Muslimin sein. Carla Amina Baghajati
Ruhm lobpreisen und Dich preisen und Deinen Namen heiligen?‘ Gott antwortete: ‚Ich weiß, was ihr nicht wisst.‘“11 Die Stelle weist auch auf die besondere Rolle des Menschen hin, auf der Welt „eingesetzt“ zu sein. Mann und Frau sind beide als khalifatullah, also als „Statthalter Gottes“ entsandt und tragen damit besondere Verantwortung für die Schöpfung. Dieser Gesichtspunkt wird uns noch einmal beschäftigen, wenn wir auf die politische Repräsentation zu sprechen kommen.
Die absolute Gleichwertigkeit von Mann und Frau als Menschen zeigt sich überall, wo es um das Verhältnis zwischen ihnen geht. Bereits die Geschichte der Erschaffung des Menschen macht die gleiche Bedeutung von Mann und Frau klar. Dazu sei der Beginn der vierten Sure zitiert: „O Menschheit! Seid euch eures Erhalters bewusst, der euch aus einer einzigen lebenden Wesenheit erschaffen hat und aus ihr Partnerwesen erschuf und aus den beiden eine Vielzahl von Männern und Frauen verbreitete.“12 Mann und Frau sind also aus der gleichen Ursubstanz geschaffen und bedingen sich gegenseitig. Sie brauchen einander.
Wenn von der Erschaffung Adams die Rede ist, so als dem Menschen an sich – das Geschlecht ist dabei nebensächlich. Als Gott den Engeln sich vor dem neu geschaffenen Mensch zu verneigen befiehlt, dann nicht als dem Mann, sondern als dem Mensch, dem er soeben von Seinem Geist eingehaucht hat und den er die Namen der Dinge gelehrt hat.13 An verschiedenen Stellen taucht die Erzählung von der Schaffung des Menschen auf. Da ist von der Erschaffung „eines sterblichen Menschen“ aus „tönendem Lehm, aus dunklem, verwandeltem Schleim“14 die Rede – es geht um die Schaffung des Menschen an sich. Wenn an verschiedenen Stellen im Koran von den bani Adam, den Kindern Adams, die Rede ist, dann immer als Synonym für die Menschen.
Im Unterschied zur Bibel findet sich im Koran kein Hinweis darauf, dass Eva aus der Rippe Adams geschaffen worden sei. Auch daraus lässt sich also kein hierarchisches Verhältnis begründen. Allerdings ist das Rippenbild unter Muslimen trotzdem verbreitet. Ausgerechnet die Geschichte Evas, von der mich begeistert hatte, dass sie keine Projektionsfläche bietet, die Frau an sich abzuwerten oder in ein bestimmtes negatives Eck zu stellen, wird durch außerkoranische Quellen ergänzt und dadurch in ihrer klaren Aussage verwässert, ja völlig umgedeutet. Eva als „Prototyp“ des Weiblichen kann so doch wieder als „schlechte Kopie des Mannes“, als die Zweitgeschaffene und damit zweitrangige angesehen werden.
Denn in der Sunna kommt dieses Motiv zur Sprache. Da dem Propheten Vorbildcharakter zukommt, bilden diese Zeugnisse der Sunna die zweite Quelle der Theologie gleich nach dem Koran. Viele Fragen der religiösen Praxis wären ohne die Sammlung der Sunna gar nicht zu beantworten. Klassisches Beispiel ist hier das Gebet, dessen ritueller Ablauf vor allem durch das Vorbild des Propheten Muhammad erklärt wird. An der großen Bedeutung und der Unverzichtbarkeit für die Auslegung besteht also kein Zweifel, wenn es um die Sunna geht. Die Sunna wird durch viele Einzelberichte (Hadithe) überliefert.
Dennoch sind Fragen nach der Auslegungstradition aber auch nach dahinterstehenden Interessen angebracht, eine Höherwertigkeit des Mannes zu behaupten und diese durch eine bewusste Auswahl bestimmter Texte und Unterdrückung anderer Texte zu „beweisen“. Der „Rippenhadith“ ist unter Muslimen weit verbreitet und hat eine entsprechende Wirkungsmacht entfalten können. Erstaunlich ist dabei, dass er so klar in Widerspruch zu koranischen Aussagen steht. Viele Muslime nehmen ihn als dermaßen gesichert in seiner Überlieferungskette der Tradenten an, dass sie Scheu haben am Inhalt zu zweifeln. In der Einleitung wurde ja schon beschrieben, wie ein Rütteln am matn, dem Inhalt eines Hadith, viel mehr Skrupel hervorruft, als beim isnad, den Überlieferern, anzusetzen. Es besteht in der Auslegung aber eine Art „blinder Fleck“, gerade wenn es um das Verhältnis der Geschlechter geht. Wer sich hier Denkverbote auferlegt, konserviert traditionelle Sichtweisen, die einer Revision bedürfen.
