Recht des geistigen Eigentums. Thomas Ahrens
Erst die intensiven Bestrebungen einer sich zunehmend entwickelnden Industrie sowie neu gebildeter ErfinderErfinder-vereinigungvereinigungen (sog. PatentbewegungPatent-bewegung) führen dazu, dass sich – unter Hinweis auf den Gedanken des geistigen Eigentums, die Patentgesetzgebung anderer Länder und das öffentliche Interesse – allmählich auch in Deutschland die Überzeugung von der Notwendigkeit eines Schutzes der geistigen Leistung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen vermag.2 So kam es nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 – gestützt auf die Reichsverfassung von 1871, die die Gesetzgebungskompetenz für Erfindungspatente und den Schutz des geistigen Eigentums dem Reich zuwies – zu einer für alle deutschen Länder einheitlichen Reichsgesetzgebung:
Gesetz betreffend das Urheberrecht an SchriftwerkSchriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken v. 1871,3 das durch die Gesetze betreffend das Urheberrecht an Werken der Bildenden Künste v. 9.1.1876 und betreffend den Urheberrechtsschutz an Werken der Photographie v. 10.1.1876 ergänzt wurde.
MarkeMarke-nschutzgesetznschutzgesetzSchutzgesetzMarken- von 30.11.1874, das durch das Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen v. 12.5.1894 abgelöst wurde.
Gesetz betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen v. 11.1.1876 (GeschmacksmusterGeschmacksmuster-gesetzgesetz), das sich als das mit Abstand langlebigste Gesetz im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes erweisen sollte und erst durch das Gesetz zur Reform des Geschmacksmustergesetzes v. 12.3.2004 grundlegend neu gefasst wurde.
Reichs-Patentgesetz v. 25.4.1877, das nach auftretenden Mängeln in der Organisation und im Verfahren des Patentamtes durch ein neues Patentgesetz v. 7.4.1891 abgelöst wurde, das gleichzeitig mit dem ersten Gebrauchsmustergesetz v. 1.6.1891 am 1.10.1891 in Kraft trat.4
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 27.5.1896. Das auf Einzelfälle zugeschnittene und daher wenig taugliche Gesetz wurde alsbald durch das (zweite) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7.6.1909 ersetzt, das den Mangel des ersten Gesetzes durch die „berühmte Generalklausel“ (§ 1) überwand und dem – bis zum Inkrafttreten des UWG-Reformgesetzes 2004 – eine fast 100-jährige Geltungsdauer beschieden war.
§ 4 Der internationale Schutz des geistigen Eigentums
Die Frage des internationalen Rechtsschutzes ist im Bereich des Schutzes von geistigem Eigentum seit jeher von besonderer Bedeutung, weil sich die Schutzgegenstände des geistigen Eigentums aufgrund ihres immateriellen Charakters beliebig vervielfältigen und sich technisch ohne nennenswerten Aufwand über Landesgrenzen hinweg weltweit verbreiten lassen.
I. Ausgangspunkt
Wie bereits einführend dargestellt (s.o. § 1 II.), ist ein wesentliches Charakteristikum der vom Immaterialgüterrecht erfassten Schutzgegenstände – sowohl im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes als auch im Bereich des urheberrechtlichen Werkschutzes – ihre sog. UbiquitätUbiquität. Sie ermöglicht, dass das betreffende geistige Gut – sofern es erst einmal öffentlich zugänglich, bekanntgemacht bzw. veröffentlicht wurde – weltweit genutzt und verwertet werden kann. Bereits seit jeher stellt sich daher für den Gewerbetreibenden, der nicht nur auf dem nationalen Heimatmarkt, sondern auch grenzüberschreitend tätig ist, die Frage nach dem internationalen Schutz seiner gewerblichen Leistungen, d.h. danach, wie es etwa um den Schutz seiner technischen Erfindungen, seiner Leistungen im Bereich des Designs oder seiner Kennzeichen im Ausland bestellt ist. Die Frage nach einem internationalen Schutz des geistigen Eigentums stellt sich in jüngerer Zeit umso drängender, da mit der Entwicklung der modernen IuK-Technologien die Infrastruktur für eine globalisierte, vernetzte Wirtschaft bereit gestellt wurde, durch die sich die Bedingungen für eine weltweite („ubiquitäre“) Nutzung und Verwertung geistiger Güter ganz entscheidend verändert haben (vgl. bereits o. § 1 III., IV; § 2 VI. 2.).
