Arbeitgeberattraktivität: Die Rolle von Work-Life-Balance und flexiblen Arbeitszeitmodellen. Carina Stiglbauer
auch weiblichen Teilnehmer, die innerhalb ihre Geschlechtergruppe die meisten Stunden arbeiteten, dass sie sich von ihren Familien entfremdet fühlen. Die von Worrall und Cooper (1999, S. 10) durchgeführte Untersuchung zeigt, dass es für Manager sehr schwierig ist, eine Balance zwischen Privat- und Berufsleben zu haben. Die Manager bestätigen, dass ihre langen Arbeitszeiten negative Auswirkungen auf ihre Beziehung zu ihren Partnern, ihren Kindern und auf ihr soziales Leben haben. Auch werden ihre Moral, Produktivität und Gesundheit dadurch negativ beeinträchtigt. Die Gesundheit ist auch Thema bei der Befragung von Hewlett und Luce (2006, S. 54). Mehr als zwei Drittel der Studienteilnehmer, die „extreme Jobs“ ausüben, schlafen zu wenig, die Hälfte bewegt sich zu wenig und eine beträchtliche Anzahl von ihnen isst zu viel, trinkt zu viel Alkohol oder nimmt Medikamente gegen Schlaflosigkeit oder Angstzustände. Auch zeigt die Meta-Analysen von Sparks et al. (1997, S. 401) einen kleinen, aber signifikanten positiven Trend zunehmender Krankheitssymptome mit zunehmender Arbeitszeit. Lange Arbeitszeiten können auch zu erhöhtem Stress und vermindertem Engagement am Arbeitsplatz führen (Wharton & Blair-Loy, 2002, S. 33).
Nach der Betrachtung aller negativen Folgen, wenn es an Work-Life-Balance mangelt, zeigt das Experiment von Perlow und Porter (2009, S. 104ff), dass eine Förderung der Work-Life-Balance viele positive Auswirkungen auf die Organisation und die Belegschaft haben kann. Die Studie beweist, dass Berater eine Topberatung erbringen und dennoch geplante, ununterbrochene Freizeit genießen können. Es wurden zwei Experimente in zahlreichen Büros der Boston Consulting Group in Nordamerika durchgeführt. Im ersten Experiment musste jeder Mitarbeiter einen Tag in der Woche freinehmen, wobei in jedem Team ein zusätzlicher Mitarbeiter an dem Projekt arbeitete, damit die Beraterstunden pro Klienten gleich blieben. Im zweiten Versuch wurde dem Berater ein Abend unter der Woche ab 18 Uhr freigegeben, an dem er nicht arbeiten und auch keine E-Mails mehr lesen durfte. Am Anfang waren sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter skeptisch. Sie hatten die Befürchtung, dass sie nicht befördert werden und ihre Karriere gefährdet wäre, wenn sie an dem Projekt teilnehmen und weniger hart arbeiten. Die Experimente zeigten viele positive Auswirkungen, sowohl auf die Arbeitnehmer als auch auf das Unternehmen. Mitarbeiter hatten naturgemäß nicht nur mehr Freizeit zur Verfügung, sondern waren auch zufriedener mit ihrem Job und konnten sich eine langfristige Beschäftigung im Unternehmen vorstellen. Zudem wurde ihre Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance erhöht, es fand eine offenere Kommunikation statt, die Arbeitsweise der Teammitglieder wurde effizienter und effektiver und die Leistung für Kunden wurde verbessert. Wichtig für den Erfolg der Projekte waren vier Bereiche. Erstens wurde ein genauer Mechanismus festgelegt, wie Zeit frei zu nehmen ist. Zweitens wurde mehr Kommunikation in die Prozesse eingegliedert. Auch wurden nach einem Kickoff-Meeting wöchentliche Update-Treffen abgehalten. Drittens war es entscheidend, Mitarbeiter zu ermutigen, alte Arbeitsprozesse zu überdenken und neue zu erarbeiten, wie die Einführung eines team blogs oder geteilte Verantwortungen. Aufgrund dieser neuen Prozesse kam es zu einer Erhöhung des Erfahrungsaustausches. Viertens war die Unterstützung der Führungsebene entscheidend, um den Arbeitnehmern zu vermitteln, dass ihre Teilnahme am Experiment geschätzt wird (Perlow & Porter, 2009, S. 104ff).
Um positive Auswirkungen für Mitarbeiter und Unternehmen zu erreichen, ist es oft wichtig eine HR-Strategie zu entwickeln, die sich nicht nur auf einzelne Work-Family-Richtlinien fokussiert, sondern ein Paket dieser Richtlinien umsetzt (Perry-Smith & Blum, 2000, S. 1107). Die einzelnen Richtlinien, die Teil des Gesamtpakets sind, könnten etwa die Erweiterung der Flexibilität am Arbeitsplatz, geplante Abwesenheiten, Kinderbetreuung sowie Information und Vermittlung zu bzw an diese Einrichtungen umfassen (Goodstein, 1994, S. 354). Gemäß der Forschung von Perry-Smith und Blum (2000, S. 1114) haben Unternehmen, die ein Paket an Work-Family-Richtlinien anboten, höhere organisatorische Leistungsfähigkeit, Marktperformance und Gewinn- und Umsatzwachstum. Des Weiteren können Arbeitnehmer diese Richtlinien als positives Symbol des Entgegenkommens ihres Arbeitgebers werten und das Unternehmen kann sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, insbesondere, wenn wenige Organisationen diese Work-Family-Richtlinien umsetzen. Auch kam die Studie von Carless und Wintle (2007, S. 394) zu dem Ergebnis, dass in der Anfangsphase des Recruiting-Prozesses flexible HR-Richtlinien attraktiv für Bewerber wirken. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass junge Bewerber nach Jobs suchen, die ihnen eine Balance in ihrem Leben ermöglicht, selbst dann, wenn es unwahrscheinlich ist, dass sie bereits familiäre Verpflichtungen haben. Ihnen geht es mehr darum, eine hohe Lebensqualität zu genießen, als die Karriereleiter hinaufzuklettern. Auch verlieren materielle Werte für eine große Anzahl an Personen zunehmend an Bedeutung (Carless & Wintle, 2007, S. 400). Da nicht alle Unternehmen Maßnahmen ergreifen, die zu Work-Life-Balance führen, können Unternehmen, die diese anbieten, Bewerber davon überzeugen, die Stelle bei Vorliegen mehrerer Jobalternativen anzunehmen und das Angebot des Konkurrenten auszuschlagen (Osborn, 1990, S. 58).
