Praxishandbuch DSGVO. Tobias Rothkegel
Kapitel 1 Grundlagen des Umgangs mit der DSGVO
Übersicht
I. Die Anwendung der DSGVO und der nationalen Begleitgesetze
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Die DSGVO wurde häufig in einem Satz dadurch charakterisiert, dass sie keine Revolution, sondern eher eine Evolution des Datenschutzrechts mit sich gebracht habe. Das stimmt in vielen Bereichen, z.B. weil die der DSGVO zugrundeliegenden Datenschutzprinzipien1 bereits aus der DSRL bekannt waren und weil u.a. einige Zulässigkeitsvorschriften2 fast wortgleich aus der DSRL übernommen worden waren.
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Es ist aber auch richtig, dass die DSGVO in mehreren Bereichen bedeutsame Änderungen bewirkt hat. Zwei prominente Beispiele hierfür sind die signifikant erhöhten Bußgelder3 und die starke Ausprägung der Verpflichtungen zur Implementierung eines Datenschutz-Managementsystems,4 das in dem von der DSGVO verlangten Reifegrad vorher nur in sehr wenigen Unternehmen konsequent umgesetzt war.
1. Stand der Umsetzung in den Unternehmen
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Jedes Unternehmen, das in relevantem Umfang personenbezogene Daten verarbeitet, musste und muss sich deshalb intensiv mit den Regelungen befassen und in spezifischen DSGVO-Umsetzungsprojekten oder im Rahmen laufender Kontrollen die Relevanz für die eigene Datenverarbeitung ermitteln und notwendige Anpassungsmaßnahmen ableiten und ergreifen.5 Nach unseren Erfahrungen ist es zwar so, dass die allermeisten Unternehmen ihre DSGVO-Umsetzungsprojekte mittlerweile abgeschlossen haben. Es ist aber auch nicht zu verkennen, dass bei weitem nicht alle Unternehmen bereits eine 100 %ige DSGVO-Konformität erreicht haben. Nach einer Umfrage des Branchenverbandes Bitkom aus dem September 2019 hätten zwar 67 % der Unternehmen Maßnahmen zur Umsetzung der DSGVO ergriffen; es seien eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regelungen aber nur 25 % der Unternehmen vollständig DSGVO-konform.6 Darüber hinaus muss aus einem statischen Datenschutz-Managementsystem, das im Rahmen eines DSGVO-Umsetzungsprojekts entsteht, ein dynamisches System werden, das sich laufend optimiert. Anderenfalls ist eine nachhaltige DSGVO-Compliance gerade nicht gewährleistet.7 Es ist daher wichtig, sich fortwährend zu vergegenwärtigen, dass der Übergang zur DSGVO auch einen systematischen Schwenk mit sich gebracht hat, der in zeitlicher und in inhaltlicher Hinsicht ebenfalls fortwährend bewältigt werden muss.
2. Zeitliche Geltung
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In zeitlicher Hinsicht war der Übergang weniger problematisch, weil es eine klare Stichtagsregelung gibt: Bis zum 24.5.2018 war das alte Recht vollumfänglich anwendbar; erst seit dem 25.5.2018 gilt die DSGVO. Dort wo die DSGVO also Erleichterungen gegenüber der ehemaligen Rechtslage bewirkt hat, z.B. durch den Verzicht auf das ehemals in § 11 Abs. 2 S. 2 BDSG a.F. normierte Schriftformerfordernis, dürfen diese erst seit dem Stichtag in rechtssicherer Weise in Anspruch genommen werden.
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Ungeachtet dessen bedeutet dies nicht, dass das alte Recht ab sofort keine Rolle mehr spielt. Gerade in derzeit noch laufenden Gerichtsverfahren müssen Sachverhalte häufig noch nach altem Recht – und ggf. parallel auch nach der DSGVO–beurteilt werden. Ein aktuelles Beispiel bildet das Gerichtsverfahren in Sachen Planet49: Der EuGH hat in seiner Entscheidung8 einleitend festgestellt, dass der Ausgangsrechtsstreit nach der Zurückverweisung an den vorlegenden BGH u.U. auf Grundlage der nach der letzten mündlichen Verhandlung zur Geltung gekommenen DSGVO entschieden werden müsse und die Vorlagefragen daher sowohl nach Maßgabe der DSRL als auch der DSGVO zu beantworten waren.
3. Unmittelbare Geltung
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Ein ganz maßgeblicher Unterschied des „neuen Datenschutzrechts“ gegenüber den alten Regelungen ergibt sich aus dem Rechtscharakter der DSGVO als einer Verordnung: Sie gilt als Verordnung gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat und bedarf deshalb keiner Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Bei den zusätzlich erlassenen nationalen Datenschutzgesetzen