Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union. Klaus-Dieter Borchardt
Zusammenschlusses als derart hartnäckig, dass auf der Außenministerkonferenz am 17. April 1962 in Paris beschlossen wurde, die Verhandlungen über eine politische Union zunächst nicht fortzusetzen.
[19] In den Aufbaujahren der EWG fehlte es dann auch weitgehend an Initiativen, dem politischen Ziel der europäischen Einigung, „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen“, näherzukommen. Neue Impulse für die politische Einigung gingen erst wieder von verschiedenen Gipfelkonferenzen der Staats- bzw. Regierungschefs der EWG gegen Ende der 60er Jahre aus. Auf der Grundlage des im Dezember 1969 auf dem Haager Gipfel beschlossenen Auftrags, Fortschritte auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und politischen Einigung zu erreichen, wurde auf den Pariser Konferenzen von 1972 und 1974 als Instrument und neue Zielsetzung der europäischen Einigung die Schaffung einer Europäischen Union proklamiert24. Allerdings blieb es in der Folgezeit auch weitgehend bei derartigen Proklamationen, da nach wie vor zwischen den Mitgliedstaaten über die Verfassungsstruktur der Europäischen Union und die notwendigen Reformen des institutionellen Systems erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestanden, über die keine Einigung erzielt werden konnte.
[20] Gleichwohl brachten die 70er Jahre im Integrationsprozess wichtige Ergebnisse. So hat die Gemeinschaft neue politische Instrumente entwickelt, welche die Grundlage für eine Koordinierung nationaler Politiken erweiterten. Dies gilt zunächst für die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)25. Dabei handelt es sich um[S. 47] ein Instrument, das die Mitgliedstaaten der EWG im Jahre 1970 für eine freiwillige außenpolitische Abstimmung geschaffen haben und das in der Folgezeit stetig verbessert und ausgebaut worden ist26. Daneben ist die Errichtung des Europäischen Währungssystems (EWS) im März 197927 zu nennen, durch das die währungspolitische Zusammenarbeit in Europa in eine neue Dimension vorstieß.28
II. Die Reformdiskussion der 80er-Jahre
[21] Mit Beginn der 80er Jahre setzte eine sehr intensive Reformdiskussion ein, die unter den Stichworten „Europa der zweiten Generation“, „Relance Européenne“ oder „Europäische Union“ geführt wurde. Von den europapolitischen Initiativen und Reformvorschlägen, die von verschiedenen Seiten eingebracht worden sind, verdient vor allem der von Altiero Spinelli initiierte und vom Europäischen Parlament am 14. Februar 1984 mit großer Mehrheit verabschiedete „Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union“ besondere Beachtung29.
Das Europäische Parlament wagte mit diesem Vertragsentwurf einen qualitativen Sprung zur Europäischen Union. Der Entwurf sah die Übertragung neuer Zuständigkeiten auf die Union vor, die in Zentralbereiche staatlicher Politik vordrängten. Zu ihnen gehörten u.a. die Wirtschafts- und Währungspolitik, die Gesellschaftspolitik mit Sozial- und Gesundheitspolitik sowie im Bereich der Außenpolitik die Fragen nach Sicherheit, Frieden und Abrüstung. Die Rechtsetzung in der Union sollte durch eine Art Zweikammersystem erfolgen, das sehr stark an die Verhältnisse in einem Bundesstaat erinnerte. Ziel dieses Systems war es, ein Gleichgewicht zwischen Europäischem Parlament und Rat der Union, der aus Mitgliedern der Regierungen bestehen sollte, herzustellen.
[22] Auch wenn dieser Vertragsentwurf keine Aussicht hatte, von den nationalen Parlamenten ratifiziert und damit geltendes Recht zu werden, stellte er für die Mitgliedstaaten eine große Herausforderung dar. Diese Herausforderung haben die Regierungen der Mitgliedstaaten angenommen. Während sie sich noch im Juni 1983 auf dem Europäischen Rat in Stuttgart lediglich darauf verständigen konnten, „der EG in einer umfassenden Aktion Impulse zur Neubelebung zu geben“, kamen die Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat Ende Juni 1985 in Mailand überein, mit der Schaffung eines Wirtschaftsraumes ohne Grenzen, der Stärkung des Systems der EPZ unter Einschluss von Fragen der Sicherheit und Verteidigung so-[S. 48] wie der Verbesserung der Entscheidungsstrukturen der EG durch eine Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments den noch weiten Weg zur Europäischen Union einzuleiten. Zu diesem Zweck beschloss der Europäische Rat die Einberufung einer Regierungskonferenz, die bis zum nächsten Europäischen Rat am 2. Dezember 1985 in Luxemburg zum einen über einen Vertrag über eine Außen- und Sicherheitspolitik und zum anderen über Änderungen des E(W)G-Vertrags verhandeln sollte.
