In der inneren Welt (Band 2). Hero Leander
Marina einer Tochter das Leben. Sie gab ihr den Namen Diana, so wie sich das ihr Mann gewünscht hatte. Wolfgang besuchte sie in der Klinik so oft er konnte und verliebte sich regelrecht in seine noch so winzige Tochter.
„Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das du mir gemacht hast. Jetzt sind wir eine richtig kleine Familie.“ Dabei strahlte er und Marina war in so einem Moment überglücklich. Sie dankte dem Himmel für diesen Mann. Wenn Marina allein mit ihrer Diana war, dachte sie darüber nach, was sie doch für ein Glück mit ihrem Wolfgang hatte. Manch andere Frau wurde von ihrem Mann schief angesehen, weil es nur eine Tochter war, was sie zur Welt gebracht hatte. Bei ihrem Wolfgang aber sah sie ganz deutlich, dass er sich über ihr gemeinsames Kind sehr, sehr freute.
Silvester feierte Wolfgang mit seiner Frau in der Klinik, so weit das die Vorschriften zuließen. Erst im neuen Jahr kam Marina mit der kleinen Diana nach Hause in ihre neue Wohnung.
Als Wolfgang seine Tochter das erste Mal nicht eingewickelt sah, meinte er erstaunt: „Mein Gott, ist sie noch klein.“
Marina schmunzelte nur und schüttelte den Kopf. „Mir war sie bei der Geburt groß genug!“ Sie lächelte. Wusste sie ja, dass er noch nie mit einem so kleinen Kind zu tun hatte.
Nachdem ihre Diana abends im Bett lag, setzten sie sich in ihre Sesselecke und ließen den Tag ausklingen. Dazu brannte Wolfgang eine Kerze an und sie stießen mit alkoholfreiem Sekt an, weil Marina ja stillte.
So verging die Zeit. Diana wurde größer und nach einem reichlichen Jahr schlief sie dann auch in ihrem Kinderzimmer. Das hielt sie aber nicht davon ab, am Wochenende früh mit zu ihren Eltern ins Bett zu schlüpfen, bis diese aufstanden.
Diana
Seit Dianas Geburt sind inzwischen über vier Jahre vergangen. Die kleine Tochter machte ihren Eltern viel Freude. Manchmal dachte Marina an die Zeit vor Wolfgang zurück, als sie eher ziellos dahin lebte. Doch seit sie mit ihm zusammen war, schien für sie ständig die Sonne. Es war einfach schön. Das konnten auch keine kurzen Unstimmigkeiten über die Erziehung von Diana trüben. Sie waren zu dritt sehr, sehr glücklich.
Es ergab sich, dass es im März noch einmal schneite. So machten die drei bei ihrem sonnabendlichen Waldspaziergang auf der Wiese vor der Bank, an der sie sich zum ersten Mal trafen, eine kleine Schneeballschlacht. Papa gegen den Rest der Familie. Natürlich unterlag Wolfgang der Übermacht. Er machte das so echt, dass es seiner kleinen Tochter gar nicht auffiel. Bei dieser Schneeballschlacht hatte die kleine Diana so viel Schnee nach ihm geworfen, dass ihre Handschuhe ganz nass waren. Zum Glück hatte ihre Mama aus kluger Voraussicht noch ein zweites Paar mit. Die zog sie nun über die kalten Hände ihrer Tochter.
Nach dem Mittagessen ging Diana erst einmal schlafen. Danach gab es ein paar Kekse und Kakao. Dazu hatte Wolfgang den Fernseher angemacht und eine DVD eingelegt. Passend zum Wetter sahen sie nun alle zusammen das Märchen Die Schneekönigin von Hans Christian Andersen. In diesem Märchen wurden die Kinder Gerda und Kai für lange Zeit getrennt. Auf einmal musste Wolfgang wieder an die beiden Rosen auf der Blumenrabatte unterm Balkon denken. Dann kamen auch all die Erinnerungen an Diane wieder hoch. Genau wie in diesem Märchen wurden auch sie plötzlich getrennt. Im Märchen konnte nur Gerda zu ihrem Kai finden und nicht er zu ihr. Und Wolfgang wurde auf einmal wieder bewusst, dass genau so wie in diesem Märchen auch nur Diane zu ihm finden konnte, er zu ihr nie. Er hatte gar keine Chance.
