Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


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      »Cassian? Alles in Ordnung?« Ich runzelte die Stirn. Hatten wir uns etwa doch verirrt?

      Der Druck ließ wieder nach. »Ja«, antwortete er ruhig. »Keine Sorge. Es ist nicht mehr weit.«

      Schweigend setzten wir unseren Weg fort und er hatte sich tatsächlich nicht geirrt. Einen Moment später endete der Wald und das Haus meiner Grandma tauchte vor uns auf.

      Als wir vor dem Gartenzaun an der Rückseite stehen blieben, stellte ich fest, dass nur mein Auto in der Einfahrt stand. Grandma war also noch nicht wieder zurück.

      Cassian ließ meine Hand los, machte jedoch keine Anstalten, etwas zu sagen.

      Ich räusperte mich etwas verlegen. »Danke fürs Bringen und natürlich auch fürs Auffangen gerade.« Ich versuchte, möglichst locker zu klingen. »Du hast wirklich gute Reflexe. Ganz im Gegensatz zu mir.«

      »Reines Training«, gab er gelassen zurück.

      »Und wie machst du das, dass du im Dunkeln so super sehen kannst? Ist das auch nur Training?«

      Er lachte leise und brachte meinen Magen wieder zum Vibrieren. »Wenn du meinst, dass ich jede Nacht durch den Wald stapfe, dann lautet die Antwort eindeutig nein. Ich hab einfach nur gute Augen und kenne den Weg. Das ist alles.«

      Die Außenbeleuchtung zauberte ein seltsames grünes Leuchten in seine Augen und sofort zogen sie mich wieder in ihren Bann. Doch diesmal wurde ich nicht ohnmächtig oder schwebte. Ich hatte nur einen Wunsch … und er reagierte.

      Nur leider ganz anders, als ich es gehofft hatte.

      »Du gehst jetzt wohl besser rein, ehe deine Grandma kommt.« Er sah zu unserem Haus hinüber und er hatte recht. Sie konnte wirklich jede Minute nach Hause kommen.

      »Danke noch mal«, murmelte ich widerstrebend, denn obwohl ich keine Lust gehabt hätte, Grandma zu erklären, weshalb ich mit einem fremden Typen vor unserem Haus stand, wollte ich noch nicht gehen.

      »Kein Problem. Wie schon gesagt, ich kann jetzt besser schlafen.« Er zögerte, als wollte er noch etwas sagen, doch dann überlegte er es sich offenbar anders und wünschte mir nur eine gute Nacht.

      »Gute Nacht.«

      Widerwillig wandte ich mich zum Gartentor um, aber während ich es öffnete, fiel mir etwas ein, das ich ihn unbedingt noch fragen musste.

      »Woher wusstest du eigentlich, dass ich hier …«

      Doch er war nicht mehr da.

      Ich hatte nicht gehört, dass er gegangen war, aber er war verschwunden. Angestrengt spähte ich in die Dunkelheit und lauschte. Nichts. Kein Knirschen von Schritten im Kies. Es war totenstill. Nicht einmal der Wind war zu hören.

      Einen Moment wartete ich noch, dann trat ich durch das Tor in den Garten und schloss es hinter mir.

      In der Küche stellte ich den Herd auf kleine Stufe. Die heiße Nudelsuppe zu essen war bestimmt eine gute Idee, obwohl ich schon lange nicht mehr fror, aber Grandma war dann zufrieden. Und als sie eine halbe Stunde später die Tür aufschloss, hatte ich bereits geduscht und einen Großteil der Suppe verputzt.

      Um mich von Cassian abzulenken, machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich und guckte mit Grandma die DVD an, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Während Jack Lemmon und Tony Curtis als Frauen verkleidet mit ihren Instrumenten in den Zug kletterten, meinte Grandma plötzlich: »Du hattest mich doch letzte Woche nach dem Warnerhaus gefragt …«

      Ich hätte mich fast an meinem Popcorn verschluckt. Anscheinend gelang es mir heute nicht mehr, nicht an ihn zu denken. Aber ich nickte nur, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen, und kaute weiter.

      »Sue Bailey hat mir heute beim Essen erzählt, dass ein Mann es für sich und seinen Neffen gemietet hat.«

      Ich war überrascht. Einen Onkel hatte Cassian gar nicht erwähnt?

      Aber eigentlich war es ja klar, dass er dort nicht alleine wohnte.

