Rechtsgeschichte. Stephan Meder

Rechtsgeschichte - Stephan Meder


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bestimmte Privatrechtsakte, obwohl es sich hier um nichtstaatliches, zumeist mündlich erzeugtes Recht handelt, als ius scriptum qualifiziert. Der Grund liegt in der besonderen Bedeutung, die vor allem das ältere Römische Recht der Form beigemessen hat: Wie Gesetze bedurften auch Rechtsgeschäfte der Einhaltung spezieller formeller Erfordernisse, um wirksam zu sein (S. 61, 132). Hinzu kommt das abweichende „Staatsverständnis“ der Römer, wie es in Ciceros viel zitiertem Wortspiel von res publica und res populi zum Ausdruck kommt (De re publica I §§ 25, 39). Die weitgehende Identifizierung des „Staates“ mit dem „Volk“ hat auch in der „Rechtsquellenlehre“ einen Niederschlag gefunden: Wie ein Vertrag auf dem Konsens der Parteien beruht, ist nach römischer Vorstellung das Gesetz auf den Konsens zwischen Magistrat und Bürgerschaft gegründet (D. 1.3.1). Das Verhältnis von „Staat“ und Bürger erscheint also, jedenfalls in Zeiten der Republik, idealtypisch eher als Gleichordnungsverhältnis denn als Über- und Unterordnungsverhältnis. Dagegen haben die Römer das Juristenrecht, bei dem es sich ebenfalls um nichtstaatliches Recht handelt, als ius non scriptum eingeordnet, obwohl es – etwa in Handbüchern, Kommentaren oder Lehrbüchern – häufig schriftlich niedergelegt wird (D. 1.2.2.12). Dies hat in der Fachliteratur immer wieder Verwirrung gestiftet, erscheint aber folgerichtig, weil das Juristenrecht im Unterschied zu Vertrag und Gesetz nicht auf einem formalisierten Rechtsakt beruht. [<<94]

      Im Prinzipat gilt die Annahme einer weitgehenden Gleichordnung von hoheitlicher Gewalt und Bürger freilich nur mit Einschränkungen. Bisweilen wächst die Gesetzgebung über ihre eigentlichen Funktionen, die Sicherung, Klärung oder Erneuerung einer bereits bestehenden Rechtsordnung hinaus und wird zu einem Instrument der Steuerung, das menschliche Handlungen herrscherlichen Befehlen unterwerfen soll. Ein prominentes Beispiel für das sich wandelnde Verhältnis von Staat und Recht – für eine Normsetzung ‚von oben‘ – bildet die Ehegesetzgebung des Augustus.

      Die universale Bedeutung des römischen Rechts hängt auch damit zusammen, dass es ius und mos, Recht und Sitte, begrifflich auseinanderzuhalten wusste. Dies gilt insbesondere für das Ehe- und Familienrecht. Die Römer regelten nur einzelne Bereiche, auf eine umfassendere Formulierung der normativen Grundlagen des Eherechts haben sie verzichtet. Im Hintergrund steht der noch heute gültige Gedanke, dass das Recht in den personalen Kern zwischenmenschlicher Beziehungen nicht intervenieren dürfe. Nach römischer Vorstellung unterstehen gerade die wichtigsten Elemente der Familienbeziehung, etwa eheliche Treue oder väterliche Gewalt, allein dem Schutz der Sitte und nicht des Rechts. Die Augusteischen Ehegesetze, die einen Zwang zur Ehe schaffen, nehmen daher eine Sonderstellung innerhalb des römischen Familienrechts ein.

      Augustus verfolgt mit seiner Ehegesetzgebung vor allem bevölkerungs- und sozialpolitische Ziele. Bekämpft werden sollen Verfallserscheinungen wie: ungebundenes Leben, insbesondere der oberen Schichten, Scheu vor der Ehe und überhandnehmende Kinderlosigkeit. Die beiden Hauptgesetze sind die lex Iulia de maritandis ordinibus, welche Augustus selbst 18 v. Chr. einbrachte, und die lex Papia Poppaea aus dem Jahre 9 n. Chr. Beide werden schon in klassischer Zeit als Einheit (lex Iulia et Papia) aufgefasst. Nach der lex Iulia soll jeder Römer im ehefähigen Alter verheiratet sein, die Männer vom 25. bis zum 60., die Frauen vom 20. bis 50. Lebensjahr. Die lex Papia Poppaea fordert [<<95] zudem das Vorhandensein ehelicher Kinder, bei Freigeborenen mindestens drei, bei Freigelassenen mindestens vier an der Zahl. Wer verheiratet gewesen, aber durch den Tod des anderen Gatten oder durch Scheidung ehelos geworden ist, muss wieder heiraten. Nur den Frauen werden hierbei „Schonfristen“ von sechs Monaten bis zu zwei Jahren gewährt. Nun kann man freilich schwerlich jemanden direkt zur Ehe zwingen, noch weniger zur Zeugung von Kindern. Daher knüpfen sich an die Nichtbefolgung der bestehenden Vorschriften gesellschaftliche, personen- und insbesondere erbrechtliche Nachteile, welche bis zur Erbunfähigkeit reichen, während umgekehrt die Eltern von drei bzw. vier Kindern in verschiedener Hinsicht, insbesondere bei der Bewerbung um Ämter bevorzugt werden. Ein Dispens von den Ehegeboten war allerdings möglich, wovon offenbar häufiger Gebrauch gemacht wurde. Außerdem konnte die Vorrangstellung einer kinderreichen Person auch gnadenweise verliehen werden.

