Eingriffsrecht Brandenburg. Viktor Nerlich

Eingriffsrecht Brandenburg - Viktor Nerlich


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Organ der Gerichtsverhandlung selbst sowie als Ermittlungs- bzw. Untersuchungsrichter;

      – Verletzte; Zeugen; Sachverständige.

      Anders als beim Polizeirecht, dessen Ziel die Verhinderung und Beseitigung von Gefahren für polizeiliche Schutzgüter (also u. a. auch die Verhütung und Beendigung von Straftaten) ist, geht es dem Strafverfahrensrecht um die Ahndung begangener Straftaten. Ähnlich liegt es auch beim Ordnungswidrigkeitenrecht, das starke Bezüge zum Strafprozessrecht aufweist, indem sich die Verfahrensnormen und Eingriffsbefugnisse zur Aufklärung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich aus der Strafprozessordnung ergeben (§ 46 Abs. 1; § 46 Abs. 2; § 53 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 OWiG). Allerdings geht es im Ordnungswidrigkeitenrecht lediglich um die Verfolgung von Rechtsverstößen unterhalb der Kriminalität („Bagatelldelinquenz“); es sanktioniert die Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, ohne die Handlung als sozialschädlich i. S. des Strafrechts zu stigmatisieren. Man spricht daher bisweilen nicht ohne Grund von „Verwaltungsunrecht“.12 Die meisten Ordnungswidrigkeiten sind über eine Vielzahl von Gesetzen aus dem Bereich des Verwaltungsrechts verteilt, meist an deren Ende. Beispiele sind das Straßenverkehrsrecht (§ 49 StVO i. V. mit § 24 StVG), das Waffenrecht (§ 53 WaffG) oder das Forstrecht (§ 37 LWaldG). Nur wenige Tatbestände sind im zentralen Ordnungswidrigkeitengesetz geregelt.

      Die Aufgaben der Polizei ergeben sich aus § 1 BbgPolG. Danach ist die Polizei in jeweils verschiedenem Umfang zuständig für

      – die Gefahrenabwehr,

      – den Schutz privater Rechte,

      – die Vollzugshilfe zugunsten anderer Behörden,

      – andere, der Polizei durch Rechtsvorschriften übertragene Aufgaben.

       1.1 Polizei und Ordnungsbehörden

      Gemäß § 1 Abs. 1 BbgPolG hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Gefahrenabwehr besteht aus drei Teilbereichen, nämlich:

      – der klassischen Gefahrenabwehr, d. h. der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG);

      – der vorbeugenden Bekämpfung bzw. Verhütung von Straftaten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BbgPolG);13

      – der Vorbereitung auf künftige Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BbgPolG), womit vor allem die Vorhaltung von Daten, die Bereitstellung von Geräten und die Planung von Einsätzen gemeint ist.

      Zu beachten ist jedoch, dass – von der vorbeugenden Bekämpfung (Verhütung) von Straftaten und der Vorbereitung für künftige Gefahrenfälle abgesehen – die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr grundsätzlich nur insoweit zuständig ist, als die Abwehr der Gefahr durch die originär zuständige Ordnungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint (§ 2 Satz 1 BbgPolG). Die Polizei „konkurriert“ also im Bereich der Gefahrenabwehr zum Teil mit den Ordnungsbehörden. Sie hat dann nur das Recht des ersten Zugriffs und wird subsidiär aufgrund einer Eil- oder Eilfallkompetenztätig.14 Nur in wenigen Bereichen ist die Polizei aufgrund gesetzlicher Zuweisung für die Gefahrenabwehr auch originär zuständig. Es handelt sich insbesondere um

      – den Bereich des Straßenverkehrs und Wasserstraßenverkehrs gemäß § 1 Abs. 4 i. V. mit § 78 Abs. 2 BbgPolG;15

      – den Bereich des Waffenrechts nach § 1 Abs. 4 BbgPolG i.V. mit § 1 Abs. 1 und Abs. 4 der brandenburgischen Rechtsverordnung zur Durchführung des Waffengesetzes (DVO WaffG);16

