Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
den Mangel der Zuständigkeit gleichzeitig und nur hilfsweise mit seiner ersten Verteidigungshandlung nach der lex fori erhebt.293 Kläger und Gericht müssten bei der ersten Einlassung des Beklagten nur erkennen können, dass sich diese gegen die Zuständigkeit des Gerichts richtet.294 Diese Erkennbarkeit sieht der EuGH sowohl dann als gegeben an, wenn der Beklagte neben der Zuständigkeitsrüge hilfsweise andere Verteidigungsmittel vorbringt als auch, wenn er die fehlende Zuständigkeit gegenüber anderen Verteidigungsmitteln nur hilfsweise geltend macht.295
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Die vom Beklagten erhobene Rüge der internationalen Zuständigkeit ist ebenso wie alle sonstigen Prozesshandlungen im Anwendungsbereich der EuGVVO nach allgemeinen Grundsätzen der Auslegung zugänglich.296 Es genügt also, wenn sich bei Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze ergibt, dass der Beklagte den Einwand fehlender internationaler Zuständigkeit erheben möchte.297 Ein bloßer Vorbehalt der Zuständigkeitsrüge ist nicht ausreichend.298 Allerdings können sich weitere Anforderungen an die Art und Weise der Erhebung der Zuständigkeitsrüge, beispielsweise die Notwendigkeit einer Vertretung durch einen zugelassenen Rechtsanwalt, aus der jeweiligen lex fori ergeben.299
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Das Gericht hat mit Ausnahme der für kartellrechtliche Schadensersatzverfahren nicht relevanten Sonderfälle in Art. 26 Abs. 2 EuGVVO keine Pflicht, auf die mögliche Rechtsfolge der Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung hinzuweisen.300 Zudem muss sich der Beklagte an einer einmal erfolgten Zuständigkeitsbegründung festhalten lassen. Da die rügelose Einlassung eine Prozesshandlung darstellt, ist sie keiner Anfechtung o.Ä. zugänglich.301
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Es empfiehlt sich für einen Beklagten, der die internationale Zuständigkeit rügen möchte, bereits bei Abgabe der Verteidigungsanzeige kenntlich zu machen, dass das weitere Verteidigungsvorbringen nur hilfsweise erfolgt. Bislang ist keine höchstrichterliche Klarstellung erfolgt, ob die Verteidigungsanzeige bereits ein Verteidigungsvorbringen des Beklagten darstellt. Zwar handelt es sich bei der Verteidigungsanzeige nach ganz h.M. nicht um ein Verteidigungsvorbringen im Sinne von Art. 26 EuGVVO, da diese einen rein rechtswahrenden Charakter besitzt.302 Gegen diese Auffassung könnte aber sprechen, dass das Vorverfahren nach § 276 ZPO nicht rein vorbereitender Natur ist. Der Beklagte gibt durch die Abgabe der Verteidigungsanzeige zu erkennen, dass er sich gegen den ihm bekannten Sachvortrag des Klägers wendet und den eingeklagten Anspruch nicht anerkennt. Dies dürfte jedenfalls dann gelten, wenn der Beklagte zusammen mit der Verteidigungsanzeige einen Klageabweisungsantrag ankündigt. Spätestens aber muss die Rüge der internationalen Zuständigkeit in der schriftlichen Klageerwiderung (zumindest hilfsweise) enthalten sein.303
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Weiter kann die zuständigkeitsbegründende Wirkung von Art. 26 EuGVVO auch noch während des laufenden Verfahrens eintreten, wenn der Beklagte an der Rüge der Zulässigkeit nicht weiter festhält.304 Obgleich der Beklagte seinen Verzicht auf eine einmal erhobene Rüge unmissverständlich zum Ausdruck bringen müsste,305 empfiehlt es sich aus Beklagtensicht, in jedem weiteren Schriftsatz klarzustellen, dass an der Rüge der internationalen Zuständigkeit festgehalten wird. Nicht zuletzt ist zu beachten, dass der Beklagte eine in erster Instanz wirksam vorgebrachte Zuständigkeitsrüge in der Rechtsmittelinstanz wiederholen muss, bevor er sich zur Sache einlässt.306
2. Internationale und örtliche Zuständigkeit nach ZPO
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Wenn die EuGVVO nicht anwendbar ist, richtet sich die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nach der ZPO. Die ZPO regelt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht ausdrücklich. Sie ergibt sich aus der doppelfunktionalen Anwendung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit indiziert die internationale Zuständigkeit. Da der historische Gesetzgeber die internationale Zuständigkeit bei der Konzeption der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht stets bedacht hat, ergeben sich gewisse Limitierungen bei der Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur örtlichen Zuständigkeit auf die internationale Zuständigkeit. Vor diesem Hintergrund hat der BGH wiederholt Anleihen bei der Rechtsprechung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit nach der EuGVVO genommen.307
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Maßgeblich ist, ob die Anwendung der §§ 12ff. ZPO zur örtlichen und damit internationalen Zuständigkeit des Gerichts führt. Auch nach deutschem Zuständigkeitsrecht befindet sich der allgemeine Gerichtsstand gemäß § 12 ZPO am Wohnsitz des Beklagten. Unter Wohnsitz ist bei juristischen Personen in erster Linie der satzungsmäßige Sitz zu verstehen, § 17 ZPO. Eine deutsche Beklagte kann somit bspw. ohne weiteres durch eine amerikanische Klägerin vor einem deutschen Gericht in Anspruch genommen werden, wobei sich dieses Ergebnis bereits aus Art. 4 EuGVVO und nicht erst aus § 12 ZPO ergibt.