3.5.2 Auswirkungen auf die Geschlechter
Sowohl Männer als auch Frauen haben Probleme mit ihrer Work-Life-Balance. Bei der Ausübung von „extremen Jobs“ mit langen Arbeitszeiten und der Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Verpflichtungen gibt es jedoch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Forschung von Hewlett und Luce (2006, S. 56f) zeigt, dass „extreme Jobs“ wesentlich häufiger von Männern als von Frauen ausgeübt wurden. Auch im Rechtsanwaltsberuf gibt es ein eindeutiges geschlechterspezifisches Ungleichgewicht. Wie bereits mehrfach erwähnt, gibt es lediglich 23 % Rechtsanwältinnen, obwohl gleich viele Männer wie Frauen diese Berufsausbildung beginnen (https://www.rechtsanwaelte.at/kammer/kammer-in-zahlen/mitglieder/; Röthler, 2019, S. 325). Somit geht hervorragendes und intensiv ausgebildetes weibliches Potential verloren. Trotz der steigenden Zahl an Rechtsanwältinnen hat Österreich im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten, wie etwa Frankreich, Spanien, Griechenland oder Italien eine vergleichbar geringe Quote an Rechtsanwältinnen (Prunbauer-Glaser, 2013, S. 108).
Die Daten von Hewlett und Luce (2006, S. 56f) deuten darauf hin, dass Frauen „extreme Jobs“ nicht deswegen nicht ausüben, weil sie Angst vor dem Druck und der Verantwortung dieser Jobs haben, sondern dass sie schlichtweg die Arbeitszeit nicht aufbringen können. Grund dafür könnte sein, dass mehr Männer als Frauen in diesen Jobs die Unterstützung einer Ehe- oder Lebenspartnerin zu Hause haben. Auch Brett und Stroh (2003, S. 76) befragten Manager, die viele Stunden arbeiteten und dies mit ihrer Rolle als Elternteil und Partner zu vereinbaren suchten. Die Studie ergab, dass es für den Erfolg essenziell sei, dass die meisten der Manager, die eine extreme Stundenanzahl arbeiteten, Frauen hätten, die nicht arbeiteten und zu Hause blieben. Die wenigen Managerinnen, die sehr viele Stunden arbeiteten und Kinder hatten, hatten einerseits auch einen Ehemann, der erhebliche Verantwortung für die Kinderbetreuung übernahm, andererseits nahmen sie auch bezahlte Hilfe in Anspruch. Cha (2010, S. 303) untersuchte in seiner Studie, ob lange Arbeitszeit die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verschärft. Das Ergebnis war, dass die Kündigungswahrscheinlichkeit einer Frau signifikant höher war, wenn ihr Ehemann lange Stunden arbeitete, während die Kündigungswahrscheinlichkeit eines Mannes nicht signifikant erhöht war, wenn seine Ehefrau lange arbeitete. Bei Fach- und Führungsberufen war dieses geschlechterspezifische Muster stärker ausgeprägt.
Der Unterschied der Geschlechter ist auf das traditionelle Rollenbild von Frau und Mann zurückzuführen, dass Frauen historisch gesehen für die Betreuung von Kindern verantwortlich sind und daher gar nicht die Möglichkeit haben, diese Stundenanzahl aufzubringen (Epstein, 1999, S. 103). Die Studie von Boiarintseva und Richardson (2019, S. 874) über kanadische Rechtsanwälte zeigt das Problem, das Rechtsanwälte mit Work-Life-Balance haben. Die Befragten gaben an, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dadurch eingeschränkt war, dass sie als Männer als primäre Ernährer gesehen wurden. Diese gesellschaftliche Erwartung kombiniert mit der Erwartung an Rechtsberufe schränkt ihre Möglichkeit für Work-Life-Balance erheblich ein (Boiarintseva & Richardson, 2019, S. 874).
Diese geschlechterspezifischen Unterschiede führen zu einer Barriere für ehrgeizige Frauen und auch für Unternehmen, die mehr Geschlechtervielfalt in ihren obersten Rängen erreichen wollen. Organisationen haben hier eine echte Chance, talentierte Frauen für sich zu gewinnen, die hart arbeiten und Verantwortung übernehmen wollen, jedoch keine langen Arbeitsstunden leisten können (Hewlett & Luce, 2006, S. 57). Bei Jobs mit sehr langen Arbeitszeiten