Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


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das wird aber auch langsam mal Zeit!«, brummte er an Tyler adressiert, bevor er uns mit einem lässigen »Hey, Girls!« begrüßte. »Und? Wie sieht’s aus, wir wollen noch ins Roma ’ne Pizza essen. Kommt ihr mit?«

      Abby schüttelte sofort hektisch den Kopf. »Ich muss arbeiten. Könntet ihr mich vielleicht im Krugers absetzen? Das liegt doch fast auf eurem Weg.«

      »Klar«, antwortete Doug gönnerhaft, »aber du kommst doch bestimmt mit?« Sein breites Grinsen wurde noch etwas breiter, als er mich ansah.

      Ich schnitt eine Grimasse. »Geht nicht. Muss auch noch arbeiten.«

      »Ach was, arbeiten. So ’n Blödsinn. Du hast doch gar keinen Job. Komm schon. Lass dein Auto einfach hier, wir essen Pizza und dann bring ich dich nach Hause. Und morgen früh nehm ich dich auch mit in die Schule.«

      Ich war überrascht von seinem Angebot. »Äh, das ist echt nett, aber ich habe heut wirklich keine Zeit. Ich muss in die Bibliothek.«

      Sein Lächeln wurde schwächer. »Kannst du das nicht verschieben. Die Pizza im Roma ist echt einsame Spitze!«

      »Ich weiß, Doug, ich habe da auch schon gegessen. Aber heute geht’s wirklich nicht, sonst krieg ich die Hausarbeit für Geschichte nicht rechtzeitig fertig.«

      »Aber das kannst du doch morgen …«

      Mein »Nein« klang etwas zu unfreundlich, aber seine Hartnäckigkeit nervte langsam.

      »Na komm schon, Mann. Lass uns endlich abhauen. Ich hab Hunger«, maulte Tyler jetzt, während Abby nervös von einem Fuß auf den anderen tippelte, als ob sie dringend auf die Toilette müsste. Doch als Doug nicht reagierte, hatte ich das Gefühl, wieder etwas sagen zu müssen.

      »Okay, dann bis morgen. Ciao Abby und viel Spaß euch. Futtert ’ne Pizza für mich mit, ja?«

      »Geht klar, mindestens eine, was, Kumpel?«, johlte Tyler begeistert bei der Aussicht, endlich starten zu können. Feixend boxte er Doug in die Seite, riss die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen.

      »Viel Erfolg bei deiner Büchersuche.« Auch Abby war die Erleichterung anzusehen. Sie stellte sich demonstrativ vor die Fahrertür und fixierte Doug, als wollte sie ihn allein durch ihre Gedankenkräfte endlich zum Einsteigen bewegen. Doch mein alter Kumpel rührte sich noch immer nicht und guckte wie ein verlassenes Hundebaby.

      Also lächelte ich ihm noch einmal aufmunternd zu. »Bis morgen, Doug. Arbeite nicht so viel, Abby. Ciao Tyler!« Und während ich in Richtung Bibliothek davonmarschierte, beobachtete ich aus den Augenwinkeln, wie Doug endlich die Fahrertür öffnete und den Sitz nach vorne klappte, damit Abby auf den Rücksitz krabbeln konnte.

      Die Bibliothek war nur noch eine Stunde geöffnet, also hatte ich nicht mehr viel Zeit, die passenden Bücher für meine Arbeit zu finden. Von dem Bibliothekar, Mr. Brown, war nichts zu sehen, als ich den Vorraum betrat. Doch ich dachte mir nichts dabei.

      Vermutlich sortierte er im Lesesaal Bücher in die Regale ein und ich würde ihm dort über den Weg laufen.

      Ich liebte unsere Schulbibliothek. Sie war im älteren Teil des Gebäudekomplexes untergebracht und der Hauptraum hatte eine wunderschöne kuppelförmige Stuckdecke und hohe Fenster. Die Bücher standen in dunkel polierten Holzregalen und es gab eine kleine Galerie, auf denen sich ebenfalls Bücherregale befanden, allerdings war der Zugang ausschließlich den Lehrern gestattet.

      Heute war es unerwartet kühl und nur die grünen Tischlampen verbreiteten ein dämmriges Licht. Als ich auf den Schalter für die Deckenlampen drückte, tat sich nichts.

      Tagsüber liebte ich es, wenn nur das Rascheln der Buchseiten und leises Getuschel zu hören war. Doch heute gab es nicht einmal das. Es war totenstill und ich schien tatsächlich die Einzige zu sein, die heute Abend noch den Drang verspürte, ihren Wissensdurst zu stillen.

      Auch Mr. Brown konnte ich noch immer nirgendwo entdecken und automatisch kam mir der Gruselfilm wieder in den Sinn, den wir am Samstag im Kino gesehen hatten und in dem die hübsche Blondine in einer Bibliothek niedergemetzelt worden war.