      »Der Junge muss etwa in deinem Alter sein. Ich glaube, Sue sagte, er heißt Beckham und geht auf deine Schule.«

      »Beckett«, verbesserte ich. Mein Mund war gerade leer.

      »Beckett?« Sie zog nachdenklich ihre Stirn in Falten. »Kann sein. Du weißt ja, ich habe ein fürchterliches Namensgedächtnis. Kennst du ihn?«

      »Jeb, hab Mathe mit ihm.«

      »Er hat seine Eltern auch verloren, der arme Junge, und sein Onkel ist anscheinend viel unterwegs. Er ist Meeresbiologe oder so was Ähnliches. Jedenfalls soll er nicht viel Zeit für seinen Neffen haben, was man so hört.«

      Ich machte »Aha«, blickte aber weiter stur auf den Fernseher. Grandma musste ja nicht wissen, wie sehr ich an unseren neuen Nachbarn interessiert war. Und weil ich nichts weiter zu dem Thema sagte, verlor auch sie das Interesse und widmete sich wieder dem Film. Ich war mit meinen Gedanken allerdings längst nicht mehr bei der Handlung.

      Auch als ich später im Bett lag, beschäftigte mich unsere Begegnung noch immer. Vor allem die Fragen, die ich ihm hatte stellen wollen, bevor er so plötzlich verschwunden war. Woher kannte er einen Schleichweg, der zufällig direkt zu unserem Haus führte? Und woher wusste er überhaupt, wo ich wohnte? Und da war noch etwas. Ich hatte ihm zwar erzählt, dass meine Eltern gestorben waren, aber nicht, dass ich bei meiner Grandma lebte.

      »Du gehst jetzt wohl besser rein, ehe deine Grandma kommt«, hatte er gesagt. Aber wie konnte er von ihr wissen?

      Einen schwachen Moment lang hoffte ich, er würde sich vielleicht tatsächlich für mich interessieren und hätte sich sogar über mich erkundigt. Aber dann sagte ich mir wieder, dass das doch zu absurd war. Ein so attraktiver Typ, der Mädchen wie Megan Wilcox oder Angelina Winchester haben und abservieren konnte, würde niemals ernsthaft eine Verabredung mit mir in Erwägung ziehen. Aber so oft ich mir das auch sagte, es änderte nichts an meinen Gefühlen.

      Verträumt kuschelte ich mich an das weiche Leder seiner Jacke. Ganz schwach war er da, dieser feine Duft, und sofort kam die Erinnerung wieder, wie er mich im Wald in seinen Armen gehalten hatte.

      Und dann der Moment am Gartenzaun, als ich mir zum ersten Mal gewünscht hatte, Cassian Beckett würde mich küssen.

      Er war da. Er hielt meine Hand und lief mit mir durch den nächtlichen Wald, aber diesmal schien der Mond und es war taghell. Ich konnte sein Gesicht deutlich erkennen, denn er war mir ganz nah. Er lächelte und ich war unsagbar glücklich.

      Doch auf einmal erklang ein durchdringendes Heulen.

      Mein Wolf! Und ich bekam eine Gänsehaut, denn ich wusste, was es bedeutete. Sein Heulen war eine Warnung für mich …

      Am nächsten Morgen konnte ich es kaum erwarten, in die Schule zu kommen. Auf dem Parkplatz traf ich Abby, die heute ausnahmsweise mal mit dem Zweitwagen der Mitchells gekommen war.

      »Mensch, ist das kalt heute«, bibberte sie, wobei sie von einem Bein aufs andere hüpfte, um ihre kalten Füße zu wärmen. »Aber wie ich sehe, bist du bestens gerüstet. Allerdings …«, sie musterte kritisch die Lederjacke, die ich über dem Arm trug, »… ist das Teil da nicht ’n bisschen groß?«

      »Ist nicht meine. Sie gehört Beckett.« Äußerlich war ich vollkommen cool, aber mein Herz begann heftig zu klopfen, als ich seinen Namen aussprach.

      »Waaas?« Abby brüllte so laut los, dass ein Mädchen neben uns erschrocken zusammenfuhr.

      »Es war gestern Abend ziemlich kalt und da hat er sie mir geborgt«, erklärte ich so gelassen wie möglich, während wir auf das Schulgebäude zugingen.

      »Cassian Beckett hat dir gestern Abend seine Jacke geborgt, weil es ziemlich kalt war?«, echote sie verblüfft.

      »Ja.«

      »Echt?«

      Ich nickte.

      »Oh


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