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Die Regeln zur örtlichen und internationalen Zuständigkeit bleiben von § 87 GWB unberührt, der die sachliche Zuständigkeit für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche ohne Berücksichtigung des Wertes des Streitgegenstands den Landgerichten zuweist.308
a) Deliktischer Gerichtsstand
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Gemäß § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde. Davon erfasst sind auch in deliktischer Weise gegen das Kartellrecht verstoßende Absprachen. In der Praxis handelt es sich um den für kartellrechtliche Schadensersatzklagen wohl relevantesten Gerichtsstand.
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Der den Gerichtsstand gemäß § 32 ZPO begründende Begehungsort ist sowohl der Handlungsort, an dem das schadensbegründende Ereignis zumindest teilweise durchgeführt wurde,309 als auch der Erfolgsort, an dem der Schaden aufgrund des Ereignisses eingetreten ist.310 Für die Bestimmung des Erfolgsortes kommt es auf den Ort des Eingriffs in die geschützten Rechtsgüter an, nicht aber auf nur mittelbare Schadensfolgen.311 Die deutsche Gerichtsbarkeit ist also zuständig, wenn einer dieser Orte innerhalb Deutschlands liegt.312 Soweit nach diesem Maßstab mehr als ein Gericht zuständig ist, hat der Kläger ein Wahlrecht, § 35 ZPO.
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Diese Grundsätze sind auch für die Zuständigkeitsbegründung im Falle eines Kartellverstoßes maßgeblich. Bislang wurde vertreten, dass der Handlungsort dort liegt, wo die kartellrechtswidrige Absprache verabredet oder praktiziert worden ist.313 Dem LG München I genügte es, dass an einem Ort „wesentliche Tatbeiträge für den einheitlichen Kartellverstoß erfolgten“. Dabei müssen sich die Kartellbeteiligten auch zuständigkeitsrechtlich die Tatbeiträge der anderen und damit auch deren Handlungsorte zurechnen lassen, so dass ein gemeinsamer Gerichtsstand bei Beteiligung Mehrerer besteht.314 Die Bestimmung des Erfolgsortes wurde überwiegend am Auswirkungsprinzip orientiert. Demnach besteht überall dort ein Erfolgsort, wo der gesamte Markt verortet werden kann, auf dem die Kartellanten tätig waren und den die Kartellanten durch ihr kartellrechtswidriges Verhalten beeinflusst hatten.315 Nach dem CDC-Urteil hat sich die deutsche (höchstrichterliche) Rechtsprechung an den Aussagen des EuGH zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO orientiert und den Erfolgsort „grundsätzlich“ am Geschäftssitz des ursprünglich Geschädigten verortet.316 Die Kartellgeschädigten können somit ihren Gesamtschaden an dem für ihren Sitz zuständigen deutschen Gericht einklagen, sofern der Beklagte seinen Sitz in einem Drittstaat hat. Eine spätere Abtretung eines Schadensersatzanspruchs ist ohne Einfluss auf die Bestimmung des Erfolgsortes.317 Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern die nachfolgenden Entscheidungen des EuGH in Sachen flyLAL und Tibor-Trans dazu führen werden, dass die deutschen Gerichte wieder verstärkt oder alternativ auf das Auswirkungsprinzip abstellen.
b) Gerichtsstand des Erfüllungsortes
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Gemäß § 29 ZPO besteht ein besonderer Gerichtsstand am Erfüllungsort einer vertraglichen Verpflichtung.