Praxishandbuch DSGVO. Tobias Rothkegel
Sinne des Art. 7 Abs. 4 DSGVO sei.438
Praxishinweis
Es ist dennoch Vorsicht bei Anreizen für Einwilligungen geboten. Der Europäische Datenschutzausschuss fordert für einen Nachteil im Sinne des Erwägungsgrunds 42 S. 5 zur DSGVO zwar einerseits „beträchtliche“ negative Folgen, lässt auf der anderen Seite aber offenbar jegliche unvorteilhafte Auswirkung bei Verweigerung oder Widerruf der Einwilligung genügen, um deren Freiwilligkeit in Frage zu stellen. So soll etwa ein beachtlicher Nachteil schon vorliegen, wenn der betroffenen Person überhaupt Kosten entstehen oder ein Vorteil wie ein Preisnachlass nicht (weiter-)gewährt wird.439 Auch wenn bloße Unannehmlichkeiten in der Realität regelmäßig kaum geeignet sein dürften, bei betroffenen Personen Zwang hervorzurufen, ist vor höchstrichterlicher Klärung nicht zu erwarten, dass die nationalen Aufsichtsbehörden von diesem weiten Verständnis des Nachteilsbegriffs erheblich abweichen werden. Um die Wirksamkeit eingeholter Einwilligungen nicht zu gefährden, ist es daher ratsam, auf Anreize vorerst komplett zu verzichten oder bei etwas mehr Risikobereitschaft entsprechend gewonnene Einwilligungen im Rahmen der Dokumentation zumindest zu kennzeichnen, damit sie identifiziert werden können, falls rechtskräftig festgestellt würde, dass man sich auf sie mangels Freiwilligkeit nicht mehr berufen darf. Im Übrigen sollten Vertragsschlüsse möglichst nicht von Einwilligungen in die Datenverarbeitung abhängig gemacht werden. Wenn die Datenverarbeitung für einen Vertrag erforderlich ist, existiert mit Art. 6 Abs. 1b DSGVO in der Regel bereits eine hinreichende Erlaubnis. Etwas anderes gilt nur, wenn die Möglichkeit, die Datenverarbeitung allein über vertragliche Erforderlichkeit zu rechtfertigen, fehlt.440
bb) Trennungsgebot
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Das Gebot der gesonderten Einholung einer Einwilligung zielt anders als das frühere deutsche Recht nicht auf deren Trennung von anderen Erklärungen,441 sondern auf die Einräumung der Möglichkeit ab, einzelnen Datenverarbeitungsvorgängen jeweils separat die Zustimmung erteilen oder versagen zu können, soweit dies im Einzelfall angebracht ist.442 Wann eine Trennung angebracht ist, wird offen gelassen. Einen Anhaltspunkt gibt aber Erwägungsgrund 32 S. 5 DSGVO, der eine gesonderte Einwilligung pro Verarbeitungszweck nahelegt, wobei mehrere einem Zweck dienende Vorgänge zusammengefasst werden können.443 Problematisch dürften danach jedenfalls solche sog. „Take-it-orleave-it-Konzepte“ sein, bei denen der Betroffene hinsichtlich einer Vielzahl von Verarbeitungsvorgängen/-zwecken nur vor die Wahl gestellt wird, seine Einwilligung ganz oder gar nicht zu erteilen.444 Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht ist bei der Umsetzung granularer Einwilligungskonzepte jedoch zu beachten, dass zu viele Auswahlmöglichkeiten den ungewünschten Effekt mit sich bringen können, Verbraucher davon abzuhalten, Entscheidungen zu treffen, sog. „Choice-Overload“.445
Praxishinweis
Um bei elektronischen Einwilligungen gleichzeitig dem Trennungsgebot und dem Dienstunterbrechungsverbot446 gerecht zu werden, empfiehlt sich ein mehrschichtiges Konzept447 mit benutzerfreundlicher One-Click-Option wie folgt: Auf der ersten Ebene wird die Möglichkeit gegeben, durch Ankreuzen nur einer Checkbox mehreren Datenverarbeitungsvorgängen gleichzeitig zuzustimmen. Der Einwilligungstext muss aussagekräftig und kurz sein sowie einen deutlichen verlinkten Hinweis enthalten (z.B. „Wenn ich einzelne Verarbeitungsvorgänge von meiner Auswahl ausschließen möchte, kann ich hier gesonderte Einwilligungen erteilen.“). Dieser sprechende Link führt auf eine zweite Ebene, wo über mehrere anzukreuzende Checkboxen gesondert in jeden einzelnen Vorgang eingewilligt werden kann.
cc) Klares Ungleichgewicht
264
Die Freiwilligkeit einer Einwilligung kann schließlich ausgeschlossen sein, wenn zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen ein klares Ungleichgewicht besteht. Das wird nach Erwägungsgrund 43 S. 1 insbesondere angenommen, „wenn es sich bei dem Verantwortlichen um eine Behörde handelt, und es deshalb in Anbetracht aller Umstände in dem speziellen Fall unwahrscheinlich ist, dass die Einwilligung freiwillig gegeben wurde“.
