Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
sprechen.263 Andernfalls wäre die unionsrechtlich gebotene effektive Durchsetzung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen in Gefahr, denn die Abdrängung von einzelnen Verfahren eines Gesamtkomplexes in die Schiedsgerichtsbarkeit würde unweigerlich zu einer Zerfaserung der Verfahren führen. Denn dann würden nur die Ansprüche zwischen den vertraglich verbundenen Parteien vor dem Schiedsgericht verhandelt werden. Eine Inanspruchnahme des Vertragspartners als Gesamtschuldner für Ansprüche gegen andere Kartellanten ist vor Schiedsgerichten nicht möglich; die gesamtschuldnerische Haftung beruht nicht auf dem Liefervertrag, sondern allein auf dem gesetzlichen Schadensersatzanspruch wegen der Beteiligung an einem Delikt.264 Die Ansprüche gegenüber den anderen Kartellanten sowie die Ansprüche aufgrund von Preisschirmschäden265 müssten weiter vor staatlichen Gerichten erfolgen, ohne dass eine Verknüpfung der Verfahren durch Streitverkündungen möglich wäre. Daraus würde nicht zuletzt die Gefahr widersprechender Entscheidungen erwachsen.266 Dies gilt umso mehr, als in Schiedsverfahren keine Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen herrscht267 und Schiedsgerichte weder dem EuGH vorlegen können268 noch die Kommission um Beteiligung bitten können. Die Verweisung auf das nachgelagerte Anerkennungs- und Aufhebungsverfahren, in dessen Rahmen das Wettbewerbsrecht als ordre public berücksichtigt werden muss, erscheint wenig praktikabel und dürfte dem Effektivitätsgedanken kaum genügen. Selbst die Kartellanten dürften regelmäßig kein Interesse daran haben, mehrere Parallelprozesse zu führen, die Möglichkeit zur Streitverkündung gegenüber ihren Mitkartellanten zu verlieren und dadurch ihre Durchsetzung von Regressansprüchen zu gefährden.269 In dem vom LG Dortmund entschiedenen Fall stellte sich diese Problematik schon nicht, weil es die in der Praxis eher seltene Konstellation nur eines Klägers und eines Beklagten ohne grenzüberschreitenden Bezug betraf.
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Mit Blick auf die erheblichen Konsequenzen, die eine Abwahl der staatlichen Gerichtsbarkeit mit sich bringt, sollten Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV danach nur dann von einer Schiedsvereinbarung umfasst sein, wenn sich die Schiedsklausel ausdrücklich hierauf bezieht. Zumindest sollten sich im Vertragstext sonstige Klauseln finden, die erkennen lassen, dass die Parteien kartellrechtliche Schadensersatzansprüche in ihren Willen aufgenommen haben, z.B. Compliance-Klauseln oder Regelungen zu einem pauschalierten Kartellschadensersatz.270
(4) Nachträgliche Vereinbarung eines Schiedsverfahrens
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Ohne Weiteres zulässig ist die Vereinbarung eines Schiedsverfahrens nach Entstehung der Streitigkeit (ex post) und kann als alternativer Streitbeilegungsmechanismus prozesstaktisch in Erwägung gezogen werden. Dabei gilt es, die jeweiligen Vor- und Nachteile im konkreten Fall gegenüberzustellen.271 Als Vorteile werden regelmäßig die Vertraulichkeit272 und Schnelligkeit des Verfahrens, die vereinfachte Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen im Ausland nach dem New Yorker Übereinkommen sowie die Expertise der Schiedsrichter hervorgehoben. Insbesondere letzteres kann für Kartellschadensersatzprozesse Bedeutung erlangen, da für die Schadensbeurteilung i.d.R. komplexes wettbewerbsökonomisches Wissen über Märkte erforderlich ist. Von Vorteil kann es auch sein, dass das Schiedsverfahren freier gestaltet werden kann, z.B. können Ökonomen beider Seiten gleichzeitig vor einem Schiedsverfahren im Wege des Kreuzverhörs befragt werden.273
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Soweit ersichtlich spielen nachträglich vereinbarte Schiedsverfahren in Kartellschadensersatzfällen – anders etwa als Mediationen274 – noch keine große Rolle. Dieser Eindruck mag freilich auch der Vertraulichkeit der Verfahren geschuldet sein.
h) Rügelose Einlassung
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Die Zuständigkeit des Gerichts wird gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVVO auch dadurch begründet, dass sich der Beklagte auf das Verfahren einlässt. Als Rechtsfolge des Unterlassens einer Rüge wird „das Gericht“ zuständig, es wird mithin die internationale Zuständigkeit des Gerichtslandes und auch die örtliche Zuständigkeit innerhalb der nationalen Jurisdiktion begründet.275 Da Einwendungen gegen die internationale Zuständigkeit für die Rechtsverteidigung der Beklagten von großer praktischer Bedeutung sind, gilt es, eine nicht beabsichtigte Begründung der internationalen Zuständigkeit durch rügelose Einlassung in jedem Fall zu vermeiden.
