Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union. Klaus-Dieter Borchardt
Staaten Polen, Ungarn, Tschechische Republik und Slowakische Republik, die ehemalige jugoslawische Republik Slowenien sowie die zwei Mittelmeerinseln Zypern und Malta. Nur gut zwei Jahre später wurde mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum 1. Januar 2007 die Osterweiterung vorläufig abgeschlossen. Jüngstes Mitglied der EU wurde zum 1. Juli 2013 Kroatien, dessen Bürger sich am 22. Januar 2012 in einem Referendum mit 66 % für den Beitritt ausgesprochen haben (bei allerdings nur 43,6 % Beteiligung). Damit vergrößerte sich die Zahl der Mitgliedstaaten der EU von 15 auf 28, und die Zahl der Unionsbürger wuchs auf 512,6 Millionen.
Diese historische Erweiterung der EU bildet den Höhepunkt eines langen Prozesses, der die Wiedervereinigung der über ein halbes Jahrhundert durch den Eisernen Vorhang getrennten europäischen Völker ermöglicht hat. Hinter dieser Erweiterung der EU steht vor allem der Wille, Frieden, Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstand auf einem vereinten europäischen Kontinent herbeizuführen.
6. Weitere Beitrittsverhandlungen
a) Beitrittskriterien und Beitrittsverfahren
[40] Die EU steht auch weiteren Staaten zum Beitritt offen, sofern diese die vom Europäischen Rat 1993 in Kopenhagen festgelegten Beitrittskriterien erfüllen:
• Politische Kriterien: Stabilität der Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Garantie der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz der Minderheiten.
[S. 56]
• Wirtschaftliche Kriterien: Die Existenz einer funktionierenden Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der EU standhält.
• Rechtliche Kriterien: Die Fähigkeit zur Übernahme der mit der Mitgliedschaft in der EU verbundenen Pflichten, einschließlich des Einverständnisses mit den Zielen der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion.
[41] Das Verfahren des Beitritts hat drei Stufen, die von allen derzeitigen Mitgliedsländern der EU genehmigt werden müssen:
(1) Einem Land wird die Perspektive der Mitgliedschaft eröffnet, d.h. es erhält den offiziellen Kandidatenstatus, sobald es die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt.
(2) Ein Land erhält den offiziellen Status als Kandidatenland für die Mitgliedschaft, was jedoch noch nicht heißt, dass offizielle Verhandlungen eingeleitet werden.
(3) Mit dem Kandidatenland werden formelle Beitrittsverhandlungen aufgenommen, in denen die Modalitäten und Verfahren zur Übernahme der jeweils geltenden EU-Rechtsvorschriften vereinbart werden.
Wenn die Verhandlungen und begleitenden Reformen zur Zufriedenheit beider Seiten abgeschlossen sind, werden die Ergebnisse und die Bedingungen für den Beitritt in einem Beitrittsvertrag niedergelegt. Diesem Beitrittsvertrag muss zunächst das EP mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder zustimmen. Danach muss der Rat zustimmen, und zwar mit Einstimmigkeit. Die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags obliegt dann den Staats- und Regierungschefs der EU und des Beitrittslandes. Jeder Beitrittsvertrag muss danach von den Mitgliedstaaten der EU und dem Beitrittsland nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen „ratifiziert“ werden. Mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden ist das Beitrittsverfahren abgeschlossen und der Beitrittsvertrag tritt in Kraft. Das Beitrittsland wird dann zum Mitgliedstaat.
b) Kandidatenländer
[42] (1) Island ist durch seine Zugehörigkeit zum EWR seit 1994 sowie zum Schengen-Raum (2000) bereits eng mit der EU verbunden. Im Rahmen der Bekämpfung der Finanzkrise des Jahres 2008 mit dem Zusammenbruch des isländischen Bankensystems hat Island im Juli 2009 beim Rat den Antrag auf den Beitritt zur EU gestellt. Auf Empfehlung der Kommission vom 24. Februar 2010 hat der Europäische Rat am 17. Juni 2010 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island beschlossen. Nach drei Jahren intensiver Verhandlungen hat die isländische Regierung im Mai 2013 zunächst beschlossen, die Verhandlungen über einen Beitritt ruhen zu lassen; am 12. März 2015 hat Island dann seinen Beitrittsantrag formell zurück gezogen.
