Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


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seufzte. »Das ist doch Quatsch. Über was bitte sollte ich im Badezimmer schockiert gewesen sein? Noch dazu, wo sich mir ein so netter Anblick geboten hat.« Er lächelte und ich wurde unter seinem anzüglichen Blick rot. So wie er das sagte, klang meine Behauptung tatsächlich ziemlich unsinnig. Badezimmer waren in den seltensten Fällen besorgniserregend. Allerdings wusste ich auch, was ich im Spiegel gesehen hatte.

      »Ich könnte jetzt einen Tee gebrauchen. Wie steht’s mit dir?«

      Er wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern war schon mit einem »Kann aber etwas dauern« aus dem Wohnzimmer verschwunden und ließ mich allein mit meiner unbeantworteten Frage zurück.

      Trotz der Wärme, die der Kamin inzwischen verbreitete, fror ich wieder. Vielleicht war der Tee ja gar keine so schlechte Idee. Ich hockte mich auf das Sofa und griff nach der Decke, die dort lag.

      Offenbar musste ich eingedöst sein, denn erst eine Bewegung neben mir schreckte mich auf. Cassian hatte sich zu mir auf das Sofa gesetzt und hielt mir eine Tasse hin, aus der eine dampfende, aromatische Wolke aufstieg.

      »Ich war auf einmal so müde«, nuschelte ich verlegen, wurschtelte meine Hand unter der Decke hervor und nahm ihm die Tasse ab, die er mir hinhielt. Vorsichtig, um mir nicht die Zunge zu verbrennen, probierte ich erst nur einen winzigen Schluck.

      »Schmeckt gut. Was ist das?« Mir fiel ein, dass ich ihn so etwas schon einmal gefragt hatte. War es wirklich klug, das zu trinken? Vielleicht waren es wieder Drogen? Andererseits wusste ich ja gar nicht, ob er mir tatsächlich welche gegeben hatte.

      »Kräutertee. Ich habe ihn aus dem kleinen Laden in der Mill Street. Ich hoffe, du magst ihn ohne Zucker. Ich hab nämlich keinen.«

      Oh ja, Kräutertee aus dem Laden der alten Mrs. Marley war wirklich höchst illegal. Mann, ich war ja so dämlich und das nicht zum ersten Mal. Er war nett und hilfsbereit und ich unterstellte ihm andauernd irgendwelche komischen Sachen. Anscheinend war ich diejenige, die in Wahrheit die Gespenster sah.

      »Macht nichts. Er ist super so«, beeilte ich mich zu sagen, aber schon sprudelte die nächste Frage aus mir heraus. »Wie hast du ihn eigentlich gekocht? Ich meine, wegen deines Elektrizitätsproblems?«

      »Es gibt einen alten Herd in der Küche. Den kann man mit Holz heizen, aber das hat leider etwas gedauert, bis ich ihn angefeuert hatte. Ich habe heut Abend einfach nicht mit Besuch gerechnet.«

      »Und ich hatte eigentlich auch nicht vor, dich zu besuchen«, schwindelte ich. Hoffentlich hatte er nicht doch hinter der Haustür gestanden.

      »Ich wollte joggen«, setzte ich schnell hinzu, obwohl er das ja bereits mitbekommen hatte. »Ich meine, ich wollte den Weg schon beim letzten Mal ausprobieren, aber da ist mir ja was dazwischengekommen.« Das klang doch ganz plausibel.

      »Aha.«

      Ich konnte nicht heraushören, ob er mir glaubte, darum fragte ich schnell: »Weshalb warst du eigentlich im Wald?«

      »Ich habe Anzündholz für den Kamin gesammelt.«

      »Da hatte ich wohl echt Glück. Ich habe schon gedacht, ich müsste die ganze Nacht im Wald verbringen«, seufzte ich. »Und wenn nicht der Wolf …« Davon musste er nichts wissen.

      »Du hast einen Wolf im Wald gesehen?«

      »Nicht direkt.«

      »Aber du hast doch gerade gesagt …«

      »Ja, schon. Ich meine … Nein. Ich habe ihn nicht gesehen, nur gehört.« Mehr würde ich bestimmt nicht sagen. Sonst dachte er noch, ich wäre verrückt.

      »Gehört?«

      Ich trank einen Schluck Tee, um Zeit zu gewinnen.

