Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


Скачать книгу
äh … für Geschichte.« Himmel, der gute Mann musste ja wirklich denken, dass er eine Irre vor sich hatte, so wie ich rumstammelte.

      Doch Mr. Brown lächelte nur verständnisvoll. »Ich habe Sie wohl ein wenig erschreckt, was?«

      Ich nickte nur, denn ich traute mir noch immer nicht zu, einen sinnvollen Satz herauszubringen.

      »Ich war im Keller. Mit den Lampen und der Heizung war etwas nicht in Ordnung.« Sein Blick fiel auf meinen gut gefüllten Rucksack und ich fühlte mich wie ein ertappter Dieb.

      »Geschichtshausaufgabe … äh, Bürgerkrieg«, stieß ich entschuldigend hervor.

      Er nickte. »Na dann kommen Sie mal mit.« Er wandte sich um und ich folgte ihm in den Vorraum. Etwas umständlich nahm er hinter dem Tresen Platz und während er auf seiner Computertastatur herumhackte, kramte ich mit zitternden Händen die Bücher aus meinem Rucksack hervor und reichte ihm meinen Ausweis.

      Nachdem er die Bücher eingescannt und ich alles wieder verstaut hatte, begleitete er mich noch zum Ausgang, wünschte mir einen schönen Abend und schloss hinter mir die Tür ab.

      Während sein Schlüsselbund klapperte, dachte ich an Beckett und Megan. Ob sie wohl noch da drinnen waren? Oder hatten sie ihre Knutscherei womöglich ins Auto verlegt?

      Mit einem eigenartigen Gefühl in meinem Magen öffnete ich die Tür des Seiteneingangs und trat in den Nieselregen hinaus. Doch zu meiner Erleichterung war der Parkplatz bis auf meinen silbernen SUV vollkommen leer. Mr. Browns Wagen stand vermutlich auf dem Parkplatz für die Lehrkräfte auf der anderen Seite.

      Wo immer Beckett und Megan auch sein mochten, für mich würde es heute keine weiteren peinlichen Begegnungen mit ihnen mehr geben.

      Langsam wanderte ich durch die Reihen der Bücherregale. Das Licht war dämmrig, nur das Kaminfeuer brannte und erhellte ein wenig den Raum. Meine Füße waren kalt. Ich sah an mir herab. Kein Wunder, ich war barfuß und trug nur ein Nachthemd. Es wirkte irgendwie altmodisch. Weiß, mit Spitze und schulterfrei.

      Plötzlich spürte ich, wie jemand von hinten seinen Arm um mich legte und mich an sich zog. Doch ich fürchtete mich nicht, genoss nur die Wärme seines Körpers und spürte die harten Muskeln durch den dünnen Stoff meines Nachthemdes. Keiner von uns sagte etwas. Wir standen einfach nur da und ich wünschte, dieser Augenblick würde ewig dauern.

      Doch plötzlich war mir eiskalt. Er war weg. Verzweifelt wandte ich mich um, aber da saß nur mein Wolf. Er starrte mich aus seinen eisgrauen Augen an und sein Ausdruck war unsagbar traurig …

      Es überraschte mich nicht im Geringsten, als ich Megan Wilcox am nächsten Vormittag mit wütender Miene aus der Schultoilette stürmen sah. Wenn dieser Typ in dem Tempo weitermachte, würde sein Bedarf an willigen Opfern wohl kaum bis zum Ende des Schuljahres reichen. Mein Mitleid mit Megan hielt sich allerdings in Grenzen. Was ließ sie sich auch mit diesem Casanova ein. Dabei ignorierte ich, dass ich ja selbst ein gewisses Interesse an Mister Unwiderstehlich hatte. Doch gerade jetzt hatte ich andere Probleme.

      Nein, in meinem Schrank war der Ausweis auch nicht. Ärgerlich warf ich die Tür so heftig zu, dass es schepperte. Ich musste mich beeilen, wenn ich es vor Kunst noch schaffen wollte, also schnappte ich mir meinen Rucksack und sauste los.

      Außer Atem erreichte ich den Vorraum der Bibliothek, nur um festzustellen, dass Mr. Brown wieder einmal nicht aufzufinden war. Hoffnungsvoll beugte ich mich über den Tresen, aber ich hatte Pech. Kein Ausweis.

      Beim Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich es auch nicht mehr rechtzeitig zum Unterricht schaffen würde, und das ausgerechnet heute, wo ich meine erste Kunststunde bei Mr. Jefferson hatte. Ich kannte ihn nicht, aber ich würde gleich am ersten Tag einen richtig »guten« Eindruck bei ihm hinterlassen.

      So schnell ich konnte, hetzte ich über den Schulhof zum Gebäude hinüber, in dem der Kunstsaal lag. Die Tür war bereits geschlossen. Tapfer atmete ich tief ein und klopfte. Nach einem leisen Gemurmel, das ich als Aufforderung deutete, öffnete ich die Tür. Natürlich waren sämtliche Augenpaare auf mich gerichtet.

