Rechtsgeschichte. Stephan Meder

Rechtsgeschichte - Stephan Meder


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können. Denn die Maßnahmen des Augustus führten zu einer erheblichen Verstärkung des Einflusses der Juristen auf die Rechtspflege. Die wichtigste Verbindung zwischen Kaisertum und Jurisprudenz ist dadurch entstanden, dass Augustus herausragenden Juristen das ius respondendi verliehen hat. Dabei handelt es sich um das Privileg, juristische Gutachten ex autoritate principis, also mit der Autorität des Augustus, zu erstellen. Das Privileg erhebt das Gutachten eines mit ius respondendi ausgestatteten Juristen zur Quelle autoritativen Rechts. Der Richter wird davon kaum jemals abgewichen sein, es sei denn, [<<82] ein Gegengutachten hat ihn zu einer eigenen Entscheidung gezwungen. Nach den Ausführungen des Gaius (I, 7) begründet das ius respondendi eine Kompetenz zur Rechtsschöpfung (iura condere): Den Ansichten der Juristen komme die Bedeutung einer selbständigen Rechtsquelle und damit Gesetzeskraft zu, wenn sie übereinstimmten. Noch heute bildet die „herrschende Meinung“ eine wichtige Grundlage zur Legitimation richterlicher Entscheidungen. Die Geschichte des Rechts lehrt, dass dieses Phänomen seinen Ursprung im Bereich der Rechtsquellenlehre hat. Neben dem ius respondendi gibt es noch weitere Faktoren, die auf eine enge Verbindung von Kaisertum und Jurisprudenz schließen lassen. So kommt es in der auf Augustus folgenden Zeit immer häufiger vor, dass Juristen als Beamte des Prinzeps mit wichtigen Verwaltungsaufgaben des Imperiums betraut werden. Erheblichen Einfluss auf die Rechtspflege und die Rechtspolitik des Kaisers gewinnen einzelne Juristen zudem dadurch, dass sie als Mitglieder des kaiserlichen Rates (consilium principis) berufen werden (s. u.).

      Wie die Juristen der republikanischen Epoche sind auch die Juristen der Kaiserzeit Praktiker der Rechtsanwendung. So überrascht es nicht, dass nicht alle Juristen Fachliteratur veröffentlicht haben. Doch wird der „literarische Ausweis“ (Liebs) im Laufe der Zeit immer wichtiger. Wie im Grunde noch heute sind in der Literatur vier Gattungen zu unterscheiden: Kommentar, Lehrbuch, Monographie und Fallsammlungen oder kasuistische Literatur (HLL 4, §§ 410 ff.). In der Kaiserzeit gewinnt die Erstellung von Gutachten weiter an Bedeutung, die nunmehr in großen Sammlungen mit überwiegend kasuistischem Charakter ediert werden (2. Kapitel 5.2, S. 70). Daneben steht die Kommentarliteratur, insbesondere der Großkommentar. Den Basistext bilden nun nicht mehr die Zwölf Tafeln, sondern grundrissartige Darstellungen oder Lehrbücher früherer Juristen. Kommentiert werden darüber hinaus Edikte der Jurisdiktionsmagistrate, vornehmlich der Stadtprätoren. Das Edikt des Fremdenprätors ist, soviel wir wissen, nur ein einziges Mal, und zwar von Labeo (2. Kapitel 5.3, S. 71), kommentiert worden. Bedeutung haben nach wie vor die Monographien, in denen einzelne Rechtsgebiete oder Rechtsinstitute umfassend erörtert werden. Im 2. Jahrhundert n. Chr. tritt neben die stark praxisorientierte Jurisprudenz eine vorwiegend auf [<<83] Unterricht und Schule ausgerichtete Nebenströmung. Diesem Seitenzweig der Klassik entspringt eine eigene Literaturgattung: die „Unterweisungen“ (institutiones). Dabei handelt es sich um Anfängerlehrbücher, in denen auch theoretische Fragen angesprochen werden.

      Auch das Werk des Gaius (S. 87) gehört zu dieser Literaturgattung. Gaius gilt als der beste Überlieferer und Vollender des ‚äußeren Systems‘ des Privatrechts, dessen Gliederung er von älteren Juristen vermutlich übernommen hat. Seine Institutionen gehen von der obersten Einteilung in personae (Rechtssubjekte), res (Rechtsobjekte) und actiones (‚Handlungen‘, Prozess) aus und beziehen in die erste Kategorie das Personen- und Familienrecht, in die zweite das Sachen-, Erb- und Obligationenrecht und in die dritte die Rechtsgeschäfte ein. Von dieser Einteilung führt eine direkte Linie zu den 5-Bücher-Systemen vieler Pandektenlehrbücher und nicht zuletzt auch des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (16. Kapitel 3, S. 347.) und anderer neuzeitlicher Kodifikationen (13. Kapitel 3, S. 287.). In einer umgewandelten Form liegt das Schema personae-res-actiones (Personen-Sachen-‚Handlungen‘) dem Allgemeinen Teil des BGB zugrunde. Bei Gaius findet sich zudem eine erste, freilich noch wenig ausgearbeitete Gliederung des Schuldrechts in Vertrag (obligationes ex contractu) und Delikt (obligationes ex delicto). Wie viele andere kontinentaleuropäische Kodifikationen beruht auch das BGB (2. Buch) auf dieser Einteilung. In der Spätklassik, vor allem bei Ulpian und Paulus, fließt die schulmäßige Nebenströmung mit der auf Praxis bezogenen Hauptströmung zusammen. Die römische Jurisprudenz hat ihren Ruhm vornehmlich der praxisorientierten Hauptrichtung zu verdanken. Ihre Stärken liegen in der kunstgerechten Bewältigung schwieriger Einzelfälle. Die Anteile von schulmäßiger Ordnung und theoretischer Reflexion dürfen jedoch nicht unterschätzt werden.

