Klausurenkurs im Strafprozessrecht. Marco Mansdörfer
ist also, ob das Gespräch zwischen A und N in der Zelle eine Vernehmung darstellte.
a) Formeller (enger) Vernehmungsbegriff
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Eine Vernehmung liegt nach herrschendem Begriffsverständnis vor, wenn der Fragende dem Befragten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft Auskunft verlangt.[4] N ist kein Amtsträger und A auch nicht in einer solchen Funktion gegenübergetreten. Vielmehr hat er als Privatperson das Gespräch mit A gesucht. Die Unterhaltungen zwischen N und A stellten also hiernach keine Vernehmungen dar. Die §§ 136 f., 163a StPO sind damit nicht anwendbar.
b) Funktionaler (weiter) Vernehmungsbegriff
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Nach dem weiter gefassten funktionalen Vernehmungsbegriff liegt eine Vernehmung immer vor, wenn eine Äußerung des Beschuldigten irgendwie durch ein Strafverfolgungsorgan herbeigeführt wurde.[5] N suchte auf Verlangen der Ermittlungsbehörden das Gespräch mit A. Die Äußerungen wurden also indirekt durch ein Strafverfolgungsorgan herbeigeführt. Damit liegt nach dem funktionalen Begriff eine Vernehmung vor und die §§ 136 f., 163a StPO sind anwendbar.
c) Streitentscheid
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Die Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass ein Streitentscheid zu führen ist. Für den formellen Vernehmungsbegriff spricht zunächst, dass ein solches Verständnis der überkommenen Bedeutung des Wortes in der Rechtssprache entspricht.[6] Dieses Verständnis hat sich auch in der heute geltenden StPO manifestiert: Normen wie beispielsweise § 52 Abs. 2, Abs. 3 StPO, § 69 StPO oder § 253 StPO sind erkennbar auf eine „offene Vernehmung“ im Sinne des formellen Begriffs zugeschnitten.[7] Eine Erweiterung des Begriffs im Sinne des funktionalen Ansatzes ist dem Gesetz dagegen nicht zu entnehmen.[8] Vielmehr hat diese Sichtweise sogar zur Folge, dass Widersprüche innerhalb des Gesetzes drohen: Nach dem funktionalen Begriff würden auch verdeckte Ermittler „Vernehmungen“ durchführen, was dem Sinn und Zweck der §§ 110a ff. StPO widerspricht.[9] Vorzugswürdig ist daher der formelle Vernehmungsbegriff. Das hat zur Folge, dass im konkreten Fall keine Vernehmung vorliegt.
2. Ergebnis
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Mangels Vernehmung ist das Beweisverwertungsverbot des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO nicht einschlägig.
II. Beweisverwertungsverbot aufgrund analoger Anwendung der §§ 136 f., 163a StPO
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Möglicherweise gebieten die konkreten Umstände jedoch eine analoge Anwendung der §§ 136 f., 163a StPO.
1. Analogie hinsichtlich Vernehmung
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Dafür müssten die Voraussetzungen einer Analogiebildung vorliegen. Das setzt das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage voraus.[10]
a) Planwidrige Regelungslücke
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Das Gesetz regelt die Konstellation nicht, in der Privatpersonen im Rahmen der Untersuchungshaft auf Beschuldigte angesetzt werden. Einen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den Fall bewusst ungeregelt lassen wollte, gibt das Gesetz nicht.