265
Es entspricht indes nicht der Lebenswirklichkeit, bei einem Über-/Unterordnungsverhältnis von vornherein und starr von einem klaren Ungleichgewicht auszugehen. Es kommt vielmehr auf die konkrete Situation an, in der eine Einwilligung nachgefragt wird. Es existiert nicht bei jeder Behörde und unabhängig von der konkreten Situation Anlass für die Besorgnis, der Bürger könnte in Ehrfurcht vor der Institution erstarren und dem Ersuchen unter Ausschaltung seiner Besonnenheit und der Rationalität seiner Entscheidungsgewalt zwanghaft nachgeben. Denn die Verweigerung einer Einwilligung kann unter den jeweiligen Umständen auch keinerlei ersichtliche Nachteile zur Folge haben.448 Nur hierauf kann es aber ankommen, so dass Erwägungsgrund 43 S. 1 nicht nur etwas aus der Zeit gefallen, sondern für die Beurteilung der Freiwilligkeit ohne zusätzliche Heranziehung der Kriterien in Erwägungsgrund 42 S. 5 auch nicht sonderlich tauglich erscheint.
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Ebenso verhält es sich bei sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen. Obwohl die Europäische Kommission es in ihrem Verordnungsentwurf noch vorgeschlagen hatte,449 gilt das Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls auf dem Papier nicht mehr als Paradebeispiel für ein die Freiwilligkeit einer Einwilligung von vornherein ausschließendes Ungleichgewicht. Nach Ansicht des Europäischen Datenschutzausschusses ist es im Beschäftigungsverhältnis in der Regel aber unwahrscheinlich, dass die betroffene Person ihrem Arbeitgeber die Einwilligung in die Datenverarbeitung verweigern kann, ohne Angst zu haben oder wirklich Gefahr zu laufen, dass die Weigerung zu Nachteilen führt.450
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Eine freiwillige Zustimmung kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn sie nicht vorab in allgemeiner Form im Arbeitsvertrag, sondern anlassbezogen während des laufenden Arbeitsverhältnisses gegeben wird.451 So ist die Freiwilligkeit einer vor Einstellung eines Arbeitnehmers erbetenen Einwilligung weiterhin fraglich, wenn zwar theoretisch das Recht zur Verweigerung unbenommen, aber mit der beträchtlich nachteiligen und nicht unwahrscheinlichen Folge verbunden ist, die Chance auf die Stelle zu verlieren. Ganz anders verhält es sich in der Konstellation, dass keine gewichtigen Nachteile befürchtet werden müssen oder die Entscheidung für die Datenverarbeitung ohne übermäßigen Anreiz nur Vorteile verspricht, wie etwa bei der Registrierung für Personalkaufrabatte.
Nationale Regelungen in Deutschland
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Entsprechend dynamisch hat der deutsche Gesetzgeber die Einwilligungsmöglichkeit im Beschäftigungskontext auf der Grundlage der Öffnungsklausel des Art. 88 DSGVO in § 26 Abs. 2 BDSG geregelt. Danach kann Freiwilligkeit insbesondere vorliegen, „wenn für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgen“.452 Als Beispiele für Vorteile werden in der Gesetzesbegründung die Teilnahme an einem betrieblichen Gesundheitsmanagement zur Gesundheitsförderung oder die Erlaubnis zur Privatnutzung von betrieblichen IT-Systemen und für gleichgerichtete Interessen die Aufnahme von Name und Geburtsdatum in eine Geburtstagsliste oder die Nutzung von Fotos für das Intranet, bei der Arbeitgeber und Beschäftigter im Sinne eines betrieblichen Miteinanders zusammenwirken, genannt.453
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In diesem Sinne kann auch in einem von Marktmacht und Nachfrage geprägten Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher nicht an sich ein die Unfreiwilligkeit einer Einwilligung indizierendes klares Ungleichgewicht gesehen werden.454 Abzustellen ist vielmehr auf die Einzelfallfrage, ob der Verbraucher eine echte Wahl hat, zumal anderenfalls eine Einwilligung in dieser Beziehung generell als Rechtsgrundlage ausscheiden