Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
von Entscheidungen der britischen Wettbewerbsbehörde, der CMA, und der Europäischen Kommission vorprogrammiert. Die CMA wird regelmäßig in Fällen die sowohl den EU-Binnenmarkt als auch das Vereinigte Königreich betreffen ein Parallelverfahren zu einem Verfahren der Europäischen Kommission einleiten. Dies würde sich nicht nur auf die öffentliche Durchsetzung des Kartellrechts, sondern auch auf die private Durchsetzung auswirken.111 Eine Änderung ergäbe sich auch hinsichtlich der nach dem Brexit ergangenen Entscheidungen des EuG und des EuGH; diese wären– sofern keine anderweitige Regelung getroffen wird – nicht mehr bindend für die nationalen Gerichte des Vereinigten Königreichs.112
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Schlussendlich müssten die Gerichte im Vereinigten Königreich voraussichtlich im Verhältnis zu einigen Mitgliedstaaten die Regeln des Brüsseler Übereinkommens von 1968,113 im Übrigen die allg. Common Law-Regeln des innerstaatlichen Rechts anwenden, die derzeit in Fällen Anwendung finden, in denen der Beklagte nicht aus der Europäischen Union stammt und ein Kläger dennoch vor einem Gericht des Vereinigten Königreichs klagen möchte. Zudem wären Urteile von Gerichten des Vereinigten Königreichs dann allerdings nicht mehr wie bisher nach der Brüssel I Recast Verordnung automatisch in (anderen) Mitgliedstaaten anzuerkennen und vollstreckbar.114
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Deutschland | Niederlande115 | UK | |
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Verfahrensdauer | Uneinheitlich, in der Regel mindestens 2–3 Jahre in der ersten Instanz | In der Regel 1–2 Jahre, insbesondere beschleunigt die Möglichkeit, über prozessuale Vorfragen zügig vorab zu entscheiden, das Verfahren | In der Regel 1–4 Jahre, zügiger aber insb. vor dem Competition Appeal Tribunal (CAT), da große Expertise und hohe Kapazitäten („Summary Judgments“, „Fast-Track“ für einfache Verfahren) |
Eigene Kosten | Überschaubar, abhängig von Klagesumme, Erfolgshonorare sind grundsätzlich verboten | Überschaubar, abhängig von Klagesumme, Erfolgshonorare sind bei Kartellschadensersatzfällen nicht vorgesehen | Hoch, insb. für Disclosure, Unterlegener zahlt Verfahrenskosten voll (High Court) bzw. Aufteilung der Verfahrenskosten im Ermessen des Gerichts (CAT), Erfolgshonorare sind zulässig |
Kostenerstattungsrisiko | Überschaubar; Unterlegener zahlt gedeckelte Verfahrenskosten voll; Prozessfinanzierung möglich | Überschaubar; Unterlegener zahlt gedeckelte Verfahrenskosten voll (in der Regel rund 20 % der angefallenen Kosten); Prozessfinanzierung möglich | Hoch, keine Kostendeckelung aber Möglichkeit einer sog. ATE (after the event)-Versicherung und Prozessfinanzierung |
Offenlegung | Wenig Erfahrung mit Offenlegung, aber neuer eigener materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch; Kostenerstattungsanspruch gemäß § 33g Abs. 7 GWB | Eingeschränkte Erfahrung mit Offenlegung; Vorschriften sehen vorgerichtliche Zeugenvernahme sowie Herausgabe von Dokumenten vor | Umfangreiche Offenlegung („Disclosure“); Parteien müssen vorab verfahrensrelevante Dokumente benennen |
Verjährung | 5 Jahre kenntnisabhängig;10 Jahre kenntnisunabhängig | 5 Jahre kenntnisabhängig | High Court und CAT: 6 Jahre kenntnisabhängig |
Kollektiver Rechtsschutz | kollektive Klagemöglichkeit für Verbraucher (Musterfeststellungsklage) ohne Schadensersatz, für Unternehmen nur Anspruchsbündelung | neues Gesetz seit 2020 schafft Opt-out-Sammelklage auf Schadensersatz durch gesetzlich festgelegte Vertreter; daneben bleibt Anspruchsbündelung möglich | Opt-out-Klage auf Schadensersatz seit 2015 |
4. Auswahl der Klageart