Die Verhandlungen der Regierungskonferenz offenbarten allerdings in aller Deutlichkeit, dass keines der Mitgliedsländer zum damaligen Zeitpunkt bereit und in der Lage war, unter Preisgabe wesentlicher Teile seiner Souveränität den großen Sprung zur Europäischen Union zu wagen, den das Europäische Parlament mit seinem Vertragsentwurf vorgezeichnet hatte. Es konnte deshalb auch niemanden überraschen, dass der Europäische Rat auf seiner Konferenz am 2. Dezember 1985 in Luxemburg den Beginn einer Europäischen Union noch nicht schaffte.
III. Die Einheitliche Europäische Akte
[23] Die Beschlüsse von Luxemburg lieferten gleichwohl eine tragfähige Grundlage für eine verstärkte europäische Zusammenarbeit in den Bereichen der Herstellung eines europäischen Binnenmarktes30, der Umwelt-, Forschungs- und Technologiepolitik sowie der Außenpolitik. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die konkret ins Auge gefassten Fortschritte nicht – wie nach anderen Gipfelkonferenzen – in einem Schlusskommuniqué niedergelegt wurden, sondern in Gestalt der „Einheitlichen Europäischen Akte“ (EEA)31 ein rechtliches Gewand erhalten haben.
Die Präambel dieser Akte stellt noch einmal das allgemeine Ziel, die Schaffung einer „Europäischen Union“, heraus, zu dessen Verwirklichung die EG und die EPZ beitragen sollten. Im Anschluss daran wurden im Einzelnen die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Umsetzung der auf der Gipfelkonferenz beschlossenen Fortschritte im Bereich der Institutionen der EG, der Herstellung eines europäischen Binnenmarktes, der Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Währungspolitik, der Sozialpolitik, der Forschung und technologischen Entwicklung und des Umweltschutzes geschaffen. Der Form nach handelte es sich dabei um Änderungen und Ergänzungen der bereits bestehenden Gründungsverträge der EG. Der dritte Teil der EEA war der bis dahin nur informell betriebenen außenpolitischen Zusammenarbeit innerhalb der EPZ gewidmet, die mit der EEA ein rechtliches Dach erhalten hatte32.
[S. 49]
Mit ihrem In-Kraft-Treten am 1. Juli 1987 wurde die EEA Bestandteil des rechtlichen Fundaments, auf dem die EG beruhte und auf dem eine Europäische Union errichtet werden sollte.
IV. Der Vertrag über die Europäische Union
1. Der Vertrag von Maastricht
[24] Die Gründung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht eröffnete eine neue Etappe auf dem Weg zur politischen Einigung Europas. Dieser Vertrag, der bereits am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet, aber erst wegen einiger Hindernisse im Ratifizierungsverfahren (Zustimmung der dänischen Bevölkerung erst in einem zweiten Referendum; Verfassungsklage in Deutschland gegen die parlamentarische Zustimmung33) am 1. November 1993 in Kraft treten konnte34, bezeichnet sich selbst als „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“. Er beinhaltet neben einer Reihe von Änderungen des EWG-Vertrages und des EAG-Vertrages den Gründungsakt der Europäischen Union, ohne diese allerdings selbst zu vollenden. Es ist ein erster Teilschritt auf dem Weg hin zu einer endgültigen europäischen Verfassungsordnung. Die so gegründete Europäische Union ersetzte auch nicht die Europäischen Gemeinschaften, sondern stellte diese mit den neuen „Politiken und Formen der Zusammenarbeit“ (ex-Art. 1 UAbs. 3 EUV) unter ein gemeinsames Dach. Dies führte bildlich gesprochen zu drei Säulen, auf denen die Europäische Union beruhte: Die erste Säule bildeten die zwei noch verbliebenen Europäischen Gemeinschaften (EG und EAG), die weiter vertieft und um eine Wirtschafts- und Währungsunion erweitert wurden. Die zweite Säule bestand in der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der EU im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die darauf