Internationales Franchise-Recht. Dagmar Gesmann-Nuissl
Rücksicht auf die Vorschriften aus Ley 7/1996 und dem Real Decreto 201/2010 als ausreichend und wies die Klage ab.111
74
Das Landgericht Alicante stellte in einem anderen Zusammenhang fest, dass das Real Decreto 201/2010 nicht die Pflicht für den Franchise-Geber begründe, sich realisierende Umsatzprognosen bereitzustellen.112 Das Gericht sah eine bloße Schätzung des zu erwartenden Umsatzes als ausreichend an; hierdurch sei die Pflicht aus dem Real Decreto 201/2010 hinreichend erfüllt. Ferner sei eine Schätzung grundsätzlich nicht irreführend und enthalte ebenso wenig eine Umsatzgarantie. Die Schätzung müsse allerdings durch eine korrekte Anwendung von Bilanzierungsmethoden und deren Analyse zustanden gekommen sein. Da diese vorvertraglichen Pflichten scheinbar erfüllt wurden und der Franchise-Nehmer genug Zeit zur Prüfung der erhaltenen Informationen hatte und zudem über ausreichende Erfahrungen verfügte, lehnte das Gericht zudem das Vorliegen eines Mangels nach Art. 1266 Real Decreto vom 24.7.1889 ab.
bb) Fortwährende Probleme auch nach Inkrafttreten der Sonderregeln
75
Ein Problem, welches auch nach Inkrafttreten der Franchiseregeln fortbesteht, ist die Bereitstellung von unvollständigen oder irreführenden Informationen seitens des Franchise-Gebers. Nicht zuletzt, weil noch immer Unsicherheiten darüber bestehen, welche Angaben von den vorvertraglichen Informationspflichten überhaupt umfasst werden und welche nicht. Gerade in Bezug auf Umsatzprognosen bestand weder vor noch nach Einführung der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten eine eindeutige Mitteilungsverpflichtung des Franchise-Gebers.113 Wie zuvor dargestellt, ist nämlich nicht eindeutig geklärt, auf welcher Grundlage eine Umsatzprognose zu erfolgen hat, ferner ob eine überprüfbare Prognose oder lediglich eine Schätzung verlangt wird und welche Ansprüche jeweils daran zu stellen sind. Das Real Decreto 201/2010 verlangt zwar Informationen über den Markt, wozu wohl auch eine Umsatzprognose gehören sollte, welche aber nach Ansicht der meisten spanischen Gerichte eher eine freiwillige – und eben keine verpflichtende – Angabe darstellt.114 Da die Probleme der unvollständigen oder irreführenden Informationen vor und nach der Kodifizierung der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten bestanden beziehungsweise weiterhin bestehen, ist auch anzunehmen, dass die dahingehenden Rechtsstreitigkeiten nicht zurückgehen werden.
cc) Neue Probleme durch die Sonderregelungen
76
Nachdem erörtert wurde, dass die gesetzlich festgeschriebenen vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten von den Gerichten z.T. gar nicht berücksichtigt werden und deshalb die zuvor bestehenden Probleme auch nach Einführung des Franchise-Rechts – dem Ley 7/1996 und dem Real Decreto 201/2010 – fortbestehen, sollen nun noch die Probleme aufgezeigt werden, die erst mit diesen Sonderregelungen entstanden sind.
(1) Umfang der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten
77
Der Umfang der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten des Franchise-Gebers ist im spanischen Rechtssystem problematisch.115 Es ist nicht eindeutig bestimmbar, welche Informationen in welchem Umfang abgefordert werden, damit der Franchise-Nehmer eine wissentliche und informierte Entscheidung treffen kann, wodurch auch formal korrekte Informationen materiell unvollständig sein können.116 Auch existiert keine eindeutige Rechtsprechung, die zu einer Klärung des Umfangs der bestehenden Informations- und Aufklärungspflichten führt (siehe oben Rn. 60 ff.).
