Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet. Timo Handel
erscheinen, aber z.B. auch mit einfachen Postings in sozialen Netzwerken gegeben sein. Da es keine rechtliche Pflicht zur Wahrheit gibt, sind Fake News grundsätzlich „nicht bereits aufgrund ihrer Falschinformation“ strafbar,162 sondern es müssen weitere Umstände hinzutreten.163 Fake News, die eine größere Aufmerksamkeit in Deutschland erlangten, sind bspw. der „Fall Lisa K.“164 und der „Fall Margot Käßmann“165. Der „Fall Lisa K.“ führte nicht nur zu öffentlichen Protesten von vorwiegend russischstämmigen Staatsbürgern, sondern entwickelte sich sogar zum Politikum zwischen Deutschland und Russland.166
Die Verbreitung von Fehlinformationen ist jedoch kein neues Phänomen und existierte schon in analoger Form mit sog. Zeitungsenten und gezielter Propaganda, z.B. durch Organisationen und Staaten. Durch das Internet und insbesondere soziale Netzwerke erlangen Fehlinformationen aber eine ganz neue Qualität und Breitenwirkung.167 Die Verbreitung von Fake News und deren Effekte auf die Meinungsbildung werden dabei durch sog. Filterblasen („filter bubbles“) und Echokammern („echo chambers“)168 begünstigt, die wiederum durch die Geschäftsmodelle sozialer Netzwerke und deren algorithmenbasierte Inhaltsauswahl begünstigt werden.169 Das Gleiche gilt für sog. Social Bots170, mit denen Inhalte und damit auch Fake News in sozialen Netzwerken automatisiert vielfach geteilt, verbreitet und kommentiert werden können.171 Ihr massenweiser Einsatz kann Stimmungen anheizen und insbesondere zu einer Verzerrung politischer Diskussionen führen.172 Trotz dessen gab es im Bundestagswahlkampf im Jahr 2017 weder „‚die‘ eine große Fake News [...], die den Wahlkampf beeinflusst hat“, noch eine „große Fake-News-Schwemme“.173
Obwohl Fake News erhebliche negative Auswirkungen auf die öffentliche Meinungsbildung haben können, sind sie in der Regel nicht strafbar. Wo dies doch einmal der Fall ist, kommen als Straftatbestände insbesondere die Volksverhetzung (§ 130 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB), aber auch eine Störung des öffentlichen Friedens (§ 126 StGB)174 in Betracht.
159 BT-Drucks. 18/12727, S. 1; Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 2f. 160 Golz, K&R Beilage 1 zu Heft 7/8/2017, S. 30; Holznagel, MMR 2018, 18; Hoven/Krause, JuS 2017, 1167; Peifer, CR 2017, 809; Peifer, AfP 2018, 14. 161 Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 2. 162 Golz, K&R Beilage 1 zu Heft 7/8/2017, S. 31. 163 Vgl. auch Hoven/Krause, JuS 2017, 1167, 1170. 164 Der „Fall Lisa K.“ handelt von einem 13-jährigen russlanddeutschen Mädchen aus Berlin-Marzahn, das angeblich von einer Gruppe südländisch aussehender Männer vergewaltigt wurde, jedoch tatsächlich bei einem Freund übernachtet hatte. Den deutschen Strafverfolgungsbehörden wurde in diesem Zusammenhang die Vertuschung von Straftaten vorgeworfen, siehe Süddeutsche Zeitung, Eine Nacht beim Freund, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/fall-lisa-eine-nacht-beim-freund-1.2840525, zuletzt abgerufen am 29.12.2020. 165 Siehe hierzu Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 8ff., der insbesondere auch auf die Verbreitung und Entwicklung vom „misinterpreted content“ zum „manipulated content“ eingeht. 166 Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 5. 167 Vgl. Holznagel, MMR 2018, 18, 19. 