      – den Bereich des Versammlungsrechts nach § 1 Abs. 4 BbgPolG i.V. mit § 1 der brandenburgischen Rechtsverordnung zur Übertragung der Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz (ZustVO VersamG).17

      Es ist also stets zu prüfen, ob die Polizei originär oder subsidiär gefahrenabwehrend tätig wird. Handelt sie subsidiär, hat sie die jeweils zuständige Ordnungsbehörde unverzüglich über ihren Zugriff zu unterrichten (§ 2 Satz 2 BbgPolG). Unabhängig davon aber, ob die Polizei subsidiär oder originär gefahrenabwehrend tätig wird, muss tatbestandlich stets eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG).

       1.2 Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung

      Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist das polizeiliche Schutzgut; nur ihr können Gefahren drohen. Zur öffentlichen Sicherheit zählen:18

      – die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung,

      – die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen,

      – der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen.19

      Als Inbegriff der öffentlichen Sicherheit ist regelmäßig zuerst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung zu prüfen. Denn fast alle Handlungen, die die Polizei zum Einschreiten berechtigen, beruhen auf einer Verletzung des geltenden Rechts und damit auf einer Verletzung der Rechtsordnung. Rechtsordnung meint die Gesamtheit des oben erläuterten geltenden Rechts. Wann immer also gegen Rechtsnormen verstoßen wird oder dies droht, ist die öffentliche Sicherheit in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung gestört bzw. gefährdet. Besonders augenfällig wird dies bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.20 Legales Handeln kann demgegenüber die öffentliche Sicherheit nicht verletzen, denn rechtmäßiges Verhalten ist ja gerade zugelassen und gerechtfertigt.21 Zu beachten ist aber, dass die Polizei grundsätzlich nur für die Verletzung des öffentlichen Rechts zuständig ist, während ihr der Schutz des Privatrechts, das natürlich auch zur Rechtsordnung gehört, nur unter den Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 BbgPolG obliegt.22 Wird aber neben dem privaten Recht zugleich eine Norm des öffentlichen Rechts, z. B. ein Strafgesetz verletzt, entfällt diese Einschränkung.

       Beispiel 1

      F bittet die beiden Polizeibeamten A und B aufgeregt, ihren soeben aus der gemeinsamen Wohnung ausziehenden Freund M daran zu hindern, den ihr gehörenden Kühlschrank ohne ihr Einverständnis mitzunehmen. Neben der Verletzung des Privatrechts kommt ein strafrechtlich relevantes Verhalten, also die Verletzung des öffentlichen Rechts, in Betracht. Die Beamten sind gemäß § 1 Abs. 1 BbgPolG zuständig.

       Beispiel 2

      L spricht zwei Kollegen von A und B an und bittet sie, seine ebenfalls gerade ausziehende Freundin V daran zu hindern, den Fernseher mitzunehmen. Das sei zwar ihr eigenes Gerät, aber sie habe ihm, dem L, erst gestern versprochen, ihm den Fernseher für ein Jahr unentgeltlich zur Nutzung zu überlassen. Auch hier liegt eine Rechtsverletzung vor, jedoch nicht des öffentlichen Rechts. Denn es liegt lediglich ein Leihvertrag nach § 598 BGB vor, den B offenbar nicht erfüllen möchte. Deswegen ist die Polizei lediglich nach § 1 Abs. 2 BbgPolG zuständig.

      Zu den subjektiven Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen zählen insbesondere Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Ehre.23 Meist werden sie durch Rechtsverletzungen bedroht bzw. geschädigt. In einem solchen Fall liegt dann aber eine Störung der öffentlichen Sicherheit in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung vor, z. B. drohende Tötung (u. a. § 212 StGB), bevorstehender Diebstahl (§ 242 StGB), andauernde Körperverletzung (u. a. § 223 StGB), unzulässiger Lärm (z. B. §§ 9, 10 LImSchG). Warum zählt man dann aber die subjektiven Rechte


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