      Aber er ließ nicht locker. »Wie hast du das gemeint, du hast ihn nur gehört?«

      »Er hat geheult. Ist doch nicht so wichtig.«

      »Doch, ist es. Sonst hättest du es nicht erwähnt, oder?«

      »Ich möchte aber nicht darüber reden.«

      »Warum nicht?«

      Anscheinend spielten wir schon wieder unser Verhörspiel und er war wieder mal der Sheriff.

      »Darum! Könnten wir das jetzt bitte lassen?«

      »Nein.«

      »Was?«

      »Nein. Ich würde nämlich gerne wissen, was da draußen passiert ist.«

      »Und ich sagte schon, dass ich nicht darüber reden werde«, wiederholte ich genervt.

      »Und warum willst du nicht darüber reden?«

      Ich atmete tief durch. »Weil du mir sowieso nicht glauben würdest.«

      »Würde ich nicht?« Er hob eine Augenbraue.

      »Nein.«

      »Aber das kannst du doch nicht wissen.«

      »Doch.«

      »Was hältst du davon, es einfach zu versuchen?«

      Ich antwortete ihm nicht.

      »Du bist doch sonst so mutig.« Seine Stimme klang jetzt ganz sanft. »Wieso diesmal nicht?«

      Ich war nicht mutig. Schon gar nicht in dieser Sache und ich hatte keine Ahnung, warum ich irgendwann doch nachgab. Er würde sich über mich totlachen, so viel stand fest.

      Darum wagte ich auch nicht, ihn anzusehen, als ich mit meiner Geschichte fertig war. Ich nippte lieber an meinem Tee und starrte danach die Tasse an, als wäre sie etwas ganz Außergewöhnliches. Dabei hatte sie bloß einen Sprung. Mit meinem Zeigefinger malte ich den winzigen Riss nach, während ich auf seine ungläubige Reaktion wartete.

      »Und du denkst, dass der Wolf dich heute durch sein Heulen geführt hat, weil er dir schon einmal geholfen hat?« Bisher hatte er nicht gelacht und auch jetzt klang er weder spöttisch noch so, als würde er an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln.

      »Ja.« Ich hob den Kopf und begegnete seinem Blick. Die kleinen dunkelgrünen Pünktchen in seinen Augen … warum hatte ich sie eigentlich nicht schon vorher bemerkt?

      »Erzählst du mir von … von deinem Wolf? Ich meine, als du ihm das erste Mal begegnet bist?«

      Nur widerwillig löste ich meinen Blick von dem Grün und betrachtete sein Gesicht im Ganzen. Er sah wirklich nicht so aus, als würde er sich auf meine Kosten amüsieren. Sein Gesichtsausdruck war nur interessiert. Doch ich zögerte. War das vielleicht nur ein Trick? Ich verspürte absolut keine Lust, dass meine Geschichte am Montag in der ganzen Schule die Runde machte. Sogar Mum und Dad waren der Ansicht gewesen, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Wie sollte mir da ein Fremder glauben?

      Aber er wartete geduldig und schließlich seufzte ich. Was spielte es schon für eine Rolle, wenn er mich für geistesgestört hielt?

      »Wir wohnten an einem Fluss …«, begann ich zögernd und schloss die Augen. »Es war ein paar Tage vor meinem siebten Geburtstag und ich spielte mit meiner besten Freundin Sally in unserem Garten. Mein roter Ball sauste durch die Luft auf Sally zu. Sie konnte ihn nicht fangen und so flog er über den Zaun und rollte den Hang hinunter. Er fiel nicht in den Fluss, sondern wurde von einem Ast gebremst, der auf dem schmalen Uferstück lag. Ohne zu überlegen, lief ich los und kletterte über den Zaun. Ich versuchte die steile Böschung runterzukommen und hörte die ganze Zeit Sallys Rufe. Sie wollte nicht, dass ich das tat, denn sie wusste, wie gefährlich es war. Meine Eltern hatten uns immer wieder gewarnt.« Ich schluckte. »Es kam, wie es kommen musste, ich rutschte auf dem schneebedeckten Hang ab und kullerte nach unten. Sallys Schreie waren das Letzte, was ich hörte, ehe ich auf das eisige Wasser aufschlug. Selbst wenn ich schwimmen gekonnt hätte, die Kälte lähmte mich sofort. Außerdem war die Strömung viel zu stark. Sie riss mich mit sich und ich ging unter.«

      Ich schauderte und öffnete wieder meine Augen, sah Cassian aber nicht an.

      »Er war im Wasser.


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