168 Die Theorie von den Filterblasen und Echokammern geht davon aus, dass der Algorithmus eines Online-Angebots, z.B. eines sozialen Netzwerks, der Nachrichten und Informationen nach der (vermeintlichen) Relevanz für den jeweiligen Nutzer filtert und damit dem Nutzer nur für ihn relevante Informationen anzeigt, dazu führt, dass die Nutzer nur noch solche Informationen zur Kenntnis nehmen, die ihre persönlichen Einstellungen widerspiegeln und die Nutzer dadurch in eine „Blase“ oder „Echokammer“ geraten, in welcher sich keine (politischen) Gegenauffassungen mehr finden und sich die Nutzer durch ihre Beiträge innerhalb dieses geschlossenen Bereichs in ihrer Auffassung nicht nur gegenseitig bestärken, sondern auch hochschaukeln und damit radikalisieren können (Drexl, ZUM 2017, 529, 531). 169 Drexl, ZUM 2017, 529; vgl. zu Filterblasen in sozialen Netzwerken auch KEK, 5. Konzentrationsbericht, S. 282f. 170 Hierbei handelt es sich um Programme, die automatisiert Beiträge verbreiten, kommentieren und teilen und dabei auch unter Nutzung von sog. Fake-Accounts in Gestalt einer echten natürlichen Person daherkommen können, vgl. Drexl, ZUM 2017, 529, 530, und Libertus, ZUM 2018, 20ff. 171 Holznagel, MMR 2018, 18, 19. 172 Libertus, ZUM 2018, 20. 173 Sängerlaub, Verzerrte Realitäten, S. 2. 174 AG Mannheim, K&R 2019, 285; Handel/Rieth, K&R 2020, 409, 414.
Kapitel 2 Die Anwendbarkeit deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts auf Diensteanbieter sozialer Netzwerke 175
Sofern der Diensteanbieter, wie häufig, seinen Sitz im Ausland hat, stellt sich zunächst die Frage nach dessen Verfolgbarkeit bzw. der Anwendbarkeit deutschen Straf- (siehe A.) und Ordnungswidrigkeitenrechts (siehe B.) sowie deren Nichtausschluss durch das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG bzw. Art. 3 ECRL (siehe C.).
175 Das Kapitel stellt eine Weiterentwicklung eines Beitrags des Autors in MMR 2017, 227ff. dar und beruht daher im Ausgangspunkt und seiner Struktur auf diesem Beitrag.
A. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts
Zunächst soll in diesem Zusammenhang die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts untersucht werden.
Deutsches Strafrecht gilt gem. § 3 StGB grundsätzlich nur für Taten, die im Inland begangen werden. Auf im Ausland begangene Taten findet das deutsche Strafrecht nur ausnahmsweise und in besonders geregelten Fällen Anwendung.176 Hinsichtlich der Straftatbestände, die § 1 Abs. 3 NetzDG in Bezug nimmt, ist zunächst auf die Ausnahme des § 6 Nr. 6 StGB hinzuweisen. Diese sieht eine Anwendung deutschen Strafrechts auch bei einer Auslandstat vor, wenn die Tat die Verbreitung sog. harter Pornographie177 zum Gegenstand hat. Unter bestimmten Voraussetzungen gilt das deutsche Strafrecht nach § 5 StGB, unabhängig vom Recht des Tatorts, auch für Taten des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen nach § 86 Abs. 1 StGB (§ 5 Nr. 3 lit. a StGB), des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB (§ 5 Nr. 3 lit. b StGB), der landesverräterischen Fälschung nach § 100a StGB (§ 5 Nr. 4 StGB), der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten nach § 111 StGB (§ 5 Nr. 5a lit. a StGB) und der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB (§ 5 Nr. 5a lit. b StGB), die im Ausland begangen werden.
Ob eine Tat im Inland begangen wurde, richtet sich nach § 9 StGB, der den Ort der Tat regelt.
I. Ort der täterschaftlichen Begehung
In diesem Zusammenhang bestimmt § 9 Abs. 1 StGB den Ort der täterschaftlichen Begehung. Da der Diensteanbieter eines sozialen Netzwerks in Bezug auf die von seinem Nutzer verbreiteten rechtswidrigen Informationen regelmäßig jedoch weder Täter noch Mittäter ist (siehe Kapitel 4 B.), kommt eine Anwendung deutschen Strafrechts über diese Regelung grundsätzlich nicht in Betracht.
II. Ort der Teilnahme
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