ist, wie wenig sich die frühen Muslime scheuten, auch den Bereich der Sexualität offen anzusprechen. Im Verlauf des Verses geht es dann auch darum, dass Geschlechtsverkehr in der Zeit der Menstruation aus Rücksicht auf die Frau religiös verboten ist. Tabus im Gespräch über natürliche körperliche Vorgänge und Bedürfnisse bestanden nicht. Diese Einstellung, über derlei Dinge offen reden zu können, wird uns immer wieder begegnen, etwa wenn wir diesen Vers im Kapitel über Sexualität noch einmal aufgreifen – dies steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu manchen kulturell geprägten Erscheinungen von falsch verstandener Schamhaftigkeit und daraus resultierender Sprachlosigkeit.
Muhammad Asad, dessen Koranübertragung oben zitiert wurde, hat sich offensichtlich bemüht einen möglichst neutralen Ausdruck für das arabische ’aḏan zu finden, der frei ist von einem Ton, der Frauen während ihrer Monatsblutung als irgendwie „eingeschränkt“ oder gar „geschädigt“ sieht. Ihm war wohl bewusst, dass jeder Beigeschmack einer Art Abwertung der Frau während ihrer Regelblutung genau jene Projektionsfläche bietet, die dann zu gar nicht einmal böse gemeinten Interpretationen führt, nach denen Frauen eben nicht die gleichen Aufgaben zuzutrauen seien wie Männern. Wer sich hier an die Rede von den Frauen als dem „schwachen Geschlecht“ erinnert fühlt, spürt auf, wie kulturübergreifend männliche Zuschreibungen über die Frau sein können.
Asads Koranübertragung ins Deutsche hebt sich damit wohltuend von den meisten anderen ab. Khoury, Bubenheim und Rassoul übertragen die Beschreibung der Menstruation im Koran mit „Leiden“, Azhar und Ahmedeyya mit „Schaden“, Paret mit „Plage“, Pickthall mit „Krankheit“ (illness). Zaidan spricht dagegen nur von einer „Beschwerlichkeit“, während Ali F. Yavuz gar den Ausdruck „eine verhasste Unreinheit“ (nefret edilen bir pislik) verwendet und damit eine emotionale Wertigkeit ins Spiel bringt, von der es nicht weit ist zu Minderwertigkeitsgefühlen einer Frau während ihrer Periode als einer zumindest temporär „Unreinen“.
Die Liste dieser Übertragungsvarianten ist einer Internetseite entnommen, die der Bewegung der Koranisten (quraniyun) zuzurechnen ist.30 Diese aus der Türkei stammende Bewegung beruft sich ausschließlich auf den Koran und wirft die Prophetenüberlieferung komplett über Bord. Daher vertritt sie hier auch den Standpunkt, Frauen könnten während ihrer Regel fasten und beten wie sonst auch – schließlich stehe im Koran nichts Gegenteiliges. Ganz so einfach kann man sich die Sache dann doch nicht machen. Denn über die Sunna, also das in vielen Hadithen beschriebene Vorbild des Propheten Muhammad, können Gläubige nicht hinweggehen – schließlich spricht der Koran selbst mehrfach davon, dass das Beispiel des Propheten zu berücksichtigen sei.31 Er gilt als „der lebende Koran“32, weil er diesen durch sein Vorbild in die Glaubenspraxis übersetzte. Die Koranisten übertreiben ihre Kritik am Hadith bis zur totalen Zurückweisung. Auch wenn hier durchaus kritische Betrachtungen angebracht sind – etwa zur Authentizität oder zum historischen Hintergrund, wann sich jemand an diese oder jene Aussage erinnerte – könnten ohne die Sunna viele praktische Fragen gar nicht beantwortet werden. Auch in Frauenfragen ist die Sunna eine wichtige Quelle.
