Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


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so draufhatte.

      Der Coach zeigte eine Übungssequenz mit Doug, aber sein Schüler war so gut, dass sich der Trainer am Ende selbst auf der Matte wiederfand.

      Dougs Freunde johlten und klatschten begeistert und er war sichtlich zufrieden mit sich. Anscheinend wollte Coach Meyer sich nicht noch einmal blamieren, denn er winkte zu den Jungen hinüber und seine Wahl traf ausgerechnet Cassian Beckett.

      Mir wurde übel, als ich Dougs Gesichtsausdruck bemerkte. Für ihn war das Ganze eindeutig keine Übung, doch Cassian schien seine Absichten nicht zu durchschauen. Er schlenderte lässig zu Doug und machte noch immer den Eindruck, als ginge ihn das alles überhaupt nichts an.

      Verflixt, warum nahm er die Sache denn nicht ernst?

      Doch ich konnte nichts tun, um ihn zu warnen, nur hoffen, dass der Coach rechtzeitig eingriff, ehe Doug ihn ernsthaft verletzte.

      Während sich die beiden aufstellten, verglich ich sie miteinander. Doug war eindeutig der Kräftigere, was ihm einen Vorteil bringen konnte. Cassian, genauso groß wie er, bewegte sich dagegen geschmeidiger. Er erinnerte mich irgendwie an eine Raubkatze. Aber konnte er auch kämpfen?

      Coach Meyer gab das Startsignal, ich ballte die Fäuste und dann ging alles blitzschnell. Cassian schien sich überhaupt nicht bewegt zu haben, doch Doug lag plötzlich stöhnend am Boden.

      Der Trainer wartete, bis er wieder aufgestanden war, dann befahl er den beiden erneut, Aufstellung zu nehmen. Obwohl ich Cassian diesmal nicht aus den Augen ließ, kam seine Bewegung so rasch, dass ich wieder nicht sagen konnte, wie er Doug abgewehrt hatte. Jedenfalls lag mein Kumpel erneut auf der Turnmatte. Und auch sein dritter Angriff verlief ähnlich blamabel. Nur dauerte es diesmal länger, bis er sich aufrichtete.

      Cassian beugte sich zu ihm, streckte ihm seine Hand hin, um ihm aufzuhelfen, doch Doug ignorierte sein Friedensangebot und blieb schnaufend auf der Matte sitzen. Ich konnte sehen, dass er vor Wut kochte.

      Inzwischen hatten die Kämpfer auch das Interesse der aktiven Volleyballspielerinnen geweckt. Mrs. Reynolds war nirgends zu sehen, also hatten sie ihr Spiel abgebrochen und schauten lieber dem Spektakel im anderen Hallenteil zu.

      Cassian hatte sich eben mit einem Achselzucken abgewandt und wollte zurück zu seinem Platz, als Doug unerwartet aufsprang. Mit einem Wutschrei stürzte er los. Bevor er Cassian jedoch von hinten packen konnte, machte dieser, ohne sich umzusehen, genau im richtigen Moment einen Schritt zur Seite. Doug, der viel zu viel Schwung draufhatte, konnte sich nicht mehr abfangen und schlug dröhnend auf dem Hallenboden auf.

      Einen Moment fürchtete ich, er hätte sich ernsthaft verletzt, denn er rührte sich nicht. Doch dann hob er langsam den Kopf. Neben seinem verletzten Stolz hatte diesmal auch seine Nase etwas abbekommen und während er sich das Blut mit dem Handrücken abwischte, zeigte sein Blick deutlich, dass er nicht glauben konnte, was da gerade passiert war. Erst als Coach Meyer ihn anbrüllte, schüttelte er sich und kam schwerfällig wieder auf die Füße. Mit gesenktem Kopf stand er da und ließ wortlos die Strafpredigt über sich ergehen.

      Doch als der Trainer von ihm verlangte, sich bei Cassian zu entschuldigen, schüttelte er trotzig den Kopf.

      Cassian, der etwas abseits stand, wirkte gelangweilt.

      Schließlich schickte Coach Meyer Doug mit der Bemerkung, dass sein Verhalten noch Folgen haben würde, zur Schulschwester und verlangte von den übrigen Jungen bellend hundert Liegestütze.

      Inzwischen war auch Mrs. Reynolds wieder aufgetaucht. Anscheinend hatte sie von der Spielunterbrechung der Mädchen und dem Grund dafür gar nichts mitbekommen, denn sie klatschte nur in die Hände und forderte uns auf, die Mannschaften zu tauschen.

      Als ich an Sandra vorbei aufs Spielfeld lief, funkelte sie mich wütend an. »Na, bist du jetzt zufrieden?«

      Wortlos trabte ich weiter. Sie gab mir die Schuld für Dougs Ausraster? Aber ich hatte doch weder etwas von seinen Gefühlen geahnt noch ihm jemals irgendwelche Hoffnungen gemacht. Für mich war er ein Freund so wie Tyler auch. Mehr nicht.

