Klausurenkurs im Strafprozessrecht. Marco Mansdörfer
Ein Beweisverwertungsverbot liegt nur vor, wenn die Aussage auf der Anwendung des verbotenen Vernehmungsverhaltens beruht.[29] Dabei reicht es aus, dass die Ursächlichkeit der Vernehmungsmethode für die Aussage nicht auszuschließen ist.[30] Hätte A sich nicht in Untersuchungshaft befunden bzw. hätte N den A nicht über die wahren Umstände seines Anliegens getäuscht, hätte A sich ihm gegenüber nicht zum Tatgeschehen geäußert. Die unerlaubten „Vernehmungsmethoden“ waren mithin kausal für die Äußerungen des A.
4. Rechtsfolge
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Die Angaben des A zum Tatgeschehen wurden entgegen §§ 136a, 163a Abs. 3 und 4 StPO (in analoger Anwendung) erlangt. Die Aussagen des N zum Inhalt des Gesprächs zwischen ihm und A dürfen daher gem. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO nicht verwertet werden.
Abwandlung
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Das Gericht darf die Aussage des D verwerten, wenn kein Beweisverwertungsverbot vorliegt. Dass der Aussage des D unmittelbar ein Verwertungsverbot zu Grunde liegt, ist nicht ersichtlich. Fraglich ist jedoch, wie sich das vorherige Geschehen auswirkt. D konnte als Zeuge nur ermittelt werden, weil A entsprechende Informationen durch N entlockt wurden. Diese dürfen jedoch eigentlich nicht verwertet werden (s.o.). Zu klären ist also, ob von dem im Ausgangsfall erörterten Verwertungsverbot eine „Fernwirkung“ ausgeht, die die Verwertung mittelbar darauf beruhender Beweise – hier der Aussage des D – verbietet.[31] Die Frage ist umstritten:
1. Rechtsprechung: keine Fernwirkung
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Nach Ansicht des BGH ist eine pauschale Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten abzulehnen.[32] Es drohe ein Lahmlegen des gesamten Strafverfahrens, sollte ein Verfahrensfehler ohne weiteres dazu führen, dass auch alle in der Folge erlangten Erkenntnisse nicht verwertet werden dürfen.[33] Die Aussage eines Zeugen dürfe auch dann verwendet werden, wenn die Strafverfolgungsbehörden ihn nach Angaben des Beschuldigten ermittelt haben, die auf unzulässige Weise zustande gekommen seien.[34] Demnach dürfte das Gericht die Aussage des D verwerten.
2. Andere Ansicht: „fruit of the poisonous tree“-doctrine
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Nach anderer Ansicht soll auch die Verwertung mittelbar erlangter Beweismittel unzulässig sein.[35] Das wird damit begründet, dass andernfalls eine Aushöhlung des Beschuldigtenschutzes drohe.[36] Erlaube man die Verwertung mittelbar erlangter Beweismittel, motiviere dies die Ermittlungsbehörden zu Verstößen gegen verbotene Ermittlungsmaßnahmen, wenn zumindest die Folgeerkenntnisse verwertbar seien.[37] Nach dieser Auffassung dürfte die Aussage des D nicht verwertet werden.
3. Weitere Ansicht: Abwägung im Einzelfall
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Nach einer dritten Ansicht existiert keine allgemeingültige Regel für die Behandlung der Fernwirkung.[38] Vielmehr müsse eine Abwägung im Einzelfall erfolgen.[39] Zu berücksichtigen sind hierbei einerseits die Schwere des Verstoßes und andererseits die Bedeutung des Tatvorwurfes.[40] Vorliegend steht der Verdacht der Beteiligung an einem Raub, mithin einem Verbrechen (§§ 12 Abs. 1, 249 Abs. 1 StGB) im Raum. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nicht in den absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des A eingegriffen wurde.[41] Vielmehr wurde über Umwege eine dritte Person ausfindig gemacht, die ihrerseits freiwillig und eigenverantwortlich gegen A aussagte. Das spricht im Gesamtbild dafür, dass das staatliche Aufklärungsinteresse hier Vorrang hat. Demnach ist ein Beweisverwertungsverbot nach Abwägung zu verneinen.
4. Stellungnahme
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Der entscheidende Punkt ist, welchen Stellenwert man dem Verfahrensrecht einräumt und inwieweit Verfahrensverstöße im Verfahren selbst sanktioniert werden sollen. Zwar ist es nicht die primäre Aufgabe der Beweisverwertungsverbote, Strafverfolgungsbehörden zu disziplinieren.[42] Pflichtwidriges Verhalten ist vielmehr disziplinarisch oder strafrechtlich zu ahnden.[43] Geboten ist allerdings nur eine Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen der Gesetze.[44] Der Verfahrensverstoß desavouiert das Verfahren zumindest in Teilen, sodass angemessene Reaktionen im Verfahren durchaus angebracht erscheinen. Ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen könnte etwa in Strafzumessungs- oder Vollstreckungslösungen (ähnlich der Reaktion auf ein überlanges Verfahren) liegen.
Anmerkungen
Beulke/Swoboda Rn. 701; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt Einl. Rn. 55.
Überblick zu den Beweisverwertungsverboten bei Hombrecher, JA 2016, 457.
G/J/T/Z/Ahlbrecht § 136 StPO Rn. 2.
BGHSt 42, 139 (145); G/J/T/Z/Ahlbrecht § 136 StPO Rn. 10; Krey/Heinrich Rn. 1162; Beulke/Swoboda Rn. 176.
Seebode, JR 1988, 426 (428); weitere Nachweise bei BGHSt 42, 139 (146).
BGHSt 42, 139 (145 f.).
BGHSt 42, 139 (146).
BGHSt 42, 139 (146).
BGHSt 42, 139 (146).
Grundlegend zur Analogiebildung Mann Rn. 273.
Reichert-Hammer, JuS 1989, 446 (447).
BGHSt 34, 362 (363).
BGHSt 34, 362 (363 f.).
BGHSt 34, 362 (364).
G/J/T/Z/Ahlbrecht § 136a StPO Rn. 39.
Beulke/Swoboda Rn. 732; identische Argumentation für Umgehung der Garantien der EMRK: EGMR, StV 2004, 1 (1).