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insbesondere Kreditderivate werden vielfach auf der Basis von Rahmenverträgen (sog. Modellverträgen bzw. master agreements) strukturiert. Diese Rahmenverträge erlauben eine gewisse Standardisierung in der Vertragsgestaltung und enthalten Regelungen für den Ausfall einer Gegenpartei des Kontrakts. Für in Deutschland bzw. Europa gehandelte Kontrakte stehen zu diesen Zwecken der Deutsche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (DRVF) in zwei Fassungen von 2001 und 2018 sowie das European Master Agreement (EMA) von 2004 zur Verfügung.233 Dagegen hat im internationalen (= grenzüberschreitenden) Geschäft das auf anglo-amerikanischen Rechtsprinzipien aufbauende ISDA Master Agreement (ISDA MA) mit seiner zugehörigen Musterdokumentation die größte Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Fassung des ISDA MA von 1992, in geringerem Ausmaß für die Überarbeitung von 2002.234 Ergänzend gibt es weitere Standarddokumentationen für bestimmte Derivatetypen oder Rechtsordnungen.235 Im Folgenden wird in Bezug auf Derivatkontrakte vor allem die Rechtssituation unter dem ISDA MA relevant sein.
Im deutschen privatrechtlichen Schrifttum findet mit den nicht nach deutschem Recht strukturierten Derivaten, die (auch) in Deutschland gehandelt werden, so gut wie keine Auseinandersetzung statt. Auch die Frage des auf Derivatkontrakte anwendbaren bzw. für ihre Auslegung maßgeblichen Rechts wird typischerweise nicht erörtert. Im Gegenteil wird vielmehr stillschweigend die Anwendbarkeit des deutschen Vertragsstatuts und deutscher Auslegungsgrundsätze angenommen. Dies erscheint problematisch, soweit dadurch offen bleibt, ob sich Aussagen zum deutschen Recht überhaupt auf die tatsächlich am Markt vorhandenen Instrumente beziehen lassen. Dies gilt um so mehr, wenn man bedenkt, dass nach der Rechtsprechung eine Auslegung von Rechtsbegriffen unter Berücksichtigung der jeweiligen Tradition, aus der sie stammen, erforderlich ist.236
Im Folgenden wird die übliche privatrechtliche Einordnung von Derivatkontrakten nach deutschem Recht nachgezeichnet, da diese aus nationaler aufsichtsrechtlicher Sicht praktisch relevant ist. Daneben wird aber auch auf die Besonderheiten bei den nach internationalen bzw. ausländischen Mustern strukturierten Kontrakten Bezug genommen, soweit dies erforderlich erscheint.
2. Kategorisierung im deutschen Privatrecht
Die aufsichtsrechtliche Einordnung von Finanzinstrumenten als Derivaten knüpft – wie bei Eigen- und Fremdkapitalinstrumenten – an die Begrifflichkeit des Privatrechts an. Dem steht nicht entgegen, dass die relevanten aufsichtsrechtlichen Vorschriften eine Liste der aufsichtsrechtlich relevanten Instrumente enthalten (vgl. § 2 Abs. 3 [= Abs. 2 a.F.] WpHG).237 Angesichts der oft uneinheitlichen Bezeichnungen für derivative Finanzinstrumente zielt diese Liste darauf ab, Derivatkontrakte in einem möglichst weiten Umfang den aufsichtsrechtlichen Regelungen zu unterwerfen.238
Im deutschen Privatrecht wurden Derivatkontrakte ursprünglich, wie gesagt, als Differenzgeschäfte bezeichnet (ähnlich U.S.: difference contracts).239 Das war für die Frage wichtig, ob es sich um ein unverbindliches Spiel im Sinne von § 764 BGB a.F. handelte. Die Vereinbarung eines Differenzgeschäfts ist unabhängig von der Frage der Verbindlichkeit ein Ausdruck der Vertragsfreiheit. Dasselbe gilt für die Vereinbarung, dass sich die vertragliche Leistungspflicht unter Bezugnahme auf den Referenzwert bestimmt. Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass die Leistungspflicht ein Vielfaches der Änderung des Referenzwerts betragen kann (Hebelung). Dieses Wesensmerkmal hat maßgeblich zur Kritik an Derivaten beigetragen.
