Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


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aber eigentlich egal, ob er es verstehen würde oder nicht. Die Geschichte des Anhängers war etwas Besonderes und nicht einmal meine Eltern hatten sie mir damals geglaubt. Deswegen hatte ich sie auch noch nie jemand anderem erzählt. Nicht einmal Grandma oder Abby. Sie war einfach zu merkwürdig und manchmal zweifelte sogar ich daran, dass sie überhaupt so passiert war.

      Ihn schien meine Antwort zu irritieren. Oder vielleicht war er ja auch nur überrascht, dass er einmal nicht bekam, was er wollte, doch er sagte nur: »Verstehe. Es gibt Sachen, über die ich auch nicht gerne rede.«

      Zum Beispiel über das, was in der Flasche war, dachte ich.

      Der Schulgong ertönte und ich erwartete, dass er schnell verschwinden würde, so wie sonst auch immer. Doch diesmal schien er es überhaupt nicht eilig zu haben. In aller Ruhe packte er das leere Blatt in eine Mappe und verstaute sie zusammen mit dem Bleistift in seinem Rucksack. Als er fertig war, wartete er sogar geduldig neben unserem Tisch, bis auch ich zum Gehen bereit war. Begleitet vom leisen Getuschel einiger Mädchen, die mich neidisch musterten, ging er neben mir aus dem Raum und weiter den Flur entlang. Sicher glaubten sie, ich wäre sein nächstes Opfer.

      Ohne etwas zu sagen, leistete er mir Gesellschaft, bis wir den Biologiesaal erreichten, und als er mit mir eintrat, kapierte ich es erst - er war auch in meinem Kurs.

      Abby wartete schon an unserem Tisch auf mich. Sie machte große Augen, als er sich von mir verabschiedete und sich auf einem der freien Plätze niederließ.

      »Hatte ich gerade eine Erscheinung oder bist du hier eben mit Beckett reinspaziert und er hat ›Bis später‹ zu dir gesagt?«

      »Jeb.« Scheinbar ungerührt ließ ich meinen Rucksack auf den Boden plumpsen und warf meine Jacke über die Stuhllehne, während Abby vor Neugier zu platzen drohte.

      »Jetzt mach schon den Mund auf«, verlangte sie ungeduldig.

      »Wir hatten Kunst zusammen«, antwortete ich wenig auskunftsfreudig, woraufhin sie mit den Augen rollte. Das tat sie immer, wenn sie ungeduldig oder genervt war.

      Ich würde wohl nicht um eine Erklärung herumkommen, also erzählte ich ihr von unserem gemeinsamen Kunstprojekt. Die Sache mit dem Anhänger behielt ich allerdings für mich. Stattdessen bemühte ich mich, möglichst cool zu wirken.

      »Und du bist sicher, dass er dich nicht angemacht hat?«, flüsterte sie. »Komisch, der Kerl lässt doch sonst nix anbrennen. Sei bloß vorsichtig, ja?«

      Aus den Augenwinkeln glaubte ich, Beckett grinsen zu sehen. Doch als ich genauer hinsah, war er in sein Biologiebuch vertieft. Außerdem konnte er uns gar nicht gehört haben, dazu saß er viel zu weit weg.

      Ich zuckte so lässig wie möglich die Achseln. »Bin wohl nicht sein Typ. Oder heiße ich etwa Angelina?«

      »Zum Glück nicht. Und wenn er sich nicht für dich interessiert, umso besser. Dann rennst du wenigstens nicht verheult über die Flure wie die anderen Tussen.« Sie grinste zufrieden.

      In den letzten beiden Unterrichtsstunden hatten wir Sport. Es regnete mal wieder und als wir aus der Umkleidekabine kamen, war die andere Hälfte der Sporthalle bereits belegt. Wegen des Umbaus der anderen Halle mussten wir uns heute die große mit den Jungen teilen, weil Coach Meyer offenbar keine Lust hatte, nass zu werden.

      Doug winkte uns zu und ließ reichlich angeberisch seine Muskeln spielen. Während ich zurückwinkte und Abby wegen seiner Machoposen nur genervt mit den Augen rollte, ertönte der schrille Pfiff aus Coach Meyers Trillerpfeife. Die Jungen stellen sich in einer Reihe auf.

      Inzwischen war auch Mrs. Reynolds aufgetaucht und wies uns an, die Volleyballnetze aufzubauen. Währenddessen beobachtete ich unauffällig die Jungen, wie sie Turnmatten heranschleppten. Cassian war auch unter ihnen.

      Zufällig bemerkte ich dabei Dougs grimmige Miene, mit der er Cassian musterte, und auch den Blick, den er mit Tyler wechselte.

      Doug war seltsamerweise stinksauer gewesen, als Cassian mittags in der Cafeteria an unserem Tisch vorbeigegangen war, mich angelächelt und »Hi« gesagt hatte.

