Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


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Kein Problem. Er läuft ja wieder«, antwortete ich und war enttäuscht, dass er es plötzlich so eilig hatte. Wahrscheinlich wurde er wirklich irgendwo erwartet.

      Er glitt elegant auf den Fahrersitz und sein Wagen schnurrte wie eine zufriedene Katze auf, als er den Anlasser betätigte.

      »Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Es würde mich sehr freuen.« Er schenkte mir sein aufregendes Lächeln, sagte: »Adieu, Chérie«, hob zum Abschied kurz die Hand und rauschte davon, ohne noch einmal zurückzublicken.

      Den Rest der zweiten Schulwoche lernte ich keine geheimnisvollen und aufregenden Typen mehr kennen und ich sah auch meinen charmanten Retter nicht wieder.

      Anscheinend war das Schicksal der Ansicht, Cassian wäre genug Aufregung für mich, und damit lag es absolut richtig. Wann immer er irgendwo in der Schule auftauchte, bekam ich weiche Knie und das, obwohl er gar nicht mehr viel mit mir sprach. Mehr als ein kurzes »Hi« vor dem Unterricht bekam ich nicht zu hören.

      Aber warum sollte es auch anders sein? Nur, weil wir in Kunst zusammenarbeiten mussten und er mich nach Hause gebracht hatte? Schließlich war ich bei ihm aufgetaucht und er war einfach nur höflich gewesen. Auch seine Hilfe beim Zeichnen konnte eigentlich nur einen Grund haben. Er wollte durch mich keine schlechte Note bekommen. Immerhin war die Eagle High seine letzte Chance, einen Abschluss zu machen, wenn die Gerüchte über ihn stimmten. Es war also das Beste, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen.

      Nur war das leider nicht so einfach. Nachts träumte ich von ihm und in der Schule hielt ich automatisch nach ihm Ausschau. Sah ich ihn, war er allerdings allein. Warum auch immer, Cassian Beckett hielt sich gerade von jedem weiblichen Wesen in der Schule fern.

      Am Freitagabend traf sich unsere Clique, um bei Tyler Filme zu gucken. Wir vertilgten dabei massenweise Popcorn und Pizza, alberten herum und eigentlich machte das Spaß. Allerdings hätte ich mich noch besser amüsiert, wenn Sandra mich nicht jedes Mal mit ihren eifersüchtigen Blicken durchbohrt hätte, sobald Doug in meine Nähe kam.

      Abby hatte ich es zu verdanken, dass er mich jedoch nie allein erwischte, auch wenn er es ein paar Mal darauf anlegte. Doch dank meiner Freundin blieb ich von unangenehmen Liebesbeichten und hysterischen Eifersuchtsszenen verschont und konnte das Zusammensein mit meinen Freunden trotzdem genießen. Außerdem lenkte mich der Abend von Cassian ab.

      Am Samstagmittag jedoch, als ich allein in meinem Zimmer über meinen Hausaufgaben brütete, waren die Gedanken wieder da. Und je länger ich an meinem Schreibtisch hockte, desto kribbeliger wurde ich. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.

      Meine Jogginghose und die Jacke lagen griffbereit auf dem Korbstuhl. Doch den Player ließ ich diesmal gleich auf dem Nachttisch zurück.

      Die Luft war frisch. In der Nacht hatte es noch geregnet, aber als ich loslief, war es nur etwas neblig.

      Alle meine guten Vorsätze waren vergessen. Ich wollte ihn sehen und mit ihm reden. Außerhalb der Schule würde es leichter sein. Nur ein lockerer Plausch mit einem Nachbarn, bei dem ich zufällig vorbeikam. Mehr nicht. Nur ich wusste, dass es kein nachbarschaftlicher Höflichkeitsbesuch war.

      Wieder joggte ich die Hauptstraße entlang bis zu der Einfahrt, und dann weiter zum Haus. Ich wurde schneller und wieder war ich außer Atem, als ich es erreichte. Bei Tageslicht wirkte es noch heruntergekommener und dass sich niemand um das Gestrüpp und den verwilderten Weg kümmerte, machte es nicht besser.

      Ich musste grinsen, als ich mir Cassian beim Laubharken vorstellte. Schade, dass er es nicht tat, dann hätte es noch mehr wie ein zufälliges Treffen gewirkt. So aber war ich gezwungen zu klingeln, wenn ich ihn sehen wollte. Und das wollte ich. Aber ich hatte mir schon etwas überlegt. Ich würde ihn einfach nach den Matheaufgaben fragen. Nicht besonders originell, aber etwas Besseres war mir nicht eingefallen.

      Ich wartete noch einen Moment, bis sich mein Atem beruhigt hatte, dann betrat ich die überdachte Veranda. Diesmal entdeckte ich die Klingel neben der Eingangstür. Ich wartete eine Weile, doch nichts geschah. Hier draußen konnte man nicht hören, ob es drinnen läutete. Vielleicht war ja die Stromleitung immer noch kaputt. Also klopfte ich zur Sicherheit, aber wieder rührte sich nichts. Ich griff nach dem Türgriff.

