Klausurenkurs im Strafprozessrecht. Marco Mansdörfer
Fall 2 Bindung des Staatsanwalts an höchstrichterliche Rechtsprechung im Ermittlungsverfahren; Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt › Lösungsvorschlag
Lösungsvorschlag
I. Strafbarkeit aus § 339 StGB
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S könnte sich wegen Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB strafbar gemacht haben, indem er bei der Beurteilung der Anklagereife nicht der herrschenden Rechtsprechung folgte und, anstatt die Sache anzuklagen, eine Einstellung mangels Tatverdachts verfügte.
1. Tatbestand
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S müsste tatbestandlich gehandelt haben und mithin zunächst den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung verwirklicht haben.
a) Objektiver Tatbestand
aa) Tauglicher Täter
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S müsste tauglicher Täter der Rechtsbeugung gewesen sein. In Betracht kommen Richter, andere Amtsträger oder Schiedsrichter. Der Staatsanwalt ist Amtsträger i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB. Mithin ist S tauglicher Täter.
bb) Tatsituation: bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache
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S müsste in seiner amtlichen Eigenschaft damit betraut gewesen sein, eine Rechtssache zu entscheiden oder zu leiten. Eine Rechtssache ist jede Angelegenheit mit Rechtsbezug, bei der mehrere Beteiligte mit – jedenfalls möglicherweise – widerstreitenden rechtlichen Interessen einander gegenüberstehen und über die in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren nach Rechtsgrundsätzen zu verfahren und zu entscheiden ist.[1] Für eine Leitung oder Entscheidung der Rechtssache kommt es auf die Stellung des Amtsträgers im konkreten Verfahren an. Sie erfordert eine beherrschende Stellung des Täters in dem jeweiligen Verfahren, dessen Neutralität sowie einen gewissen Grad sachlicher Unabhängigkeit in seiner Person.[2] Die entfaltete Tätigkeit darf nicht als bloßer Rechtsvollzug erscheinen.[3] Die Betrauung des Staatsanwalts mit einer Rechtssache und mithin dessen rechtliche Erfassung durch den Tatbestand der Rechtsbeugung sind umstritten.
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(1) | E.A. nach kann einem Staatsanwalt bereits keine Leitungs- oder Entscheidungsfunktion in einer Rechtssache zukommen. Er erscheine vielmehr als Ankläger und als Anwalt des Staates. Er ist daher selbst Partei des Strafverfahrens.[4] Insbesondere eine bei der Entscheidung unabhängige Position, die der des Richters nach Art. 97 GG gleichkomme, scheide schon wegen der Weisungsgebundenheit gemäß § 146 GVG aus. |
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(2) | Nach der h.M. und Rspr. kommt auch ein Staatsanwalt grundsätzlich als Täter der Rechtsbeugung im Rahmen des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens bei allen verfahrensabschließenden Entscheidungen Betracht, wie etwa bei der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO.[5] Der einzelne Staatsanwalt habe hierbei die Entscheidungskompetenz über eine Rechtssache inne, da die Staatsanwaltschaft in diesem strafprozessualen Stadium als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ über weitreichende Entscheidungskompetenzen hinsichtlich des weiteren Verfahrensfortgangs verfüge. |
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(3) |
Stellungnahme: Der h.M. ist zuzustimmen. Das staatsanwaltschaftlich geführte Ermittlungsverfahren kommt in jedem Fall als Rechtssache in Betracht, da es als Teil des Strafverfahrens auf die rechtsstaatliche Durchsetzung des öffentlichen Strafanspruchs gerichtet ist. Vor allem den verfahrensabschließenden Entscheidungen kommt die Qualität der Entscheidung über eine Rechtssache zu (vgl. die §§ 153, 153a, 170 StPO).[6] Der Staatsanwalt ist bei der Leitung des Ermittlungsverfahrens und seinen Entscheidungen zur Neutralität verpflichtet (vgl. etwa § 160 Abs. 2 StPO).[7] Zwar |