      Das Zivilrecht der Zeit des frühen Prinzipats ist das klassische römische Recht. Es kann sich weitgehend ungehindert von obrigkeitlichem Zwang entfalten und jene Spitzenleistungen erbringen, die seine universale und überzeitliche Geltung ausmachen. Das römische Recht der klassischen Epoche ist das Recht einer entwickelten Schriftkultur. Davon zeugt nicht nur die dissonante Vielstimmigkeit, mit der die Juristen zu brisanten Rechtsfragen Stellung nehmen (S. 111), sondern auch die große Anzahl [<<84] rivalisierender und aufeinander reagierender Literaturgattungen. Dass sich später ganz unterschiedliche Staaten und Gesellschaften am römischen Recht orientieren können, liegt auch daran, dass die römischen Juristen rational bestimmte, technisch ausgefeilte und von den formellen Beschränkungen struktureller Mündlichkeit weitgehend entbundene Rechtsfiguren entwickelt haben. Hinzu kommt, dass es ihnen gelungen ist, rechtliche Begriffe zu formulieren, die zwischen Abstraktion und Konkretion die Mitte halten. Die Eigenart dieser Begriffe besteht darin, dass sie – wie „Dogmatik“ – jenseits von Gesetzgebung Verbindlichkeit entfalten können. Es handelt sich um Begriffe, die den Grundsätzen der Freiheit (libertas) entsprungen sind und die noch heute als Muster einer freiheitlichen Entwicklung dienen. Die Rechte, die wir gegenwärtig als Ausdruck bürgerlicher, persönlicher oder individueller Freiheit verstehen – etwa Vertragsfreiheit, Minderjährigenschutz, Freiheit des Eigentums, Testierfreiheit, Gleichberechtigung der Frau im Vertrags- und Erbrecht, Gebot von Treu und Glauben, Billigkeit (aequitas), Verbot arglistigen Verhaltens – sind schon den Römern selbstverständlich gewesen.

      Unter den veränderten Bedingungen des Prinzipats erscheint der Begriff des Juristenrechts in einem neuen Licht. Gewiss darf auch bereits die interpretatio der Pontifices als Juristenrecht bezeichnet werden und ebenso die in der prätorischen Praxis geschaffenen Neubildungen, an denen Fachjuristen ja bereits Anteil haben. Genau genommen sind aber nur diejenigen Rechtsnormen Juristenrecht, die von der Jurisprudenz nicht durch Vermittlung der Jurisdiktionsmagistrate, sondern unmittelbar in ihrer Gutachtertätigkeit und ihrer literarischen Produktion geschaffen werden. Die Anerkennung der Autorität der Rechtsgelehrten (auctoritas prudentium) als eigenständige Rechtsquelle führt zu der Frage nach dem Verhältnis des Juristenrechts zum ius civile und zum ius honorarium (2. Kapitel 3.2, S. 64). Man könnte hier das Bestehen eines Konflikt- oder Konkurrenzverhältnisses vermuten. Dazu ist es aber zu keiner Zeit gekommen, weil die Juristen seit jeher ius civile und ius honorarium gleichermaßen bearbeitet haben.

      Während des Prinzipats gewinnen die Kaiser zunehmend Einfluss auf die Gerichtsbarkeit. Dies veranlasst Kaiser Hadrian um 130 n. Chr., das Amtsrecht der Prätoren (und der kurulischen Ädilen) vom Senat als [<<85] Senatsbeschluss abschließend festlegen zu lassen (edictum perpetuum). In der Folgezeit kommt es zu einer Erweiterung des Spektrums kaiserlicher Rechtsetzungsakte (3. Kapitel 4, S. 88.). An Bedeutung gewinnen insbesondere die Konstitutionen (Edikte, Dekrete), die formal zunächst als Bestandteil des ius honorarium und später des ius civile angesehen werden (vgl. Gaius I, 5). Bei Abfassung der Konstitutionen (constitutiones) lassen sich die Kaiser von ihrem mit Juristen besetzten consilium beraten (s. o.). Die kaiserliche Rechtsprechung und Rechtsetzung bleibt also weiterhin mit der römischen Jurisprudenz eng verknüpft. An den strukturellen Unterschieden von ius honorarium und ius civile hat man über die Zeit des Prinzipats hinaus festgehalten. Erst im 5. Jahrhundert kommt es zu einer Verschmelzung der beiden Stoffgebiete. Als einheitliches Juristenrecht (ius) treten sie den Kaisergesetzen (leges) nunmehr als Antipode gegenüber.

      Von der gesamten klassischen Jurisprudenz haben wir allein durch die Institutionen des Gaius


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