(2) Mögliche Sanktionen und Rechtsfolgen
78
Bei Verletzung der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten bestehen Unsicherheiten über die möglichen Sanktionen.117 Ley 7/1996 besitzt eigentlich einen öffentlich-rechtlichen (administrativen) Charakter, deutet aber zugleich auf einen privatrechtlichen Charakter hin, ohne aber selbst Regelungen (das Real Decreto 201/2010 ebenfalls nicht) zu möglichen privatrechtlichen oder administrativen Maßnahmen/Sanktionen vorzuhalten.118 Zudem stehen zwei mögliche Rechtsfolgen zur Verfügung, ohne dass deren Abgrenzung sicher möglich wäre: die anfängliche Nichtigkeit aufgrund eines Verstoßes gegen zwingendes Recht, Art. 6 Real Decreto vom 24.7.1889 und die in die Zukunft gerichtete Aufhebung auf der Grundlage eines beweisbaren und wesentlichen Mangels nach Art. 1265 ff. Real Decreto vom 24.7.1889, wobei Letztere von der Rechtsprechung präferiert wird. Die spanischen Gerichte haben in ihren Entscheidungen nicht weiter spezifiziert, welche Maßnahme dem Franchise-Nehmer bei einer Pflichtverletzung durch den Franchise-Geber tatsächlich zur Verfügung steht.119
c) Literaturanalyse: Meinungsbild
aa) Annahme der Sonderregelungen und Zielerreichung
79
Es besteht die Ansicht, dass die Regelungen zwar generell nutzbringend seien,120 allerdings wird darauf verwiesen, dass das mit den vorvertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten beabsichtigte Ziel nicht gänzlich erreicht werden konnte.121 Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Gerichte die kodifizierten vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten bei ihrer Entscheidungsfindung unberücksichtigt lassen – selbst wenn der Franchise-Nehmer sich vor Gericht darauf beruft.122 Auch eine Konkretisierung der abstrakten Regelungen findet nicht statt, sondern die Gerichte flüchten in altbewährte vertragsrechtliche Argumentationen.
80
Die vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten verursachen unkommentiert außerdem Unsicherheiten bezüglich der zur Verfügung stehenden Ansprüche bei einer Pflichtverletzung, d.h. wenn die Information oder Aufklärung ausbleibt oder falsch erfolgt. Weder das Ley 7/1996 noch das Real Decreto 201/2010 zeigen privatrechtliche Ansprüche auf, die aus der Pflichtverletzung folgen.123 Auch die Rechtsprechung gibt hier keine weitere Hilfestellung, obschon die fehlende Aufklärung und Information ein durchaus typisches Problem bei spanischen Franchiseabsprachen darstellt.124 Die Zielsetzung der vorvertraglichen Sonderregelungen, namentlich den Franchise-Nehmer als schwächere Vertragspartei zu schützen, werde damit verfehlt.
81
Es existieren in der Literatur aber auch (wenige) anderslautende Stimmen, welche die Sonderregelung sowie deren Verortung im Gesetz über den Einzelhandel für überflüssig erachten. So wird angemerkt, dass es sich bei dem Franchise-Nehmer – aufgrund der hohen Investitionssummen, die im Rahmen des Franchise eingesetzt werden – meist um einen erfahrenen Geschäftsmann oder große Unternehmen handele, die keinen allzu großen Schutz benötigen. Außerdem sei der Informationsbedarf des Franchise-Nehmers insgesamt eher gering einzuschätzen.125
bb) Umfang der vorvertraglichen Sonderregelungen
82
Die Literatur scheint grundsätzlich mit dem Umfang der kodifizierten Informationspflichten einverstanden zu sein. Der Umfang würde – so die allgemein vorherrschende Meinung – den Interessen der Parteien entsprechen.126
83
Daneben existiert vereinzelt die Ansicht, dass die oft geübte Kritik an der mangelnden Bestimmtheit und der damit einhergehenden unterschiedlichen Interpretationen der Informations- und Aufklärungsverpflichtungen nicht zutreffend sei.127 Die Aufklärungs- und Informationspflichten seien vielmehr hinreichend entwickelt und verfeinert worden und nun tatsächlich zielorientiert und spezifisch ausgestaltet.128 Denn – so die eher fragwürdige Begründung – die vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten hätten bereits vor Erlass des Einzelhandelsgesetzes bestanden und wurden auch bereits zuvor als Maßstab zur Minderung der Informationsasymmetrie von dem Gesetzgeber herangezogen.129 Insofern kodifizierten sie lediglich eine bereits bestehende und gut funktionierende Praxis, die keiner weiteren Interpretation