Krallenspur. Lara Seelhof

Krallenspur - Lara Seelhof


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er mich zu sich nach Hause gebracht hatte, konnte ich zwar nicht sehen, aber ich hörte es, weil die Eingangstür wieder dieses unangenehme Quietschen von sich gab. Drinnen war es genauso dunkel, aber ich fühlte, dass er mich auf etwas Weichem absetzte. Es raschelte kurz, dann flammte ein warmes Licht auf und ich konnte erkennen, dass ich wieder in dem Sessel vor dem Kamin saß.

      »Du solltest doch mal einen Elektriker anrufen«, murmelte ich, während er die Kerzen in dem altmodischen Leuchter anzündete.

      »Vielleicht sollte ich das wirklich.« Er lächelte. »Aber erst sehe ich mir mal dein Bein an.«

      Es war eigenartig, ihn vor mir niederknien zu sehen. Er krempelte mein Hosenbein hoch und öffnete die Schnürsenkel, bevor er behutsam meinen Turnschuh vom Fuß schob und genauso vorsichtig meine Socke auszog. So wie er das tat, schien er sich mit Verletzungen auszukennen. Er legte seine Hand auf meinen Knöchel und es fühlte sich wunderbar kühl an.

      »Denkst du, er ist gebrochen?«

      Cassian reagierte nicht und als ich ihn ansah, wirkte er seltsam abwesend, wie er so dasaß und meinen Fuß festhielt.

      »Cassian?«

      Er schreckte auf. »Was? Ähm, ich denke nicht. Oder tut das weh?«

      Vorsichtshalber hielt ich die Luft an, als er das Gelenk abtastete, aber selbst als er meinen Fuß leicht hin und her bewegte, fühlte ich keine Schmerzen.

      »Ich glaube, du hast noch mal Glück gehabt. Er ist nicht dick, also wahrscheinlich bloß verstaucht.« Er klang zufrieden. »Was ist mit deinen Knien?«

      Statt einer Antwort zog ich auch mein anderes Hosenbein hoch. Er stand auf, ging zu dem Holzschränkchen, auf dem eine große graue Mappe lag, öffnete die Schublade und holte eine kleine Flasche und Wattepads heraus.

      »Das wird jetzt etwas brennen«, warnte er, kniete sich wieder hin und gab etwas aus der Flasche auf eines der Pads. Dem Geruch nach war es Jod und so fühlte es sich auch an. Ich biss mir auf die Lippen.

      Nachdem er auch alle anderen Wunden verarztet hatte, erhob er sich und stellte das Fläschchen zurück.

      »Danke«, bibberte ich, denn noch immer klebten die nassen Sachen unangenehm kalt an meinem Körper. Am liebsten hätte ich sie ausgezogen, allerdings gab es da ein Problem.

      Cassian grinste. »Du kannst hier baden, wenn du willst. Ich meine, falls es dich nicht stört, was von mir anzuziehen?«

      Mich stören? Machte er Witze? Gut, dass er nicht wusste, dass seine Lederjacke schon in meinem Bett übernachtet hatte.

      Laut sagte ich nur: »Wird wahrscheinlich etwas groß sein, aber das wäre klasse. Danke.«

      »Komm. Ich zeig dir, wo das Badezimmer ist.« Er war schon an der Tür und ich stand auf, um ihm zu folgen. Doch dann schnappte ich erschrocken nach Luft und hob automatisch meinen linken Fuß an.

      Mein Knöchel. Ich hatte ihn vollkommen vergessen, aber eigenartigerweise hatte es beim Auftreten gar nicht wehgetan. Vorsichtig probierte ich es noch einmal. Es war alles in Ordnung. Überhaupt keine Schmerzen mehr. Aber wie konnte das sein?

      »Vielleicht hat sich der Fuß ja irgendwie wieder eingerenkt«, suchte Cassian nach einer Erklärung, während wir die Treppe hinaufstiegen und ich mich noch immer über meine eigenartige Spontanheilung wunderte.

      »Möglich«, murmelte ich wenig überzeugt. Einrenken war schmerzhaft. Ich hatte einmal mitbekommen, wie Coach Meyer Tylers ausgekugelte Schulter wieder eingerenkt hatte, und ich konnte mich nicht erinnern, eben vor Schmerzen geschrien zu haben. Doch eigentlich war es auch egal. Hauptsache, es tat nicht mehr weh.

      Inzwischen waren wir im Obergeschoss angekommen. Hier gab es drei Türen. Er öffnete gleich die erste.

      »Ich hoffe, es ist in Ordnung für dich«, entschuldigte er die altmodische Einrichtung des Badezimmers. Er zeigte mir, wo ich Handtücher fand, dann ließ er mich allein.