      Gut, dass du nicht blond bist, McCall, witzelte ich in Gedanken, um das dumme Gefühl zu vertreiben, und beschleunigte meine Schritte, während ich durch die Reihen ging und nach Büchern über den amerikanischen Bürgerkrieg Ausschau hielt.

      Nach zwanzig Minuten hatte ich endlich einige Exemplare gefunden, die infrage kamen. Allerdings beabsichtigte ich nicht, die dicken Wälzer alle mit nach Hause zu nehmen. Also setzte ich mich an einen der Tische am Fenster, um sie kurz durchzusehen.

      Draußen war es inzwischen dunkel und der unvermeidliche Herbstregen hatte wieder eingesetzt. Noch immer schien außer mir keine Menschenseele hier zu sein. Ich lauschte, während ich die Bücher durchblätterte, hörte aber nur den Regen, der an die Fensterscheiben prasselte.

      Erleichtert nahm ich das letzte Buch in die Hand. Wie bei den anderen schlug ich zuerst das Inhaltsverzeichnis auf, aber beim Überfliegen stellte ich fest, dass auch dieses nicht so interessant war, wie ich erst gedacht hatte, und so klappte ich es wieder zu und legte es zu denen, die ich hier lassen würde. Ich stand auf und schob den anderen Stapel in meinen Rucksack. Wenn Mr. Brown nicht im Vorraum war, würde ich eben morgen wiederkommen und ihm sagen, welche ich ausgeliehen hatte.

      Ich wollte gerade das letzte Buch an seinen Platz zurückstellen, als ich ein leises Stöhnen auf der anderen Seite des Regals vernahm. Ich erstarrte mitten in meiner Bewegung. War doch jemand hereingekommen, ohne dass ich es bemerkt hatte? Wahrscheinlich war es nur Mr. Brown, versuchte ich mich zu beruhigen. Doch wieso sollte er stöhnen? Zugegeben, die Bücher waren manchmal ziemlich schwer, aber … Vielleicht ging es ihm ja auch nicht gut? Oder er …

      Quatsch, jetzt geht deine Fantasie aber wirklich mit dir durch, McCall.

      Ich war nur in der Schulbibliothek und unser Bibliothekar würde ganz bestimmt nicht röchelnd inmitten einer riesigen Blutlache hinter dem Bücherregal liegen.

      Komm schon. Reiß dich zusammen!

      Dennoch bewegte ich mich so geräuschlos wie möglich, als ich den letzten dicken Band zwischen die anderen schob. Dann griff ich nach meinem Rucksack, den ich am Boden abgestellt hatte. Doch ich hängte ihn mir nicht über die Schulter, sondern hielt ihn vor mich. Zur Not würde ich damit auf einen Angreifer einschlagen können. Mit den Büchern darin war er verflixt schwer und gab eine ganz brauchbare Waffe ab. So gerüstet wagte ich den entscheidenden Schritt um das Regal herum … und blieb wie angewurzelt stehen.

      Wahrscheinlich hätte mich der Anblick von Mr. Browns Leichnam am Boden nicht mehr schockiert als das, was ich stattdessen sah. Megan Wilcox, die Tochter unseres Direktors, hatte ihre Arme um Becketts Hals geschlungen. Obwohl sie mit dem Rücken zu mir stand, erkannte ich sie an ihren langen schwarzen Haaren und der pinkfarbenen Bluse. Allerdings war ihr die über die Schultern gerutscht und gab den Blick auf ihren Spitzen-BH frei. Beckett hatte sich vorgebeugt, offenbar um ihre nackte Schulter zu küssen, aber in dem Augenblick, als sich unsere Blicke begegneten, presste er die Lippen aufeinander und schloss genervt die Augen.

      Ich zuckte zurück und verschwand wieder hinter meinem schützenden Regal, mein Herz klopfte so heftig, dass ich sicher war, die beiden würden es hören.

      Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte sie bei … Egal! Ich wollte nicht darüber nachdenken und holte lieber tief Luft, um mich zu beruhigen. Am besten gab ich ihnen einen Moment Zeit. Er würde Megan bestimmt von meinem Auftauchen erzählen. Sie konnte sich anziehen und dann würden sie hoffentlich verschwinden.

      Ich hielt meinen Rucksack fest umklammert, während ich ganz langsam bis hundert zählte. Dann hustete ich geräuschvoll und trat ohne Eile erneut neben das Regal.

      »Oh, da haben Sie aber Glück, ich wollte gerade abschließen.«

      Mein Herz begann wieder wie verrückt zu hämmern, denn Mr. Brown stand direkt vor mir.

      »Ich … ich … ich war noch da …«, stotterte ich, während ich über seine Schulter auf den leeren Platz vor dem Regal starrte. Noch mehr von solchen


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