Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Thomas Rauscher
Gesellschaftsstatut dem Recht des Staates unterstellt werden, nach dessen Recht sie gegründet wurde (Gründungstheorie), oder dem Recht des Staates, in dem sie ihren effektiven Verwaltungssitz hat (Sitztheorie). Für die Gründungstheorie spricht die Vorhersehbarkeit der Rechtslage durch die Gründungsgesellschafter und Mobilitätsinteressen (Fortbestand bei Verlegung der Verwaltung), für die Sitztheorie der Schutz mit der Gesellschaft kontrahierender Dritter und der Minderheitsgesellschafter gegen eine Manipulation des Gesellschaftsstatuts. Die Gründungstheorie führt leicht zu einem Wettlauf um ein den Gründern möglichst vorteilhaftes und Dritten möglichst nachteiliges Gesellschaftsrecht, wie das Beispiel der USA, wo sie gilt, zeigt (race to the bottom).[3]
b) Einfluss der Art. 49, 54 AEUV
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Die in Deutschland hM vertritt aus diesen Gründen die Sitztheorie. Insbesondere verstößt die Sitztheorie an sich nicht gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV (vorher Art. 43, 48 EGV). Der EuGH hat zwar in einer Reihe von Entscheidungen (dazu Fragen 2–5) Konsequenzen der Sitztheorie bei Gesellschaften, die einem Mitgliedstaat angehören, als gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßend erkannt. Der EuGH hat jedoch dabei immer betont,[4] dass jeder Mitgliedstaat nach seinem IPR entscheidet, welche Gesellschaften ihm angehören und damit erst Niederlassungsfreiheit in anderen Mitgliedstaaten genießen. Der BGH[5] hält deshalb zutreffend an der Sitztheorie fest, soweit nicht Art. 49, 54 AEUV etwas anderes verlangen. Hier ergibt sich daraus noch kein Problem: Weise kann jedenfalls eine GmbH deutschen Rechts mit Verwaltungssitz in München gründen; Geschäftsstatut ist deutsches Recht als Gründungs- oder Verwaltungssitzrecht.
5. Substitution
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Nach § 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG bedarf der Gesellschaftsvertrag der notariellen Form, womit notarielle Beurkundung gemeint ist. Fraglich ist, ob diese Form auch durch die Urkunde eines ausländischen Notars erfüllt werden kann. Dies ist eine Frage der Substitution der fremden Urkundsperson anstelle eines deutschen Notars. Die Substitution setzt zweierlei voraus:
a) Substituierbarkeit
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Die Formvorschrift des (deutschen) Geschäftsstatuts muss einer Substitution zugänglich sein. Im Gegensatz zur Auflassung (§ 925 Abs. 1 S. 1 BGB, Sicherung der Grundbuchrichtigkeit) scheitert eine Substitution nicht schon an überragenden öffentlichen Interessen (Grundbuchsicherheit). Gleichwohl könnte die Beurkundung nicht substituierbar sein, weil sie nicht nur Beweissicherung und/oder Übereilungsschutz gewährleisten soll, sondern auch der rechtlichen Prüfung der Urkunde und der Belehrung der Beteiligten dient (§ 17 BeurkG). Eine Belehrung über deutsches Gesellschaftsrecht kann aber selbst ein juristisch gebildeter ausländischer Notar nicht bieten. Da jedoch die Belehrung nach deutschem Beurkundungsrecht eine zwar regelmäßig zu befolgende, bei Verletzung aber nicht zur Unwirksamkeit der Beurkundung führende Sollvorschrift ist, können die Beteiligten auf sie verzichten. Das tun sie stillschweigend, wenn sie einen ausländischen Notar aufsuchen, von dem sie Belehrung nicht erwarten können.[6] Damit ist Substituierbarkeit nicht rundweg ausgeschlossen.
b) Substitution bei Gleichwertigkeit
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Die ausländische Beurkundung müsste zudem der deutschen gleichwertig sein. Hierzu bedarf es der Gleichwertigkeit der Beurkundungsperson und des Beurkundungsvorgangs. Der Beurkundende muss juristisch vorgebildet sein und nach seiner Stellung im Rechtsleben, insbesondere seiner Vertrauenswürdigkeit, dem deutschen Notar entsprechen. Das Beurkundungsverfahren muss dem deutschen in wesentlichen Elementen (Prüfung, Belehrung, Identitätsfeststellung, Niederschrift, Verlesen, Genehmigung, Unterzeichnung) entsprechen. Dies ist hier gegeben (MAT b). Die Beurkundung des schweizer Notars erfüllt also die deutsche Geschäftsform.