Diese Parallelen von Gerda und Kai zu Diane und ihm ließen all die verdrängten Erlebnisse vom Sommer 2007 wieder in ihm hochkommen. Aber was wäre, wenn seine Diane jetzt plötzlich auftauchen würde? Wie würde er sich jetzt entscheiden? Würde er sich von Marina und Diana trennen? Niemals! So gingen ihm viele Gedanken durch den Kopf und er saß wie abwesend vorm Fernseher. Seine Gedanken wanderten immer mehr in die innere Erde. Alles war wieder so frisch, wie kurz nach seinem Urlaub in Posid. Erst als das Märchen zu Ende war, kam er wieder in die Wirklichkeit zurück. Seine Marina musterte ihn etwas, aber sagte nichts. Dafür schimpfte die kleine Diana um so mehr über die böse Schneekönigin. Plötzlich aber fragte sie: „Kann ich auch zwei Rosen haben?“
„Für wen soll denn die zweite Rose sein?“, fragte ihre Mutter mit gespielter Neugier, während Wolfgang seine Tochter anstarrte, unfähig etwas zu sagen.
Doch Diana zuckte mit den Schultern. So blieb ihr Wunsch erst einmal offen.
Zwei Wochen später wurde Marina Freitagfrüh zeitiger als sonst munter. Ein merkwürdiger Traum hatte sie aus dem Schlaf gerissen. Als ihr Wolfgang auch munter war, berichtete sie ihm: „Ich habe jetzt vielleicht etwas Merkwürdiges geträumt. Du hast mir gestanden, dass du in eine andere Frau verliebt bist.“ Dann sprang sie lachend auf die Knie, drückte mit ihrer rechten Hand leicht auf seinen Brustkorb und sagte übertrieben ernst: „Gestehe! Mit wem betrügst du mich?“
Doch Wolfgang blieb sehr ernst. Sofort war das Lachen aus Marinas Gesicht verschwunden. „Es ist also wahr?“ Sie sah ihn ängstlich mit großen Augen an.
Jetzt umarmte er sie und schüttelte mit dem Kopf. „Nicht so, wie du das denkst. Es ist völlig anders.“ Er drückte seine liebe Frau ganz fest an sich. „Ich habe nie darüber gesprochen, weil es unsere Liebe nicht betrifft. Ja, es gibt eine Frau, an die ich immer noch denke. Ich habe sie sehr geliebt, aber das war alles vor deiner Zeit. Die Umstände haben uns getrennt und es ist mir unmöglich sie wieder zu sehen. Es berührt unsere Liebe überhaupt nicht.“
Marina sah ihn darauf hin lange an. „Ist das wirklich war? Du hast sie nie wieder gesehen?“
„Darauf kann ich jeden Eid schwören.“
Das beruhigte Marina. Sie war überzeugt, dass Wolfgang sie nie anlügen würde. „Wie hast du sie denn kennen gelernt“, fragte sie neugierig.
„Es war … eine Art Urlaubsbekanntschaft, die ich 2007 hatte. Sie hieß Diane.“
Jetzt stockte Marina. „Wolltest du deshalb, dass unsere Tochter Diana heißen sollte?“
Wolfgang nickte und Tränen standen in seinen Augen.
„Mein Gott! So sehr liebst du sie noch?“
Jetzt nickte er und drückte seine Marina dabei wieder ganz fest an sich. „Bitte glaube mir. Es ist völlig anders, als du denkst. Sie stört unsere kleine Familie in keinster Weise. Es ist nur eine Erinnerung, die ich in mir trage.“
„Und warum habt ihr euch denn getrennt, wenn du sie so sehr liebst. Hat sie Schluss gemacht?“
„Nein. Sie hat mich genau so sehr geliebt, wie ich sie. Vielleicht tut sie es heute noch. Ich weiß es nicht. Bitte habe dafür Verständnis. Ich weiß, ich verlange da viel von dir. Doch ich kann nur immer wieder betonen, dass das nichts mit dir und mir zu tun hat. Diane ist ein Sonderfall.“
„Ein Sonderfall? So so! Ist das nicht vielleicht doch nur eine Ausrede?“, fragte Marina immer noch beunruhigt.
„Nein. Diane hat zwar seit dem einen Platz in meinem Herzen, aber du hast den größeren Anteil. Ich würde dich nie für sie hergeben und Diana genauso wenig. Heute ist Diane für mich wie eine liebe Schwester, die, sagen wir, auf dem Mars lebt. Damit ist sie für mich unerreichbar.“
„Auf dem Mars lebt sie aber bestimmt nicht.“ Argwöhnisch betrachtete Marina ihren Mann.
„Das stimmt schon, aber trotzdem gibt es keinen Weg zu ihr. Das kannst du mir wirklich glauben.“
„Sie ist mit einem anderen verheiratet?“
„Nein, das glaube ich nicht. Es waren wirklich andere Umstände, die uns trennten.“
„Aber du hast doch mit ihr geschlafen?“, bohrte Marina weiter.
Wolfgang schüttelte leicht den Kopf. „Ich sagte doch, es ist ein Sonderfall. Aber jetzt müssen wir erst einmal aufstehen. Ich verspreche dir, wenn Diana heute Abend im Bett liegt, werde ich dir die Geschichte erzählen. Einverstanden?“
„Gut! Aber dann auch alles!“, entgegnete Marina