      Den Rest der Stunde ließ der Coach die Jungen ein hartes Konditionstraining machen. Offenbar wollte er verhindern, dass einer von Dougs Freunden auf die Idee kam, sich in seinem Unterricht an Cassian zu rächen, denn er achtete auffällig darauf, dass besonders Tyler nicht in Becketts Nähe kam.

      Mich konnte man für den Rest der Sportstunde vollkommen vergessen. Ich verpasste einen Ball nach dem anderen, weil ich ständig zu Cassian hinüberschielte, der scheinbar ungerührt sein Training absolvierte. Als ich auch noch mit einer Mitschülerin zusammenstieß, gongte es endlich zum Schulschluss.

      Zu Hause fand ich einen Zettel von Grandma. Sie besuchte Sue, die Frau unseres Sheriffs, und würde erst spät zurück sein.

      Ich war froh darüber, denn mir war nicht nach einer Unterhaltung. Automatisch schaltete ich den Herd ein, um die vorbereitete Suppe zu wärmen, brachte meinen Rucksack nach oben und wusch mir die Hände. Als ich jedoch in die Küche zurückkam, merkte ich, dass ich überhaupt keinen Hunger hatte. Ich schaltete den Herd wieder aus und ging zurück in mein Zimmer. Dort öffnete ich meinen Kleiderschrank, suchte eine Sporthose und ein Laufshirt heraus und zog mich um. Als ich fertig war, schnappte ich mir meinen MP3-Player vom Nachttisch und ging wieder nach unten. Bewaffnet mit meinen Turnschuhen und meiner Sportjacke zog ich die Haustür hinter mir zu.

      Es dämmerte schon, aber trotz des Volleyballspiels oder gerade weil ich nur geistesabwesend herumgestanden hatte, sehnte ich mich jetzt nach Bewegung. Vielleicht würde es mir ja gelingen, die Bilder von Doug und Cassian aus meinem Gehirn zu kriegen, wenn ich erst einmal richtig ausgepowert war. Entschlossen schob ich mir die Kopfhörer in die Ohren und rannte los.

      Zunächst lief ich zur Hauptstraße und folgte ihr ein kleines Stück, bis ich an der Zufahrt des Nachbarhauses vorbeikam. Eigentlich lief ich immer einen anderen Weg, aber heute bog ich, einem Impuls folgend, dort ab und rannte den Weg entlang, der zu dem Haus hinaufführte. Es war beinahe ein wenig wie in meinem Traum. Der Zugang war tatsächlich an den Seiten stark zugewuchert, aber ein Auto passte trotzdem ohne Schwierigkeiten hindurch. Fehlte eigentlich nur noch mein Wolf. Ich drehte mich um, aber natürlich war ich allein.

      Es war nicht sehr weit bis zu dem kleinen Haus und da ich joggte, kam es noch schneller in mein Blickfeld. Ich atmete heftig, als ich davor anhielt. Heute war eindeutig nicht mein sportlichster Tag, also gönnte ich mir eine kurze Erholungspause, nahm die Stöpsel aus meinen Ohren und weil mir eigentlich gar nicht mehr nach Musik war, wanderten sie zu meinem Player in die Jackentasche.

      Während mein Atem langsam ruhiger wurde, verglich ich das Haus mit dem aus meinem Traum. Es war viel kleiner und auf der Treppe lag kein abgebrochener Ast, aber auch bei diesem waren die Fensterscheiben schmutzig und es wirkte ebenso verlassen. Die Reifenspuren, die ich unten an der Einfahrt gesehen hatte, stammten also wohl doch nur von abenteuerlustigen Jugendlichen. Heute Abend war allerdings niemand hier.

      Das dachte ich zumindest, weil kein Auto vor dem Haus stand. Aber als ich mich wieder umdrehte, um zurückzulaufen, hörte ich ein leises Klirren und erstarrte. Es kam eindeutig aus dem Inneren des Hauses und mein Herz begann sofort zu rasen. Sollte ich nachsehen, was das gewesen war?

      Bestimmt nicht. Wenn sich jemand da drin herumtrieb, musste ich ihm ja nicht unbedingt begegnen. Und was hätte ich schon tun können?

      Dennoch blieb ich unschlüssig stehen und lauschte. Nichts. Alles war ruhig und es war jetzt wirklich besser, wieder nach Hause zu laufen, denn es wurde immer dunkler. Es würde auch so schon schwierig sein, etwas zu erkennen, denn es gab keine Straßenlaternen auf der Auffahrt.

      Doch meine verflixte Neugierde trieb mich dazu, die Veranda zu betreten. Durch die Fenster war nichts zu erkennen, aber als ich versuchsweise den Türgriff drehte, stellte ich überrascht fest, dass nicht abgeschlossen war. Das beunruhigte mich noch mehr und als sich die Tür, anders als in meinem Traum, mit einem schockierend lauten Knarren öffnete, blieb mir fast das Herz stehen. Wenn jemand im Haus war, hatte er es ganz sicher gehört.

      Eine gefühlte Ewigkeit verharrte ich am Eingang, bereit sofort loszurennen, falls sich ein Schatten


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