      »Ähm … entschuldigen Sie, Mr. Jefferson …«, begann ich zaghaft.

      »Und Sie sind?« Seine Augenbrauen wanderten nach oben.

      »Celia McCall«, murmelte ich.

      »Schön, Miss McCall. Ich freue mich, dass Sie sich doch noch dazu entschließen konnten, an meinem Unterricht teilzunehmen.« Wie er es sagte, klang es allerdings eher sarkastisch als erfreut. Ich war sicher, einen Verweis oder zumindest eine Strafarbeit zu bekommen, doch ich hatte Glück. Er forderte mich nur auf, mich zu setzen.

      Da ich nicht vorhatte, ihn noch weiter zu reizen, sah ich mich schnell nach einem freien Platz um. Alle Tische waren besetzt. Nur in der letzten Reihe war noch ein leerer Stuhl und mein Gesicht fing augenblicklich an zu glühen, als ich sah, neben wem.

      »Falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, dort hinten wäre noch frei.« Wieder troff Mr. Jeffersons Stimme vor Sarkasmus. »Bei Mister … ähm, Beckett, nicht wahr?« Er nickte ungeduldig zu dem Neuen hinüber. Doch der schien die Worte des Lehrers gar nicht mitzubekommen, denn er sah nicht auf.

      Mr. Jefferson machte sich nicht die Mühe, ihn zurechtzuweisen, sondern blickte wieder mich an und seine Augenbrauen zogen sich erneut unheilvoll zusammen.

      »Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, Miss McCall, wenn es nicht den ganzen Vormittag dauern würde, bis Sie Ihren Platz endlich einnehmen.«

      Seine Geduld mit mir war sichtlich erschöpft, also fügte ich mich in mein Schicksal und schlich mit gesenktem und höchstwahrscheinlich knallrotem Kopf nach hinten.

      Beckett sah noch immer nicht auf. Auch nicht, als ich den Stuhl zurückzog und mich steif darauf niederließ. Etwas zu sagen wagte ich nicht, denn Mr. Jefferson war schon sauer genug. Also hockte ich nur stumm da und starrte krampfhaft nach vorne, während unser Lehrer uns erläuterte, welches Projekt wir bearbeiten würden.

      Allerdings bekam ich die Ausführungen einer Lehrkraft ein weiteres Mal nicht mit, denn der Typ neben mir machte mich entsetzlich nervös.

      Doch es sollte noch schlimmer kommen. Irgendwann verteilte Mr. Jefferson Stifte und Zeichenpapier und wies uns an, die Einzelheiten für unsere Aufgabe mit unserem Sitznachbarn zu besprechen, mit dem wir ein Team bilden sollten. Um uns herum ertönte sofort lautes Gemurmel. Na wenigstens war meine Platzwahl nicht mehr länger Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Doch mein anderes Problem war eindeutig noch da und es sprach kein Wort.

      Einige Minuten hockten wir stumm nebeneinander, dann wagte ich es endlich, vorsichtig zu ihm hinüberzublinzeln. Soweit ich sehen konnte, hatte er sich in der Zwischenzeit ebenso wenig bewegt wie ich und davon ermutigt, drehte ich den Kopf etwas weiter in seine Richtung.

      Heute Morgen hatte er es auf jeden Fall geschafft, sich zu rasieren und wieder ein Shirt zu finden, bei dem man die Farbe eindeutig bestimmen konnte. Dunkelblau. Seine Haare dagegen waren noch immer unverändert lang. Vermutlich weigerte er sich sie abzuschneiden, weil sie normalerweise die feine helle Narbe verdeckten, die direkt über seiner dunklen Augenbraue begann und über die linke Schläfe bis zum Haaransatz verlief. Nur weil seine Haare heute noch feucht waren, entweder vom Regen oder der morgendlichen Dusche, fiel sie mir zwischen den Haarsträhnen überhaupt auf.

      Doch sofort verwarf ich die Überlegung wieder. Eine kleine Narbe störte jemanden wie ihn, der so nachlässig mit seinem Äußeren war, bestimmt nicht.

      Moment. Woher wollte ich das denn wissen? War ich etwa eine Cassian-Beckett-Expertin? Eindeutig nicht, denn wenn ich es gewesen wäre, hätte ich sicherlich auch gewusst, weshalb er das leere Zeichenpapier vor sich anstarrte, als wollte er es allein durch seinen Blick in Fetzen reißen. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst und auch die steile Falte über seiner Nasenwurzel verriet, dass er mindestens so mies drauf war wie Mr. Jefferson vorhin. Allerdings konnte ich ja wohl kaum auch noch der Grund für seine schlechte Laune sein.

      Der finstere Ausdruck


Скачать книгу