Allerdings handelt es sich bei Differenzgeschäften um keine einheitliche Kategorie von Verträgen. Aus privatrechtlicher Sicht sind Verträge mit derivativen Elementen vertragliche Vereinbarungen, bei denen der Erfüllungszeitpunkt der rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten hinausgeschoben wird und die deshalb auch im Privatrecht als Termingeschäfte bezeichnet werden (vgl. §§ 311 Abs. 1, 158 BGB).240 Dabei war lange umstritten, ob Termingeschäfte umgekehrt immer Differenzgeschäfte (Derivate) sind. Die Streitfrage hat aufgrund der mittlerweile ausdifferenzierten gesetzlichen Definitionen zwar ihre praktische Bedeutung verloren.241 In jedem Fall dürfte für ein Derivat aber – den obigen Ausführungen entsprechend – eine zufallsabhängige (stochastische) Bedingtheit der Leistung erforderlich sein.242
Somit ist zwischen einzelnen Arten von Differenzgeschäften zu unterscheiden. Danach sind Festgeschäfte nach deutschem Recht in der Regel Kaufverträge, in die das derivative Element als besondere Bestimmung über den Kaufpreis hineinstrukturiert ist (= atypischer Kaufvertrag). Das gilt zumindest bei vereinbarter Lieferung (Barausgleich: Vertrag eigener Art).243 Die Einordnung von Optionen ist umstritten. Der Rechtsprechung folgend werden Optionen nach der so genannten Einheitstheorie bzw. der Doppelvertragstheorie eingeordnet.244 Bei Swaps wird vertreten, dass sie als (atypischer) Tausch, als Kombination von einander entgegengesetzten Verträgen (Darlehen, Kauf) oder als Vertrag ganz eigener Art anzusehen seien.245 Dies ist, soweit es darauf ankommt, durch Auslegung zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Dabei kann eine Vereinbarung z.B. über Lieferpflichten, auf deren Abwicklung es den Parteien in Wirklichkeit nicht ankommt, als so genanntes Scheingeschäft (§ 117 BGB) unbeachtlich sein.246 Die Einordnung von Derivatkontrakten als Kombinationsvertrag trägt dem Charakter als Differenzgeschäften zu wenig Rechnung. Auch eine Einordnung von Swaps als Kauf- oder Tauschvertrag dürfte in der Regel nicht sachgerecht sein, weil die Transaktionspartner die gesetzlichen Rechtsfolgen solcher Verträge (z.B. im Gewährleistungsfall) nicht wünschen. Aus diesen Gründen dürfte sich inzwischen wohl die Annahme durchgesetzt haben, dass es sich zumindest bei den am Finanzmarkt gehandelten Swaps typischerweise um Verträge eigener Art handelt.
Derivate können in sonstige Finanzinstrumente hineinstrukturiert werden, um einen Handel mit den vertragsgegenständlichen Risiken zu ermöglichen oder zu erleichtern.247 Die Finanzinstrumente werden oft in der Form atypischer Anleihen (notes) gestaltet. Bei Bedarf können aber auch andere juristische Mäntel (wrappers) genutzt werden, z.B. Fondsstrukturen.248 Je nach dem Mantel, in den die Struktur eingebettet ist, kann fraglich sein, ob es sich überhaupt um Finanzinstrumente handelt (z.B. bei strukturierten Einlagen).249 Die Risiken, die den Vertragsgegenstand des Derivatkontrakts bilden, können vor der Einbettung in ein Finanzinstrument über eine Zweckgesellschaft zudem gebündelt und tranchiert werden. Auch in diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob es sich um Finanzmarktrisiken (bei Finanzderivaten), rohstoff- bzw. warenbezogene Risiken (bei Waren-/Rohstoffderivaten) oder um beliebige sonstige Risiken handelt.
Das Privatrecht akzeptiert die Strukturierung und den Einsatz der unterschiedlichen Derivate als Ausdruck der Vertragsfreiheit grundsätzlich zu beliebigen Zwecken. Zwar unterlag der rechtlich geschützte Einsatz von Derivaten angesichts der künstlichen Schaffung von Risiken durch solche Kontrakte und der Möglichkeit, sie zu rechtlich missbilligten „Finanzwetten“ einzusetzen, in vielen Rechtsordnungen lange Beschränkungen (in Deutschland aufgrund von § 764 BGB a.F. und des früheren Börsengesetzes).250 Diese Beschränkungen sind mit der Zeit allerdings weitgehend abgebaut worden, worauf an anderer Stelle noch einzugehen ist.251 Der Zulässigkeit aus Sicht des deutschen Privatrechts steht nunmehr insbesondere nicht entgegen, dass es alternative Vertragsgestaltungen gibt, mit denen derselbe ökonomische Zweck verfolgt werden kann.252 Aus politischer Sicht wird zwar immer wieder die Frage gestellt, ob Derivate im Allgemeinen oder zumindest bestimmte Formen von Derivaten wegen ihres Gefahrenpotenzials nicht verboten werden müssten.253 Diese Überlegungen haben in den Jahren bis zur letzten Finanzkrise allerdings der Tendenz zur Zurückdrängung rechtlicher Beschränkungen für das Geschäft mit Derivaten nicht entgegengestanden.
V. Risiken beim Einsatz
Bei Derivaten besteht im Vergleich mit sonstigen Hebelgeschäften die Besonderheit, dass die Transaktionspartner im bilateralen Verhältnis lediglich künstlich – durch die Transaktion – generierte Risiken vereinbaren (Abschn. 1). Es kommt insofern zwar zu keiner Risikoexternalisierung, allerdings ist eine solche auch nicht völlig ausgeschlossen (Abschn. 2). Außerdem setzen die Transaktionspartner Hebelung ein, wodurch Risiken verkettet werden können (Abschn. 3). Die Beurteilung solcher Transaktionen ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht vorzunehmen und fällt ambivalent aus (Abschn. 4).