II. Beschränkter Anwendungsbereich der nationalen Sondergesetze zum Schutz des geistigen Eigentums
Voraussetzung für das Verständnis der Notwendigkeit eines internationalen rechtlichen Systems zur Sicherstellung eines grenzüberschreitenden Schutzes im Bereich des geistigen Eigentums ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass der Anwendungsbereich der nationalen Sondergesetze zum Teil in persönlicher und insbesondere durchgängig in räumlicher Hinsicht beschränkt ist.
1. Persönlicher Anwendungsbereichpersönlich-er Anwendungsbereich
Hintergrund für den in vielen Rechtsordnungen noch auf Inländer beschränkten persönlichen Anwendungsbereich der Sondergesetze zum Schutz gewerblicher Leistungen ist der Umstand, dass der jeweilige Staat in der Regel nur das inländische Gewerbe schützen und fördern will. Auf die mit der Erteilung eines gewerblichen SchutzrechtSchutzrechtgewerblicheses verbundene „Rechtswohltat“ soll daher – so die Erwägung – im Grundsatz nur der InländerInländer einen AnspruchAnspruchInländerAnspruch haben, während diese Ausländern versagt wird oder zumindest von der Verbürgung der Gegenseitigkeit – d.h. der Gewährung eines gleichwertigen Schutzes für die eigenen Staatsbürger in dem fraglichen Ursprungsland – abhängig gemacht wird. Auch die Konzeption der deutschen Sondergesetze im Bereich des gewerblichen Rechts beruhte zunächst auf entsprechenden Erwägungen. Im Zuge der Rechtsentwicklung wurde die Zurücksetzung von Ausländern im deutschen gewerblichen Rechtsschutz jedoch weitgehend abgebaut.1 Im Urheberrechtsgesetz ist ein auf Inländer beschränkter persönlicher Anwendungsbereich für das Urheberrecht nach wie vor verankert (s.u. § 78 I.).
2. Räumlicher Anwendungsbereich
Mehr noch als der Beschränkung des Anwendungsbereichs in persönlicher Hinsicht kommt der Beschränkung des Anwendungsbereichs in räumlicher Hinsicht entscheidende Bedeutung für das Verständnis der Notwendigkeit eines internationalen Schutzsystems zu. Der räumliche Anwendungsbereich der deutschen Sondergesetze des gewerblichen Rechtsschutzes sowie des Urheberrechtsgesetzes ist begrenzt, und zwar auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Diese territoriale Begrenzung der Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums auf die Staatsgrenzen wird als sog. TerritorialitätsprinzipTerritorialitätsprinzip bezeichnet.1 Es gilt aber nicht nur im deutschen Immaterialgüterrecht, sondern auch in allen ausländischen Rechtsordnungen. Beim Territorialitätsprinzip handelt es sich also um einen allgemein anerkannten Grundsatz des internationalen Immaterialgüterrechts.2 Entsprechend dem Territorialitätsprinzip wird der jeweilige immaterialgüterrechtliche SchutzImmaterialgüter-rechtlicher Schutz nur innerhalb des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland gewährt, d.h., das dem Rechtsinhaber gewährte Verbotsrecht richtet sich nur an Personen im Inland und gilt nur für Tatbestände im Inland. Umgekehrt ist der im Ausland nach dem dortigen Immaterialgüterrecht gewährte Schutz auch nur auf das jeweilige ausländische Staatsgebiet beschränkt, so dass ausländischen SchutzrechtSchutzrechtausländischesen – etwa einem in Frankreich erteilten Patent oder einer in Großbritannien eingetragenen Marke – in Deutschland keine Wirkung zukommt. Das Territorialitätsprinzip zwingt also den Rechtsinhaber sein Recht in der jeweiligen Rechtsordnung des Schutzlandes zu suchen („SchutzlandprinzipSchutzlandprinzip“). „Das Schutzlandprinzip trägt den Territorialitätsgedanken in sich“.3 Für das Gebiet der EU ist das Schutzlandprinzip nunmehr in Art. 8 Abs. 1 der Rom II-VerordnungRom II-Verordnung4 verankert, wonach auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates anzuwenden ist, für den der Schutz beansprucht wird.5 Der Inhaber eines Immaterialgüterrechts besitzt folglich kein einheitliches, weltweit gültiges Recht, sondern im Grundsatz6 – die entsprechende Erlangung von Schutz im Ausland unterstellt – nur ein „Bündel“ von nationalen Immaterialgüterrechten.7
III. StaatsverträgeStaatsvertrag zum Schutz des geistigen Eigentums
Angesichts der jeweiligen territorialen Begrenzung der nationalen SchutzgesetzSchutzgesetze