Der Gattin des Propheten, Umm Maimuna, verdanken wir eine sehr klare Überlieferung, warum an einer Frau nichts „Schmutziges“ ist, während sie menstruiert: „Zuweilen rezitierte der Prophet den Koran, wobei er den Kopf auf das Knie von einer von uns Frauen gelegt hatte, die ihre Regel hatte. Es geschah auch, dass eine von uns seinen Gebetsteppich in die Moschee trug und ihn ausbreitete, während sie ihre Regel hatte.“33 Auch bei Bukhari findet sich eine auf Aisha zurückgehende Überlieferung, die ähnlich berichtet, dass der Prophet den Kopf in ihren Schoß gebettet hatte und so den Koran rezitierte, während sie ihre Tage hatte.
Der Prophet pflegte also einen völlig unverkrampften Umgang mit den Frauen auch während ihrer Regelblutung. Mehr als das sah er ihren momentanen Zustand nicht als etwas, das ihn spirituell von Gott entfernen würde, käme er mit ihnen körperlich in Berührung. Hätte er sonst beim Koranlesen die direkte körperliche Nähe gesucht? Für muslimische Frauen ist dieses Verhalten des Propheten in Bezug auf die Selbstwahrnehmung ihrer Menstruation eine große Hilfe, um zu erkennen, dass sie selbst in dieser Zeit keinesfalls „schmutzig“ sind.
In den Handbüchern für muslimische Frauen, wie sie seit dem Mittelalter immer wieder von Gelehrten zusammengestellt wurden, wird die Menstruation sehr oft unter dem Aspekt der tahara, der rituellen Reinheit, behandelt – auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sich die fatale Assoziationskette in Richtung „Unreinheit“ der Frau bilden konnte. Nach der Beendigung der Menstruation ist eine Ganzkörperwaschung (ghusl) notwendig. Die rituelle Reinheit ist für manche gottesdienstliche Handlungen wie das fünfmal täglich zu verrichtende Gebet eine Voraussetzung. Dazu gibt es eine Gebetswaschung (wudu, abdest), bei der Hände, Mund, Nase, Gesicht, Kopf, Arme bis zum Ellenbogen und Füße gewaschen werden. Hierbei geht es nicht allein um den Aspekt der Hygiene und äußerlichen Sauberkeit, sondern um ein viel ganzheitlicheres Streben nach innerer Reinheit. Beim Waschen der genannten Körperteile sollten Gläubige auch darüber nachsinnen, was sie mit diesen seit der letzten Waschung getan haben. Wer etwa über andere schlecht geredet hat, sollte bei der Gebetswaschung (wudu) die Gelegenheit ergreifen, sich innerlich davon zu distanzieren, diese Tat bereuen und den Vorsatz fassen, sie nicht zu wiederholen beziehungsweise den eventuell entstandenen Schaden wieder gut zu machen. Es geht also nicht um eine rein äußerliche Handlung. Die Waschung hat eine zutiefst spirituelle Seite.
Die Gebetswaschung muss nicht bei jedem Gebet erneuert werden. Sie kann gültig bleiben, wenn man dazwischen nicht in tiefen Schlaf gefallen ist. Ausscheidungen, wie Urin oder Stuhlgang, aber auch aus Blähungen resultierende Winde machen die Erneuerung der Gebetswaschung erforderlich. Uneinigkeit herrscht bei den Gelehrten über den Umgang mit einer Blutung. Wer sich etwa beim Vorbereiten von Gemüse fürs Kochen in den Finger geschnitten hat, sollte nach manchen Auslegungstraditionen seine Gebetswaschung erneuern.
Was die Blutungen der Frauen betrifft, so wird unterschieden zwischen jenen bei der Menstruation (haid), dem Wochenfluss nach einer Geburt (nifas) und solchen aus anderer Ursache (istihada) wie außerhalb des Zyklus auftretende Schmierblutungen. Solange eine Frau menstruiert oder noch Wochenfluss auftritt, hat das Folgen für die religiöse Praxis. Ibn Al Djauzi listet auf: „Die Menstruation verbietet das Verrichten des Gebets, und es muss auch nicht nachgeholt werden. Das Fasten ist auch verboten, muss aber später nachgeholt werden. Das