Der Mensch und das liebe Vieh. Martin M. Lintner
des Geschaffenen mit seinem Schöpfer erblickt. Da Gott die Geschöpfe liebt und nur das Beste für sie wünscht, möchte er sie an seiner eigenen, unüberbietbaren Fülle teilhaben lassen.
Die Liebe bildet, wie gezeigt, das zentrale Schöpfungsmotiv und -ziel. Echte Liebe zeichnet sich aber durch die Fähigkeit und Bereitschaft aus, „anderes frei zu lassen“105. Gilt dies – (zumindest) in analoger Weise – auch für Gottes Liebe, so darf man mit Medard Kehl annehmen: „Wenn Gott aus Liebe überhaupt eine Welt ins Dasein ruft, wird sie wohl in jedem realistisch denkbaren Fall mit der ganzen Ambivalenz endlicher Eigenständigkeit und Freiheit behaftet sein – sowohl mit der Möglichkeit von Übeln und Leid als auch mit der Wahrscheinlichkeit, dass diese Möglichkeit realisiert wird.“106 Dass das Geschaffene Wege zu beschreiten vermag, „die ihm nicht deterministisch von Gott vorgezeichnet sind“107, darunter auch solche, die nicht gottgewollt sind, ist eine Konsequenz des göttlichen Schöpfungsmotivs.108
Ein nicht strikt von Gott determinierter Evolutionsprozess legt sich auch vom Schöpfungsziel her nahe. Gott möchte der Schöpfung Anteil an sich selbst und seiner Fülle geben. „Das Gesetz der Liebe“, bemerkt Klaus von Stosch zutreffend, „ist die Freiheit. Liebe ist das einzige, das sich per definitionem durch keine Macht und Gewalt des Himmels und der Erde erzwingen lässt.“109 Nur wenn Gott die Geschöpfe in die Eigenständigkeit bzw. Freiheit entlässt, kann er ihre Liebe gewinnen. Weil „der Schöpfer die Schöpfung als Antwort auf sein Wort [will]“110, ist von einem Vorentwurf jener Freiheit, die wir dem Menschen zusprechen, in allem Wirklichen auszugehen. Die Ausprägungen der vormenschlichen Freiheit weisen graduelle Unterschiede auf und werden bisweilen sehr bescheiden ausfallen. Wenn Gott jedoch seinem Wesen treu bleibt und nur mit Mitteln der Liebe versucht, die Liebe seiner Geschöpfe zu gewinnen, „kann es kein Geschöpf dieses Gottes geben, das sein bloßes Objekt wäre“111. Gott achtet und respektiert den Selbststand und das Eigensein der Geschöpfe, sollten diese auch noch so gering sein.112
Im Blick auf die zwei Ausgangsfragen lässt sich zusammenfassend festhalten: Der Evolutionsprozess ist Ausdruck des Selbststandes, den Gott der Natur gewährt. Aus Liebe entließ der Schöpfer die Natur in eine gewisse Eigenständigkeit. Und aus Liebe toleriert Gott die Übel, die durch diese Freisetzung der Natur ermöglicht wurden. Gott ist „insofern verantwortlich für das Leid und die Übel in der Schöpfung, als er mit der Eigenständigkeit und Freiheit der Geschöpfe prinzipiell die Möglichkeit dazu eröffnet hat“113. Die Übel in der Naturgeschichte sind gleichsam der Preis, den Gott für die Gewährung von vormenschlicher Freiheit zu zahlen bereit ist. Ob dieser Preis, den auch unzählbar viele Tiere bis auf den heutigen Tag zahlen, nicht zu hoch ausfällt, wird im letzten Kapitel dieses Buches noch eigens zu bedenken sein.114
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