      Während das heiße Wasser in die Wanne lief, sah ich mich in dem kleinen Bad um. Wie das ganze Haus hätte auch dieser Raum dringend eine Renovierung nötig gehabt. Aber auch wenn nicht mehr alle Kacheln an den Stellen waren, an die sie eigentlich gehörten, war es dennoch aufgeräumt und blitzblank. Wahrscheinlich hatte Cassians Onkel jemanden eingestellt, der sich um alles kümmerte.

      Ich nahm das Duschgel vom Badewannenrand und schnupperte daran. Es duftete eindeutig männlich, aber es war nicht ganz Cassians Geruch. Er roch viel besser.

      Nachdem ich probeweise meine Zehenspitzen in das Badewasser eingetaucht und die Temperatur für angenehm befunden hatte, sank auch der Rest von mir in die Wanne. Die Abschürfungen an meinen Handflächen und Knien brannten scheußlich, also zog ich schnell wieder die Beine an und legte meine Hände auf den Badewannenrand. So war es erträglich. Ich schloss die Augen und als sich meine verkrampften Muskeln endlich entspannten, seufzte ich selig. Aus diesem Traum aus heißem Schaum wollte ich nie wieder auftauchen.

      Aber ich war ja hier nur zu Besuch, also beeilte ich mich und bevor ich die Badewanne endgültig verließ, drehte ich noch den Hahn für die Brause auf und spülte mir den Rest Schlamm aus den Haaren. Als ich mit dem Abtrocknen fertig war, stellte ich fest, dass ich noch immer nichts Sauberes zum Anziehen hatte. Also schnappte ich mir erneut das riesige Handtuch und wickelte mich darin ein. Das musste erst einmal genügen.

      Ich sammelte meine schmutzigen Sachen auf und legte sie sorgfältig auf einen Haufen, dann setzte ich mich auf den Badewannenrand und spülte mit der Brause den Schaum in den Abfluss. Dabei sah ich zufällig in den Spiegel über dem Waschbecken und hätte vor Schreck fast die Brause fallen gelassen.

      Cassian! Er stand hinter mir in der Tür. Ich sprang auf.

      »Himmel«, stöhnte ich und mir wurde peinlich bewusst, dass ich nichts weiter als ein Handtuch trug. »Musst du mich so erschrecken?«

      »Entschuldige.« Er hatte zumindest so viel Anstand, nicht auf das Handtuch zu starren, sondern sah mir ins Gesicht. »Ich habe das Wasser gehört und dachte, du wärst fertig. Aber du hast wohl mein Klopfen nicht mitgekriegt.«

      »Nein. Habe ich nicht.« Ich drehte den Wasserhahn zu und hängte die Brause zurück in die Vorrichtung und als ich mich wieder umdrehte, bemerkte ich erst den Stapel mit Kleidung auf seinem Arm.

      »Danke.« Ich nahm ihm die Sachen ab.

      »Falls du noch was brauchst. Ich bin unten.« Er schloss die Tür hinter sich.

      Unschlüssig starrte ich auf die Shorts, die Sportsocken, das graue Sweatshirt und die Jogginghose in meiner Hand. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Sein unerwartetes Auftauchen hatte mich zwar erschreckt, aber beunruhigender war sein Gesichtsausdruck gewesen. Ich hatte es im Spiegel ganz deutlich gesehen. Er hatte richtig geschockt gewirkt. Aber wieso?

      Nervös begutachtete ich mein Spiegelbild. Nein. Alles vollkommen normal. Meine Wangen waren leicht gerötet, aber sonst? Jedenfalls sah ich jetzt mit Sicherheit weniger schlimm aus als zuvor mit meiner »Schlammpackung«. Und das hatte ihn doch auch nicht gestört. Also konnte es nicht an mir liegen. Aber was hatte ihn dann so beunruhigt?

      Als ich ins Wohnzimmer kam, schlug mir angenehme Wärme entgegen. Cassian hockte vor dem Kamin und legte neue Holzscheite nach.

      »Warum hast du eigentlich gerade so komisch geguckt?«

      Ich stellte mich neben ihn und sah zu, wie sich die Flammen züngelnd in die Scheite fraßen, bis alles lichterloh brannte und mich die Hitze zurückweichen ließ.

      »Komisch geguckt?«

      »Ja.«

      »Wann?«

      »Eben. Im Badezimmer. Du hast ausgesehen, als hättest du einen Geist gesehen.«

      Er erhob sich. »Dieses Haus ist zwar alt, aber ich bin sicher, dass es hier nicht spukt.«

      »Haha, sehr witzig.« Ich wollte eine vernünftige Antwort. »Gut, wenn es also kein Gespenst war, was hat dich dann so erschreckt?«


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