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Dabei muss der Beklagte beachten, dass eine Zuständigkeitsbegründung nach Art. 26 Abs. 1 EuGVVO nicht mit einer rügelosen Einlassung i.S.d. deutschen § 39 ZPO identisch ist. Die internationale Zuständigkeit kann bei Anwendbarkeit von Art. 26 Abs. 1 EuGVVO bereits durch eine Verteidigungshandlung im Vorfeld der mündlichen Hauptverhandlung begründet werden, nicht erst durch rügeloses Verhandeln in der mündlichen Hauptverhandlung, siehe § 39 ZPO. Auch bei Zweifeln an der Anwendbarkeit von Art. 26 EuGVVO sollte die Rüge der internationalen Zuständigkeit seitens des Beklagten vorsorglich immer auch den strengeren Maßstab von Art. 26 EuGVVO erfüllen. Zudem sollte der Beklagte stets ausdrücklich klarstellen, dass sich seine Rüge der örtlichen auch auf die internationale Zuständigkeit bezieht, auch wenn die Rüge der internationalen Zuständigkeit konkludent erfolgen kann276 und die Rüge des Beklagten im Zweifel als auf die Rüge der internationalen Zuständigkeit bezogen auszulegen ist.277
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Die Anwendung von Art. 26 Abs. 1 EuGVVO, der in seinem Anwendungsbereich § 39 ZPO verdrängt, setzt voraus, dass ein internationaler Sachverhalt und kein reiner Inlandsfall vorliegt.278 Auf den Wohnsitz der Parteien soll es nach wohl h.M. nicht ankommen, wobei nach Rechtsprechung des BGH dann zumindest ein Bezug zu einem Vertragsstaat der EuGVVO vorliegen muss,279 während der EuGH in einem obiter dictum angedeutet hat, dass auch dieses Kriterium entbehrlich sei.280
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Was eine zuständigkeitsbegründende (rügelose) Einlassung darstellt, ist autonom zu interpretieren.281 Danach muss keine Einlassung zur Hauptsache vorliegen, sondern es genügt bereits jede Verteidigungshandlung, die auf Klageabweisung abzielt.282 Nicht erforderlich ist, dass es sich um eine Einlassung zur Hauptsache handelt. Zur Rügepräklusion führen bereits Einwendungen, die nur das Verfahren betreffen.283 Die internationale Zuständigkeit kann also schon dann nicht mehr wirksam gerügt werden, wenn sich der Kläger zuvor auf das Fehlen anderer Zulässigkeitsvoraussetzungen berufen hat.284 Beispiele sind der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit, die Rüge der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit, die Behauptung des Fehlens sonstiger Sachurteilsvoraussetzungen oder auch die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit.285 Aber auch das Bestreiten des klägerischen Anspruchs oder das Behaupten und Bestreiten von Tatsachen oder das Stellen von Beweisanträgen sind erfasst.286
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Letztlich gibt es mit Ausnahme der Rüge der internationalen Zuständigkeit selbst keine Konstellation, in der eine Einlassung auf das Verfahren nicht als zuständigkeitsbegründend angesehen werden kann.287 Auch spielt keine Rolle, ob das Verteidigungsvorbringen mündlich oder schriftlich erfolgt.288 Kein rügeloses Verhandeln liegt jedenfalls in einem bloßen Verstreichenlassen einer dem Beklagten gesetzten Frist.289 Deshalb kann ein Beklagter, der die Klageerwiderungsfrist hat verstreichen lassen, die internationale Unzuständigkeit des Gerichts auch noch zu Beginn der mündlichen Verhandlung rügen, wenn dies sein erstes Verteidigungsvorbringen darstellt.290 Freilich riskiert der Beklagte dann die Präklusion seines weiteren Verteidigungsvorbringens.
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Der Beklagte hat die Möglichkeit, die internationale Zuständigkeit des Gerichts zu rügen und sich nur hilfsweise zur Sache einzulassen.291 Er stellt dann seine Einlassung auf das Verfahren unter die innerprozessuale Bedingung, dass seine Rüge der internationalen Zuständigkeit zurückgewiesen wird. Der Beklagte muss also nicht wählen, ob er nur die internationale Zuständigkeit rügen und im Misserfolgsfall das Risiko tragen möchte, nach nationalem Zivilprozessrecht mit sonstigen Verteidigungshandlungen ausgeschlossen zu sein, oder ob er weitere Einwendungen gegen die Klage vorbringt und deshalb möglicherweise sein Recht verliert, die internationale Zuständigkeit des Gerichts zu rügen.292
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