      Zu den Ehegeboten treten Eheverbote, die den Zweck verfolgen, den Stand der römischen Bürger und insbesondere die Nobilität von „Missheiraten“ abzuhalten, wobei für Mitglieder senatorischer Familien höhere Anforderungen gestellt werden. So ist es allen freigeborenen Bürgern untersagt, gewisse bescholtene Frauen zu heiraten, namentlich Dirnen, Kupplerinnen und Frauen, die beim Ehebruch ertappt worden sind. Senatoren und ihre Abkömmlinge (bis zum Urenkel) dürfen keine Ehen mit Freigelassenen sowie Schauspielerinnen oder Töchtern von Schauspielern eingehen. Entsprechendes gilt für die weiblichen Nachkommen eines Senators. Der Verstoß gegen diese Eheverbote scheint keine Nichtigkeit der Ehe nach sich gezogen zu haben. Offenbar ist die verbotswidrige Ehe vielmehr ein matrimonium iustum mit dessen normalen Wirkungen, also zivilrechtlich gültig. Nur befreit sie die Eheleute nicht von den Sanktionen, welche die Augusteischen Ehegesetze an die Ehe- und Kinderlosigkeit knüpfen; es ist kein matrimonium secundum legem Iuliam et legem Papiam Poppaeam contractum mit der Folge, dass die Partner die Nachteile der Unverheirateten tragen mussten. Erst unter Mark Aurel und Commodus wurde die Nichtigkeit solcher Ehen – jedenfalls der zwischen Personen senatorischen Standes und Freigelassenen – im Wege des Senatsbeschlusses verfügt. Die Augusteische Ehegesetzgebung, die begreiflicherweise [<<96] wenig beliebt war und die angestrebten Ziele wohl auch nicht erreicht hat, wurde im 4. und 5. Jahrhundert schrittweise aufgehoben.

      Sich selbst hat Augustus von seinen Gesetzen gegen Ehe- und Kinderlosigkeit befreien lassen: Princeps legibus solutus est (D. 1. 3. 31). Die Nachfolger des Augustus haben den Satz, dass der Kaiser nicht an die Gesetze gebunden ist, verallgemeinert. Im Mittelalter greift Kaiser Friedrich II. darauf zurück (1245), ihm folgen Rudolf von Habsburg (1282) und der König von Frankreich. Eine Bindung auch des Herrschers an die Gesetze wird erst im 19. Jahrhundert ausdrücklich geregelt. Noch heute, etwa im Zusammenhang mit der juristischen Bewältigung von Regierungskriminalität, spielt der Satz Princeps legibus solutus eine wichtige Rolle (s. Naucke in den Literaturhinweisen).

      Literatur

      Allgemeines: FIRA (Bd. II: Autoren, 2. Auflage 1968; Bd. III: Rechtsgeschäfte, 2. Auflage 1969); HHL 4 (1997), §§ 410 ff. (Liebs); HHL 5 (1989), §§ 502 ff. (Liebs). Einen Einblick in die kaum übersehbare Literatur zum Prinzipat gewähren die beiden Sammelbände ‚Augustus‘ (hg.v.W. Schmitthenner, 1969) und ‚Prinzipat und Freiheit‘ (hg. v. R. Klein, 1969) sowie ANRW II 13 – 15; s. ferner: A. v. Premerstein, Vom Wesen und Werden des Prinzipats (1937); J. M. Kelly, Princeps iudex (1957); H. Volkmann, Zur Rechtsprechung im Prinzipat des Augustus, 2. Auflage (1969); H. Bengtson, Kaiser Augustus (1981); D. Kienast, Augustus – Princeps und Monarch (1982, 3. Auflage 1999); A. Mette-Dittmann, Die Ehegesetze des Augustus (1991); J. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreichs (Bd. 1, 4. Auflage 1995; Bd. 2, 3. Auflage 1994); P. Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, 5. Auflage (2008); A. Heuss, Römische Geschichte, 10. Auflage 2007 (hg.v.J. Bleicken / W. Dahlheim / H.-J. Gehrke), 272; W. Dahlheim, Augustus (2010).

      Die klassische römische Rechtswissenschaft: W. Kunkel, Das Wesen des ius respondendi, SZ (RA) 66 (1948), 443; F. Wieacker, Der römische Jurist, in: Vom römischen Recht, 2. Auflage (1961), 128 und dort ders., Über das Klassische in der römischen Jurisprudenz, 161; F. Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961); M. Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung (1962); W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. Auflage 1967 (ND 2001); W. Waldstein, Zu Ulpians Definition der Gerechtigkeit, in: FS W. Flume (1978), Bd. I, 213; R. Knütel, Von schwimmenden Inseln, wandernden Bäumen, flüchtenden Tieren und verborgenen [<<97] Schätzen: Zu den Grundlagen einzelner Tatbestände originären Eigentumserwerbs, in: RuP, 549; N. Benke, In sola prudentium interpretatione. Zur Methodik und Methodologie römischer Juristen, in: B. Feldner / N. Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung. Prolegomena zu einer Theorie des Falls (2000), 1; O. Behrends, Das Geheimnis des klassischen römischen Rechts, in: B. J. Choe (Hg.), Law, Peace and Justice (2007), 3; ders., Die geistige Mitte des römischen Rechts, in: SZ (RA) 125 (2008), 25; C. Baldus, „Historische Auslegung“ in Rom? Der Umgang römischer Juristen mit dem Normtext als Methodenfrage, in: Seminarios Complutenses


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