      Mist! Abgeschlossen.

      Das konnte nur bedeuten, dass er nicht zu Hause war. Oder schlimmer, er war da und wollte mir nicht öffnen.

      Enttäuscht verließ ich die Veranda. Es war eine total bescheuerte Idee gewesen. Wie kam ich überhaupt darauf, dass er an einem Samstag zu Hause herumsaß und darauf wartete, dass ich hier auftauchte? Nur weil er sich in der Schule für keines der Mädchen mehr interessierte, bedeutete das ja nicht, dass er keine Freundin hatte. Es war sogar wahrscheinlich, dass dies der Grund für seine ungewohnte Enthaltsamkeit war.

      Nun bereute ich es endgültig, dass ich gekommen war. Es war Zeit, schleunigst zu verschwinden, ehe er noch mit seiner Freundin hier auftauchte und es richtig peinlich wurde.

      Ich wollte schon zurück zur Straße laufen, als ich den schmalen überwucherten Pfad bemerkte. Neugierig ging ich zur Rückseite des Hauses. Der Weg führte ins Unterholz und bestimmt war Cassian hier mit mir langgegangen.

      Bei der Vorstellung, nicht wieder das Stück auf der Hauptstraße zurücklaufen zu müssen, besserte sich meine Laune ein wenig. Vielleicht war Joggen ja doch eine gute Idee und ohne weiter zu überlegen, sprintete ich los. Diesmal war mein Tempo besser. Mein Atem floss gleichmäßig und ich versuchte, mich nur noch aufs Laufen zu konzentrieren. Ich wollte nicht mehr an ihn denken. Einfach nur die Bewegung spüren und laufen, gleichmäßig ein- und ausatmen und an nichts mehr denken …

      Nach einer Weile war ich so auf meine Bewegungen konzentriert, dass ich überhaupt nicht mehr auf meine Umgebung achtete. Auch nicht auf die Unebenheiten am Boden. Ich fühlte einen Ruck an meinem Fuß und dann ging alles schrecklich schnell. Ich schlug der Länge nach hin und landete in einer riesigen Pfütze.

      Das Wasser war eiskalt, aber als ich aufspringen wollte, bremste mich ein stechender Schmerz in meinem Knöchel. Keuchend blieb ich liegen.

      Na, wenigstens hatte ich meinen Player nicht ertränkt. Der lag sicher und trocken zu Hause.

      Meine Hände und Knie aber brannten unangenehm, als ich langsam auf allen Vieren aus dem Wasser kroch. Zitternd blieb ich neben der Pfütze sitzen und versuchte, meine Hände vom Matsch zu befreien, indem ich sie an meiner auch nicht mehr sauberen Jacke abwischte. Meine Handflächen waren aufgerissen, meine Knie sahen noch übler aus und die Sporthose war eindeutig ein Fall für die Mülltonne.

      Ohne an die offenen Wunden an meinen Händen zu kommen, durchsuchte ich meine Jacke nach Taschentüchern. Sie waren durchgeweicht, aber wenigstens noch halbwegs sauber. Notdürftig entfernte ich mit ihnen den Dreck und tupfte mit dem letzten das frische Blut von meinen Knien. Als Nächstes bewegte ich probeweise meinen Knöchel. Es tat noch immer höllisch weh.

      Vorsichtig drehte ich mich zur Seite und stemmte mich mühsam nach oben. Auftreten war richtig unangenehm, aber ich biss die Zähne zusammen und humpelte einige Schritte vorwärts. Und dann wurde mir klar, dass ich überhaupt nicht wusste, wohin ich gehen sollte. Nebel.

      Ich war so mit meinem Lauf und den Verletzungen beschäftigt gewesen, dass ich ihn gar nicht bemerkt hatte, aber jetzt war er so dicht, dass man keine drei Meter weit mehr sehen konnte. Und ich war nicht sicher, aus welcher Richtung ich gekommen war.

      Irgendwo hier musste doch dieser verflixte Pfad sein? Ich hinkte ein paar Schritte zurück, dann nach links, dann nach rechts und wieder zurück. Der Boden um mich herum sah überall gleich aus. Er war mit Laub und Ästen bedeckt, aber kein Weg.

      »Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte ich verzweifelt.

      Patschnass, verletzt und frierend stand ich mitten im Wald und hatte nicht die leiseste Ahnung, in welcher Richtung das Warnerhaus lag oder ob es hier überhaupt irgendwo nach Hause ging.

      Einen Moment fühlte ich Panik in mir aufsteigen. Was, wenn ich nicht mehr zurückfand und hier erfror oder verdurstete?

      »Unsinn.


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