Praxishandbuch DSGVO. Tobias Rothkegel
Anbieter von Telemedien, Stand März 2019, abrufbar unter: https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/oh/20190405_oh_tmg.pdf, zuletzt abgerufen am 8.10.2020. 13 Richtlinie (EU) 2016/680 vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates, ABl. EU L 119 v. 4.5.2016, S. 89.
II. Parallelität von DSGVO und „Altgesetzen“
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Eine jedenfalls für eine längere Dauer fast noch komplexere Problematik besteht im Hinblick auf die nationalen Datenschutzregeln und Gesetze, die nach wie vor nicht an die DSGVO angepasst worden sind. Soweit solche nationalen Regelungen nicht entweder außerhalb des Anwendungsbereichs der DSGVO liegen oder spezialgesetzliche Richtlinienvorgaben umsetzen, sind sie nur noch in dem Umfang zugelassen und anwendbar, wie sie von Öffnungsklauseln der DSGVO gedeckt sind.
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Auch wenn in Deutschland durch das 1. und das 2. DSAnpUG und das BDSG viele Datenschutzvorschriften in Spezialgesetzen bereits angepasst worden sind, stehen manche Anpassungen noch aus (wie z.B. beim TMG, welches durch das 2. DSAnpUG nicht geändert worden ist). Das führt dazu, dass weiterhin nationale Rechtsvorschriften fortbestehen, die nicht an die neue europäische Rechtslage angeglichen sind.
Beispiel
In seinem Urteil vom 14.2.2019 hat sich der EuGH u.a. mit der datenschutzrechtlichen Bereichsausnahme für die Medien befasst und Hinweise zur Vereinbarkeit des Medienprivilegs nach nationalem Recht mit dem europäischen Datenschutzrecht gegeben.14 Art. 85 DSGVO sieht analog der RL 95/46/EG zwar generell eine datenschutzrechtliche Privilegierung der Medien vor, soweit personenbezogene Daten „zu journalistischen Zwecken“ verarbeitet werden. Nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO dürfen die Mitgliedstaaten hiernach Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze) aber nur vorsehen, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. Aus den Ausführungen des EuGH lässt sich ableiten, dass er eine umfassende Bereichsausnahme für zu weitgehend halten könnte, wenn dadurch z.B. sämtliche Rechte der betroffenen Personen ausgeschlossen sind.
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Nationale Vorschriften können seit dem 25.5.2018 somit nicht mehr bedenkenlos weiter angewendet werden, so dass für die Unternehmen eine gewisse Rechtsunsicherheit entsteht. Sie müssen in jedem Einzelfall prüfen, ob und in welchem Umfang die Regelung von einer Öffnungsklausel der DSGVO oder einer spezialgesetzlichen EU-Richtlinie gedeckt ist. Nur in diesem Rahmen kann die jeweilige Vorschrift weiter angewendet werden. Außerhalb dieses Rahmens gilt der Anwendungsvorrang des EU-Rechts, so dass dann ggf. auf die Vorschriften der DSGVO zurückgegriffen werden muss.
Praxishinweis
Sobald für eine konkrete Rechtsfrage Normen verschiedener Gesetze relevant sind, sollte in einem ersten Schritt die Wirksamkeit dieser Normen und ihr Verhältnis zueinander anhand der vorstehend aufgeführten Maßstäbe geprüft werden.
14 EuGH, Urt. v. 14.2.2019 – C-345/17, ECLI:EU:C:2019:122.
III. Auslegung der DSGVO und der Begleitgesetze
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Neben der Ermittlung der Anwendbarkeit der einschlägigen Datenschutzvorschriften besteht eine Herausforderung in ihrer richtigen Auslegung.
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Sowohl die DSGVO als auch die ePrivacy-Richtlinie sind europäische Rechtsakte. Nur die europäischen Gerichte legen sie verbindlich aus. Nach Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV entscheidet der EuGH z.B. im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge. Hingegen sind das BDSG, das TMG, das TKG und sonstige deutsche Gesetze mit datenschutzrechtlichem Regelungsgehalt nationale Rechtsakte, die primär von den deutschen Gerichten ausgelegt werden. Europäische Gerichte legen diese deutschen Gesetze nur dann aus, wenn es für europarechtliche Fragen relevant ist.15
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Diese scheinbar trivialen Feststellungen haben spätestens seit Geltung der DSGVO erhebliche Implikationen für den Datenschutzpraktiker. Denn regelmäßig hängt die konkrete Ausgestaltung datenschutzrechtlich getriebener Maßnahmen von der Auslegung eines der oben genannten Gesetze ab. Dabei darf die deutsche Auslegungsmethodologie – wie es auch in der Literatur häufig passiert – nicht unreflektiert auf die DSGVO angewendet werden. Stattdessen sind die europäischen Vorgaben entsprechend der Methoden der europäischen Gerichte auszulegen.
Praxishinweis
Das Datenschutzrecht ist eine komplexe Materie. Nichtsdestoweniger sollte sich auch der Datenschutzpraktiker eine eigene Meinung dazu bilden, wie bestimmte Normen auszulegen sind. Denn weder die Datenschutzbehörden noch besonders profilierte Rechtswissenschaftler haben eine Deutungshoheit bezüglich der Auslegung von Normen.16 Zwar sollte das Unternehmen schon aus Haftungsgründen die entsprechenden Stellungnahmen seiner zuständigen Aufsichtsbehörde kennen und in Entscheidungen einbeziehen, doch muss der Anwender im Unternehmen nichtsdestoweniger eine eigene Wertung treffen. Diese Wertung sollte – jedenfalls bei wichtigen Fragestellungen – im Hinblick auf die Rechenschaftspflicht gemäß Art. 5 DSGVO17 auch dokumentiert werden.
1. Auslegung der DSGVO
a) Autonome Auslegung des Unionsrechts
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Aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes hat der EuGH seit jeher gefolgert, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen.18 Eine schlichte Übernahme bestimmter, im nationalen Recht etablierter Interpretationen verbietet sich also.
b) Auslegungsmethoden
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Grundsätzlich wenden die europäischen Gerichte die gleichen Auslegungsmethoden an wie die deutsche Rechtswissenschaft. Neben der Auslegung auf Grundlage des Wortlauts finden also die systematische, die teleologische und die historische Auslegung Anwendung. Allerdings unterscheiden sich die Gewichtung und konkrete Anwendung dieser Methoden nennenswert von der deutschen Vorgehensweise. Darüber hinaus spielt regelmäßig das „effet-utile-Prinzip“ im Europarecht eine große Rolle.
aa) Wortlaut
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Auch im europäischen Recht stellt die Interpretation des Wortlauts einer Norm die grundlegende Auslegungsmethode dar. Allerdings ist schon umstritten, ob sie auch die wichtigste ist.19 Jedenfalls stellt der Wortlaut prinzipiell den Ausgangspunkt und die Grenze der Auslegung von Normen dar.20 Nichtsdestoweniger hat der EuGH in einzelnen Entscheidungen Auslegungen entwickelt, die die Rechtswissenschaft eher als Rechtsfortbildung denn als Rechtsauslegung bewertet hat.21
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Darüber hinaus sind bei der Auslegung des Wortlauts einer Norm des Unionsrechts die Besonderheiten des europäischen Rechts als supranationales und multilinguales Rechtssystem zu berücksichtigen. Die verschiedenen sprachlichen Versionen der europäischen