[43] (2) Die Republik von Nordmazedonien hat noch unter dem früheren Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM) am 22. März 2004 den Antrag auf EU-Mitgliedschaft eingereicht und am 16. Dezember 2005 den Status[S. 57] als Kandidatenland erhalten. Allerdings hat die Kommission erst im April 2018 dem Rat empfohlen, die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu beschliessen, nachdem beträchtliche Anstrengungen unternommen worden waren, die dringenden Reformen anzugehen. Nachdem mit dem Prespes-Abkommen der 30-jährige Streit zwischen Griechenland und Mazedonien mit der Umbenennung in „Republik Nordmazedonien“ endgültig beigelegt wurde37, dürfte der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nichts mehr im Wege stehen.
[44] (3) Montenegro hat seinen Beitragsantrag zur EU am 15. Dezember 2008 gestellt. Der Europäische Rat bestätigte am 17. Dezember 2010 den Status Montenegros als Kandidatenland. Beitrittsverhandlungen wurden aufgrund einer entsprechenden Empfehlung der Kommission am 29. Juni 2014 aufgenommen, aber noch nicht abgeschlossen.
[45] (4) Serbien hat seine EU-Mitgliedschaft am 22. Dezember 2009 beantragt. Aufgrund einer positiven Stellungnahme der Kommission hat der Europäische Rat den Kandidatenstatus Serbiens am 1. März 2012 bestätigt und die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen beschlossen. Verhandlungen wurden am 21. Januar 2014 aufgenommen und haben durchaus Fortschritte gebracht; allerdings hängt das Tempo der Gesamtverhandlungen stark von der Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo ab.
[46] (5) Albanien hat seinen Beitrittsantrag am 28. April 2009 eingereicht. Die Kommission hat zu diesem Antrag am 27. Mai 2010 eine Stellungnahme abgegeben, in der die wichtigsten Reformvorhaben für eine Annäherung Albaniens zur EU aufgelistet wurden. Diese Vorhaben wurden nach einem konkreten Aktionsplan umgesetzt, so dass Albanien am 27. Juni 2014 den Status als Kandidatenland erhalten konnte und die Kommission im April 2018 dem Rat empfohlen hat, die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu beschliessen.
[47] (6) Seit 2005 laufen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die ihren Beitrittsantrag am 14. April 1987 gestellt hat. Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei haben jedoch eine noch weiter zurückreichende Geschichte. Schon 1963 wurde ein Assoziationsabkommen zwischen der damaligen EWG und der Türkei geschlossen, in dem auf eine Beitrittsperspektive Bezug genommen wird. 1995 wurde eine Zollunion gegründet. Im Dezember 1999 hat der Europäischen Rat in Helsinki der Türkei offiziell den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt. Dies war Ausdruck der Überzeugung, dass dieses Land die Grundlagen für ein demokratisches System besitzt, auch wenn noch enormer Handlungsbedarf bei der Achtung der Menschenrechte und dem Schutz der Minderheiten besteht. Die Beitrittsverhandlungen beruhen auf drei Säulen: Die erste Säule betrifft die Zusammenarbeit zur Unterstützung des Reformprozesses in der Türkei, insbesondere im Hinblick auf eine fortlaufende Erfüllung der politischen Beitrittskriterien. Die Kommission kann im Falle schwerwiegender[S. 58] und fortgesetzter Verletzungen der freiheitlichen und demokratischen Grundsätze, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit eine Aussetzung der Verhandlungen empfehlen. Eine solche Aussetzung hat das EP in einer Entschließung vom 13. März 2019 wegen der schlechten Bilanz bei der Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit, der Freiheit der Medien und der Korruptionsbekämpfung sowie des Präsidialsystems gefordert (370 Ja-Stimmen, 109 Nein-Stimmen, 143 Enthaltungen). Nach einer solchen Empfehlung kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit die effektive Aussetzung der Verhandlungen beschließen. Bei der zweiten Säule geht es um die spezifische Herangehensweise in Bezug auf die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die Beitrittsverhandlungen finden im Rahmen einer Regierungskonferenz mit voller Beteiligung aller EU-Mitglieder statt. Für jedes Verhandlungskapitel legt der Rat die Referenzkriterien für