b) Vergleichbare Interessenslage
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Eine Vergleichbarkeit zu einer Vernehmungssituation könnte sich hier aus den Umständen ergeben, dass die Gespräche zwischen A und N während der Untersuchungshaft stattgefunden haben und N gezielt durch die Ermittlungsbehörden auf A angesetzt wurde. Hintergrund dieses Gedankens ist der in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Grundsatz, dass der Einzelne nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden darf.[11] Die Untersuchungshaft hat den Zweck, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten.[12] Sie darf nicht dazu missbraucht werden, das Aussageverhalten des Beschuldigten zu beeinflussen, ihn insbesondere zu veranlassen, keinen Gebrauch von einem möglichen Schweigerecht gem. § 136 Abs. 1 S. 2, § 163a Abs. 3 und 4, § 243 Abs. 5 S. 1 StPO zu machen.[13] Indem die Ermittlungsbehörden N gezielt auf A angesetzt haben, haben sie das an sich zulässige Zwangsmittel der Untersuchungshaft zu einem prozessordnungswidrigen Zweck ausgenutzt.[14] Das lässt sich auch damit begründen, dass sich der in Haft befindliche Beschuldigte anders als Personen in Freiheit nicht gänzlich dem Einflussbereich des Informanten entziehen kann.[15] Für den Missbrauchsgedanken spricht weiterhin, dass die Strafverfolgungsorgane ansonsten die den Beschuldigten schützenden Bestimmungen der StPO durch den Einsatz privater Dritter umgehen könnten.[16]
Die §§ 136 f., 163a StPO sind vorliegend analog anwendbar, um einen rechtsstaatswidrigen Missbrauch zu verhindern.[17]
2. Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung
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§ 136a StPO ist anwendbar, so dass sich aus § 136a Abs. 3 S. 2 StPO ein Beweisverwertungsverbot ergibt, wenn die Äußerungen des A gegenüber N unter Verletzung der § 136a Abs. 1, Abs. 2 StPO zustande gekommen sind.
Vorliegend könnte die Freiheit der Willensentschließung des A im Sinne von § 136a Abs. 1 S. 1 StPO beeinträchtigt worden sein. Das ist der Fall, wenn der Beschuldigte nicht mehr unbeeinflusst darüber entscheiden kann, ob, inwieweit und mit welchem Inhalt er sich einlässt.[18] Die Aufzählung der verbotenen Vernehmungsmethoden in § 136a Abs. 1 StPO (Ermüdung, Quälerei, etc.) ist dabei nicht abschließend.[19]
a) Beeinträchtigung durch verbotenen Zwang (BGH)
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Der BGH nimmt in Fällen wie dem vorliegenden eine Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung durch verbotenen Zwang an (vgl. § 136a Abs. 1 S. 2 StPO).[20] Das wird damit begründet, dass das Zwangsmittel der Untersuchungshaft missbräuchlich verwendet werde.[21]
b) Beeinträchtigung durch Täuschung
(Teile der Rechtsprechung und Literatur)
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Einen anderen Begründungsansatz, dem sich auch Teile der Literatur anschlossen, verfolgte noch die Ausgangsinstanz.[22] Gestützt wird die abweichende Argumentation darauf, dass nicht die Untersuchungshaft an sich ursächlich für die Äußerungen des A gewesen sei, sondern erst die spätere Einwirkung durch N.[23] In Betracht komme daher vielmehr eine Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung durch Täuschung (§ 136a Abs. 1 S. 1 StPO).[24] Darunter versteht man jedenfalls das bewusste Vorspiegeln falscher Tatsachen.[25] Um eine Ausuferung zu vermeiden, sind aber nur solche Täuschungen erfasst, die die Freiheit der Willensentschließung insoweit beeinträchtigen, als der Beschuldigte durch sie zu einer Aussage veranlasst wird, die er andernfalls nicht oder nicht so getätigt hätte (restriktive Auslegung).[26] N habe A hier (zumindest konkludent) wahrheitswidrig vorgespielt, bloß ein verschwiegener Mithäftling zu sein und so die Äußerungen des A erlangt.[27] A habe N auch nur Informationen preisgegeben, weil er über dessen wahre Motivation getäuscht worden sei. Es liegt nach dieser Auffassung ein Verstoß gegen § 136a Abs. 1 S. 1 StPO mittels Täuschung vor.
c) Zwischenergebnis
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Welchem Begründungsansatz zu folgen ist, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Sowohl der Verstoß gegen § 136a Abs. 1 S. 1 StPO als auch gegen S. 2 führen zu einer Unverwertbarkeit gem. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO.[28]
3.