Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
AEUV) über die Vertragsbedingungen manifestieren könnten,231 weise das in Art. 101 AEUV genannte Verhalten „dem Grundsatz nach keine unmittelbare Verbindung zu der vertraglichen Beziehung“ auf.232 Zudem seien unerlaubte Handlungen, die der Vertragsverletzung zeitlich vorgelagert sind, von der Schiedsklausel ohnehin nicht erfasst.233 Der Kartellverstoß – die (Ur)Kartellabrede – sei aber gerade den späteren Lieferbeziehungen regelmäßig vorgelagert.234 Nur wenn im Vertrag auch eine Zusicherung zu rechtskonformem Verhalten und eine vertragliche Haftung bei einem Verstoß (bspw. Schadenspauschalierungsregeln, Vertragsstrafen) vereinbart seien, trete ein vertraglicher Schadensersatzanspruch neben den gesetzlichen Anspruch aus § 33a GWB.235
(2) Übertragung von CDC und ggf. Apple?
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Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheiten legte das LG Dortmund dem EuGH in der Rechtssache CDC die Frage vor, ob Schiedsklauseln in einem Kartellschadensersatzfall eingreifen und zu einer Derogation der staatlichen Gerichte führen. Nach Auffassung des Generalanwalts Jääskinen236 sind Gerichtsstands- und Schiedsklauseln identisch zu behandeln. Danach sind Kartellrechtsstreitigkeiten nicht erfasst, wenn die Geschädigten im Zeitpunkt der Vereinbarung der Schiedsklausel von dem Kartell keine Kenntnis hatten und nicht vorhersehen konnten, dass die Klausel auch auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche Anwendung findet.237 Dagegen seien Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Kartellverbotes in Art. 101 AEUV dann von Schiedsklauseln erfasst, wenn diese ausdrücklich auf diese Ansprüche Bezug nähmen oder dem Vertrag im Übrigen zu entnehmen sei, dass kartellrechtliche Streitigkeiten für möglich gehalten wurden und damit „vorhersehbar“ waren.238 Die Erstreckung ist überzeugend, denn der für den EuGH zentrale Aspekt, dass eine Schädigung durch ein heimliches Kartell für den Kläger nicht vorhersehbar sei, gilt für Schiedsklauseln in besonderer Weise. Wenn eine ausdrückliche Bezugnahme schon für die Wahl des zuständigen Gerichts erforderlich ist, dann erst recht, wenn die staatliche Rechtsordnung gänzlich verlassen werde.239
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Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage indes nicht und ließ die Reichweite von Schiedsklauseln mangels „ausreichender Informationen“ für eine „sachdienliche Antwort“ offen.240 Ohnehin wäre die Kompetenz des EuGH in diesem Bereich zumindest problematisch, da die Schiedsgerichtsbarkeit gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO nicht im Regelungsbereich der EuGVVO liegt und zur Bestimmung des Umfangs von Schiedsvereinbarungen nationales Recht Anwendung findet.241
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In der Folgezeit oblag es damit nationalen Gerichten darüber zu entscheiden, ob die strenge Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsklauseln (CDC und inzwischen auch Apple, s.o.) auf Schiedsklauseln übertragbar ist. Während sich niederländische Gerichte für eine Übertragung der CDC-Rechtsprechung entschieden,242 haben sich das LG Dortmund243 und der High Court of England and Wales244 dagegen entschieden.