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Vor deutschen Gerichten kommen als mögliche statthafte Klagearten die Leistungs-, Stufen- und Feststellungsklage in Betracht. Mit § 33g GWB wurde ferner ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch geschaffen, der nicht nur im Rahmen einer Stufenklage, sondern auch eigenständig geltend gemacht werden kann. Soweit der Schaden schon hinreichend bezifferbar ist, bietet sich eine bezifferte Leistungsklage an. Ist das nicht der Fall, kann zunächst eine Leistungsklage mit einem unbezifferten Zahlungsantrag gestellt werden.116 Besteht Unsicherheit, ob überhaupt ein Anspruch vorliegt, bietet sich eine Auskunftsklage an. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs gegen Kartellbeteiligte hemmt auch die Verjährung. Eine Stufenklage ist immer dann sinnvoll, wenn die Schadensschätzung oder die sonstige Substantiierung des Anspruchs im Wesentlichen von auf der Beklagtenseite vorhandenen Informationen abhängt. Bei drohender Verjährung kann neben dem Auskunftsanspruch auch vorab eine Feststellungsklage erhoben werden. Der Feststellungsantrag kann dann später auf einen Leistungsantrag umgestellt werden. Dies bietet sich jedenfalls auch dann an, wenn zu befürchten ist, dass der Klagegegner aus prozesstaktischen Gründen eine negative Feststellungsklage erhebt, um den Geschädigten in ein für ihn nachteiliges Forum zu zwingen.117 Solche „Torpedoklagen“ sollten unzulässig sein.118 Generalanwalt Jääskinen vertritt die Auffassung, dass wenn „die Kommission erst einmal über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung entschieden [hat], eine negative Feststellung aufgrund der Bindungswirkung der Entscheidung der Kommission über die Tatsachen und ihre rechtliche Qualifizierung jedoch nicht mehr möglich sein [sollte]“.119 Die Grundsätze des fairen Verfahrens und des effektiven Rechtsschutzes verbieten die Zulässigkeit von „Torpedoklagen“, mit denen ein Kartellbeteiligter versucht, sich einen vermeintlich günstigeren Gerichtsstand zu sichern, in allen Fällen, in denen die Kommission einen Verstoß gegen europäisches Kartellrecht festgestellt hat oder eine nationale Kartellbehörde unter Anwendung des parallelen nationalen Kartellrechts eine solche Entscheidung trifft.120 Eine negative Feststellungsklage soll daher auch ausscheiden, wenn lediglich eine Feststellung begehrt wird, dass trotz eines Verstoßes keine Betroffenheit oder Schädigung vorliegt. Sollte ein Gericht ein solches Feststellungsbegehren doch akzeptieren, wird es bei der Auslegung des Klageantrags nicht den Wortlaut dahingehend umdeuten dürfen, dass Anträge, in denen die Kartellbeteiligung in Abrede gestellt wird, sich auch auf die fehlende Kausalität und den fehlenden Schaden beziehen.
5. Anspruchsbündelung
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Die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen ist risikobehaftet und kann für Unternehmen schnell sehr teuer werden.121 Honorare für Anwälte und Sachverständige übersteigen den Anspruch auf Erstattung der Verfahrenskosten im Falle des Obsiegens häufig erheblich. Das Kostenrisiko steigt für den Kartellgeschädigten mit der Anzahl der Schädiger. Auch wenn er nur einen Kartellbeteiligten verklagt, wird dieser allen anderen Kartellbeteiligten den Streit verkünden.122 § 89a Abs. 3 Satz 2 GWB enthält nun jedoch eine Kostendeckelung bei Streitverkündungen auf insgesamt den Streitwert der Hauptsache, so dass das Risiko vom Gesetzgeber bewusst begrenzt worden ist. Hinzu tritt, dass der Geschädigte im Falle der Klageabweisung in vielen Jurisdiktion die vollen Kosten des Rechtsstreits trägt.123 Zudem kann es in bestimmten Fällen zur Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen oder zu „Vergeltungsmaßnahmen“ kommen. Um diese Risiken zu minimieren oder jedenfalls zu streuen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Anspruchsbündelung an.
a) Streitgenossenschaft
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Zunächst können Ansprüche im Wege der Streitgenossenschaft geltend gemacht werden. Die Geschädigten klagen dann in einem Rechtsstreit gegen die Kartellbeteiligten, ohne untereinander verbunden zu sein.124 Damit bleibt jeder Geschädigte Anspruchsinhaber und somit „Herr des Verfahrens“. Ferner verbessert ein streitgenossenschaftliches Vorgehen die Datenlage und bringt Synergien, insbesondere finanzieller Natur, bei der Beauftragung von Prozessvertretern und ökonomischen Beratern für die Gutachtenerstellung. Allerdings birgt ein solches Vorgehen auch die Gefahr, dass widerstreitende (wirtschaftliche) Interessen der Streitgenossen den Verfahrenserfolg gefährden. Zudem besteht das Risiko, dass das Gericht das Verfahren trennt. Zur Verfolgung und Durchsetzung von Massen- und Streuschäden wird die Streitgenossenschaft als ungeeignet angesehen.125
b) Sammelklagen
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