Für den christlich-muslimischen Dialog ist die Parallelstelle in der Bibel (Genesis 2, Verse 22 bis 24) besonders interessant. Tatsächlich steht zu vermuten, dass Koranexegeten wie Ibn Kathir, der in seinem tafsir eine Überlieferung bringt, die an die Bibelstelle erinnert, nicht unbeeinflusst davon waren. Die so genannten Israeliyat, also Texte der älteren Buchreligionen, vor allem aus dem Judentum, waren damals bekannt und wurden in der Auslegung herangezogen. Es wäre nur fair, wenn dann auch die christlichen Interpretationen dazu unter Muslimen bekannter gemacht würden. Diese gehen nicht immer von einem hierarchischen Gefälle zwischen Mann und Frau aus – wie das oft im Mainstream als selbstverständlich angenommen wird. Ganz im Gegenteil wird Genesis 2, Vers 24, wo Mann und Frau „ein Fleisch werden“, als Beleg für die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau gesehen. Christliche Frauen zitieren gerne ergänzend Genesis 1, Vers 27: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“ ‚um die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zu untermauern. Muslime werden bei diesem Vers stutzig. Im Islam gilt schließlich über Gott: „Nichts ist Ihm gleich.“15. Umso interessanter ist es dann, eine christliche Sicht dazu zu hören: „Die biblische Aussage über den Menschen als Ebenbild Gottes bedeutet keine Gleichartigkeit von Gott und Mensch und schreibt dem Menschen keineswegs etwas Göttliches zu.“16
Im Dialog unter christlichen und muslimischen Frauen ist das Ringen mit den Texten eine spannende Erfahrung und auch ein Prozess. Zu Beginn eines Arbeitskreises kann es vorkommen, dass als frauenfeindlich empfundene Stellen den Teilnehmerinnen der anderen Konfession unter die Nase gerieben werden. Während der Zusammenarbeit kommt dann die Erkenntnis, wie albern es eigentlich ist, solch eine Bestätigung, auf der „besseren“ Seite zu stehen, zu suchen. Am schönsten ist die Erfahrung ehrlicher Freude, mit einer plausiblen Auslegung wieder ein Stück Geschlechtergerechtigkeit gewonnen zu haben – die schließlich allen Frauen zugutekommt. Wie ähnlich oft die Suche nach einem angemessenen Textverständnis ist, kann zudem sehr inspirierend sein.
Generationen muslimischer Frauen bekamen von klein auf zumindest scherzhaft zu hören: „Als Mädchen bist du aus einer krummen Rippe gemacht!“. Welchen Dämpfer solche Herabsetzungen auf das Selbstwertgefühl bedeuten, zeigt sich im Alltag. Schlimmstenfalls internalisieren Mädchen die eigene „Minderwertigkeit“. Besonders im Gedächtnis ist mir die geradezu körperliche Reaktion einer Frauengruppe bei einem Vortrag über den „Rippenhadith“ geblieben. Sie wuchsen, während sie zuhörten. Als wäre das Krumme überwunden, von dem sie so lange bei sich ausgegangen waren, richteten sie sich im Sitzen zu voller Größe auf. Es gab viel Redebedarf, weil alle ins Nachdenken kamen, wie lange sie sich selbst doch künstlich klein gemacht hatten. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, dass die Rippengeschichte sie mehr als je angenommen beeinflusst hatte. Die Rolle der Religion wurde heftig diskutiert. Sie sollte uns doch innerlich stärken und nicht verbiegen! Selbstkritisch vermerkten die Frauen auch, dass es wohl mehr Bereitschaft geben müsse, religiöse Behauptungen in Frage zu stellen.
Der pakistanischen Islamwissenschaftlerin Riffat Hassan kommt besonders Verdienst zu, sich der Interpretation des Hadith angenommen zu haben: „Es ist eine zwingende Notwendigkeit für die muslimischen Töchter Hawwas (Evas) zu erkennen, dass die Geschichte ihrer Unterwerfung und Erniedrigung durch die Hände der Söhne Adams mit der Geschichte der Erschaffung Evas begann und dass ihre Zukunft nicht anders als ihre Vergangenheit sein wird, wenn sie nicht zum Ursprung zurückkehren und die Authentizität jener Hadithe in Frage stellen, die sie ontologisch als minderwertig, untergeordnet und verbogen darstellen.“17
Der „Rippenhadith“ liegt in sechs ähnlich lautenden Versionen vor, wobei hier jene nach Bukhari zitiert sei: „Die Frauen wurden aus einer Rippe geschaffen, und das am stärksten gebogene Teil einer Rippe ist das obere. Wenn du versuchst, sie gerade zu biegen, wirst du sie zerbrechen. Überlässt du sie aber sich selbst, dann bleibt sie gekrümmt“.18 Nicht nur steht der erste Teil in einem klaren Widerspruch zur koranischen Aussage, dass Mann und Frau aus der gleichen Ursubstanz geschaffen seien. Der zweite Teil liest sich ausgesprochen misogyn. Die Wertung einer Frau als „krummes Wesen“, das jeder Erziehung widerstehe und zum Krummsein verurteilt sei, steht vielleicht in noch eklatanterem Widerspruch zu Aussagen im Koran und einem darin verankerten egalitären Geschlechterbild. Auch das Verhalten des Propheten Muhammad passt nicht zu einer derartig frauenfeindlichen Aussage. Er steht für einen respektvollen Umgang mit Frauen; keinesfalls bezeichnete er