(aa) Niederländische Gerichte
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Die niederländischen Gerichte befürworten eine enge Auslegung von Schiedsvereinbarungen. Das Bezirksgericht Amsterdam entschied bereits vor dem CDC-Urteil, dass Kartellschadensersatzansprüche nicht von weiten Standardschiedsklauseln („uit hoofde van of in verband met“ [= aus oder im Zusammenhang mit]) erfasst sind. Die Geschädigten (des Natriumchlorid-Kartells) könnten nicht damit rechnen, dass Kartellschadensersatzansprüche, die aus einem, außerhalb des konkreten Liefervertrages liegenden, kartellrechtswidrigen Verhalten aller Beklagten resultieren, von den abstrakten Schiedsklauseln erfasst seien.245 Zwei Monate nach Erlass des CDC-Urteils bekräftigte das Berufungsgericht (Gerechtshof) Amsterdam die erstinstanzliche Entscheidung. Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des EuGH entschied das Gericht, dass kein Grund bestehe, die Reichweite von abstrakten Schiedsklauseln in anderer Weise zu bestimmen als bei Gerichtsstandsvereinbarungen.246
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Entsprechend entschied das Bezirksgericht Rotterdam in zwei Entscheidungen zum Aufzugskartell im Jahr 2016247 und Ende 2019.248 Auf Schiedsklauseln seien die Grundsätze des EuGH aus dem CDC-Urteil „zumindest entsprechend“ anwendbar. Daher seien die Kartellschadensersatzansprüche von den verwendeten abstrakten Schiedsklauseln („elk geschi“ [= alle Streitigkeiten]) nicht erfasst.249 Eine andere Sichtweise würde eine beträchtliche Hürde für die Geltendmachung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen aufstellen und wäre mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsprinzip nicht zu vereinbaren.250
(bb) LG Dortmund
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In dem Verfahren vor dem LG Dortmund verlangte die Klägerin von der Beklagten aufgrund ihrer Beteiligung im sog. Schienenkartell Schadensersatz. Die Klägerin war mit der Beklagten über zwei Verträge verbunden; beide Verträge enthielten Schiedsklauseln, nach denen alle Streitigkeiten
– aus dem Auftrag (erster Vertrag – enge Schiedsklausel), sowie alle Streitigkeiten,
– die damit im Zusammenhang stehen (zweiter Vertrag – weite Schiedsklausel)
unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges durch ein Schiedsgericht entschieden werden sollten.251 Nach Auffassung des LG Dortmund erfassen beide Schiedsklauseln kartellrechtliche Streitigkeit. Dies folge aus dem Grundsatz der schiedsfreundlichen Auslegung,252 wonach im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug zu gewähren ist, die zur Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsklausel führt.253 Kartelldeliktische Ansprüche gemäß § 33 Abs. 3 GWB a.F. seien solche „aus dem Vertrag“, wenn und weil zugleich konkurrierende vertragliche und bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen.254 Eine unterschiedliche Behandlung von Kartellabsprachen, die zeitlich vor dem Vertragsabschluss stattgefunden haben und missbräuchlicher Maßnahmen marktmächtiger Unternehmen, die innerhalb von Vertragsbeziehungen verübt werden, sei nicht gerechtfertigt.255 Die gegenteilige Auffassung verkenne, dass Kartellschadensersatzansprüche an den zugrunde liegenden Vertrag anknüpfen, denn die ganze Lieferbeziehung sei von dem kartellbedingt überhöhten Preis beeinflusst. Erst der Vertrag gebe der Kartellabsprache die Möglichkeit, schädigende Auswirkungen zu haben.256 Weder das Effektivitätsprinzip noch die Entscheidung des EuGH in Sachen CDC stehe entgegen.257 Das Argument fehlender Vorhersehbarkeit kartellrechtlicher Schädigung bei Abschluss des Vertrages überzeuge schon in der Sache nicht. Es gebe zudem keinen Grundsatz, wonach die für eine Gerichtsstandsvereinbarung geltenden Aspekte gleichsam automatisch für Schiedsvereinbarungen Geltung beanspruchen könnten.258 Letztlich habe sich der EuGH auch gar nicht zu Schiedsvereinbarung geäußert und eine entsprechende Kompetenz wäre angesichts von Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO, wonach das Schiedsverfahrensrecht nicht der EuGVVO unterfällt, fraglich.259
(cc) High Court of Justice
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Der High Court of Justice, auch High Court of England and Wales, entschied ebenfalls, dass Kartellschadensersatzstreitigkeiten von einer weiten („any disputes related to this Agreement [...]“) Schiedsklausel erfasst seien. Im zugrunde liegenden Sachverhalt machte Microsoft Kartellschadensersatzansprüche gegen Sony im Zusammenhang mit dem Lithium-Ionen-Batterien-Kartell geltend.260 Nach Auffassung des Gerichts erstreckten sich die Schiedsklauseln in den Lieferverträgen, in denen Preisverpflichtungen nach Treu und Glauben („good faith pricing obligations“) enthalten waren, auch auf die kartellrechtliche Streitigkeit. Der Zusammenhang mit dem Vertrag sei gegeben, da es Microsoft auch möglich gewesen wäre, statt der tatsächlich geltend gemachten deliktischen Ansprüche, vertragliche Ansprüche geltend zu machen.261 Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz stünde ebenfalls nicht entgegen, weil der von Generalanwalt Jääskinen erwogene Ansatz in Sachen CDC nicht bindend sei. Dem CDC-Urteil könne keine Aussage entnommen werden, die einer Erstreckung von Schiedsklauseln auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche entgegenstünde.262
(3) Stellungnahme
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