      »Was will denn der«, hatte mein alter Kumpel angriffslustig geknurrt und es hätte nur noch gefehlt, dass er aufgesprungen wäre und den Neuen am Kragen gepackt hätte.

      Natürlich hatte ich dann meiner Clique auch eine Variante meiner »Wie habe ich den tollen Neuen kennengelernt«-Geschichte erzählen müssen, nicht ahnend, was ich damit anrichten würde.

      »Der soll dich bloß in Ruhe lassen, sonst brech ich ihm alle Knochen und hau ihm sein hübsches Babyface platt!«

      Dougs Ausbruch und meinen verblüfften Blick hatte Abby nur mit dem bedeutungsvollen Heben ihrer rechten Augenbraue quittiert. Sandra dagegen, die auf der anderen Seite des Tisches neben Doug saß, hatte mich mit einem giftigen Blick bedacht, der mir ein weiteres Rätsel aufgegeben hatte.

      Während wir anderen uns schon ewig kannten, war sie erst vor zwei Jahren nach Eagle Lake gezogen. Kathy hatte sich mit ihr angefreundet und so gehörte sie nun irgendwie zu unserer Clique, aber wirklich warm geworden waren wir miteinander nie. Doch ihr Verhalten jetzt fand ich reichlich übertrieben. Es sei denn, sie wollte Nummer fünf auf Becketts Liste werden.

      »Na das verspricht ja ausgesprochen interessant zu werden.« Abby hatte Dougs Blickwechsel mit Tyler ebenfalls bemerkt.

      »Interessant?« Ich kaute nervös an meiner Unterlippe, weil ich befürchtete, dass Doug dabei war, sich Ärger einzuhandeln. »Na, ich weiß nicht.«

      »Oh ja. Vor allem die Reaktion von Blondie. Das wird garantiert spannend, glaub mir«, meinte sie spöttisch, während sie zu Sandra hinübernickte, der Mrs. Reynolds gerade den Ball in die Hand drückte.

      Ich verstand nur Bahnhof.

      »Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du noch nicht mitgekriegt hast, dass Barbiegirl neuerdings voll auf Doug abfährt?« Sie sah mich an und ihre blauen Augen funkelten boshaft.

      »Offensichtlich nicht. Na schön, dann erzähl ich dir gleich noch ’ne Neuigkeit - der liebe Doug steht aber nicht auf sie. Er hat nämlich nur Augen für dich. Auch wenn du das zu seinem Bedauern überhaupt nicht schnallst.«

      Ich starrte sie verblüfft an. »Quatsch!«

      »Habe ich dir jemals Mist erzählt?«

      Hatte sie nicht. Aber diesmal musste sie sich irren. Allerdings, wenn ich darüber nachdachte, ergab das schon einen Sinn.

      »Du weißt doch, die Betreffende merkt es immer zuletzt«, tröstete sie mich grinsend. »Tja und nun hat unser kleiner Dougie Angst, dass er auch noch Konkurrenz kriegt.«

      Ich folgte Abbys Blick.

      Cassian stand etwas abseits von den anderen und lauschte gelangweilt den Ausführungen des Coachs.

      Während ich noch über Abbys Worte nachdachte, begann Mrs. Reynolds uns in Gruppen einzuteilen.

      Keine Ahnung, was die abwegigere Vorstellung war, dass Doug in mich verknallt sein sollte oder dass er sich mit Cassian anlegte, weil er annahm, dieser hätte ebenfalls Interesse an mir? Nein, dann doch eher das Letztere. Besonders, wenn ich an Dougs merkwürdiges Verhalten in der letzten Zeit dachte. Aber Cassian Beckett war einfach nur höflich gewesen, weil wir zufällig in Kunst nebeneinander saßen. Mehr nicht.

      Da wir zu viele für die halbe Halle waren, ließ Mrs. Reynolds zunächst die erste Gruppe gegeneinander antreten, in der Sandra und Kathy waren. Abby und ich ließen uns mit den anderen Mädchen aus der zweiten Gruppe auf den Bänken am Rand des Spielfeldes nieder, um zuzusehen. Doch meine Aufmerksamkeit galt, kaum dass ich saß, wieder der anderen Seite der Halle.

      Oh nein, der Trainer wollte ausgerechnet heute auch noch Kampfsport üben. Das ungute Gefühl in meinem Magen verstärkte sich und plötzlich wurde mir klar, dass ich mich in Wahrheit nicht um meinen alten Kumpel sorgte. Mit Sicherheit plante er, dem Neuen eine Lektion zu erteilen, ohne dass dieser überhaupt ahnte, in welcher Gefahr er schwebte.

      Coach Meyer wollte eine Übung demonstrieren


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