Der Gesellschaftsvertrag war damit formwirksam geschlossen; insoweit bestand kein Eintragungshindernis.
6. Ein-Gesellschafter-GmbH
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Die Zulässigkeit einer Ein-Gesellschafter-GmbH unterliegt als materielle Voraussetzung der Gründung der Gesellschaft dem Gesellschaftsstatut, also deutschem Recht. Danach ist eine Ein-Gesellschafter-GmbH zulässig (§ 1 GmbHG).
Ergebnis:
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Das Amtsgericht München hat bei der Eintragung keinen Fehler gemacht.
Frage 2: Zulässigkeit der Klage zum Amtsgericht Passau
(Variante London)
1. Parteifähigkeit der Komm kaufen wir‘s! GmbH
a) Anknüpfung
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Die Klage könnte mangels Parteifähigkeit der Beklagten unzulässig sein. Das für die Parteifähigkeit maßgebliche Statut ist umstritten. Manche stellen auf die lex fori ab, da es sich um eine prozessuale Frage handele, gelangen aber vor deutschen Gerichten wegen der Anbindung an die Rechtsfähigkeit in § 50 Abs. 1 ZPO zu einer Verweisung in das Personalstatut. Andere wenden ohne Umweg über § 50 Abs. 1 ZPO den Art. 7 Abs. 1 EGBGB analog an. Überwiegend wird eine prozessuale Kollisionsnorm angenommen, die in das prozessuale Heimatrecht des Betroffenen, also auf die dortigen Bestimmungen über die Parteifähigkeit, verweist.[7] Schließlich wird auch die alternative Anknüpfung an die Parteifähigkeit oder die Rechtsfähigkeit nach dem Heimatrecht vertreten. Soweit es um die Parteifähigkeit einer Gesellschaft geht, ist Personalstatut das Gesellschaftsstatut; damit ist die Gesellschaft parteifähig, wenn sie nach ihrem Gesellschaftsstatut volle Rechtsfähigkeit, jedenfalls aber Parteifähigkeit genießt.[8] Nach allen Ansichten ist zunächst das Heimatrecht, also das Gesellschaftsstatut der Beklagten, zu bestimmen.
b) Gesellschaftsstatut, Wandelbarkeit
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Das Gesellschaftsstatut ist wie das Personalstatut einer natürlichen Person (Art. 7 Abs. 1 EGBGB) wandelbar. Im Gegensatz zu natürlichen Personen gilt für juristische Personen jedoch nicht Art. 7 Abs. 2 EGBGB. Eine Gesellschaft behält bei einem Statutenwechsel ihre Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit, die sie nach dem abgebenden Statut hatte, nur dann, wenn sowohl das abgebende als auch das aufnehmende Statut diesen „identitätswahrenden“ Statutenwechsel vorsehen. Das deutsche Recht ging vor der erwähnten (Rn 80) Rechtsprechung des EuGH davon aus, dass die Verlegung des Verwaltungssitzes einer deutschen Gesellschaft in das Ausland (Wegzug) zum Verlust eines deutschen Gesellschaftsstatuts und damit zwingend zur Auflösung und Abwicklung führt.[9]
c) § 4a GmbHG
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Ein die Rechtsform als GmbH wahrender Wegzug könnte sich jedoch aus § 4a GmbHG ergeben. § 4a GmbHG gestattet zwar einer deutschen GmbH die Verlegung des Verwaltungssitzes in das Ausland, sofern sie einen deutschen Satzungssitz behält.[10] Die Bestimmung ist jedoch auf den Wegzug im August 2006 nicht rückwirkend anwendbar.
d) Niederlassungsfreiheit
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Die Notwendigkeit, einer deutschen GmbH den Wegzug als solchen zu gestatten, könnte durch die europarechtliche Niederlassungsfreiheit geboten sein. In der jüngeren Rechtsprechung ist der EuGH bisher nie von der Entscheidung