Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Thomas Rauscher
auch als Gerichte des Wohnsitzstaates des Vertragspartners sind (wahlweise) deutsche Gerichte zuständig, denn auch im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 Hs. 1 Brüssel Ia-VO, der lediglich die allgemeine Zuständigkeit des Art. 4 Brüssel Ia-VO auf Verbrauchersachen erstreckt, gilt Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, so dass der Münchener Satzungssitz genügt.
d) Örtliche Zuständigkeit
100
Fraglich ist weiter die örtliche Zuständigkeit
aa)
101
Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO regelt nach dem eindeutigen Wortlaut zugleich die örtliche Zuständigkeit. Das AG Passau ist also auch örtlich zuständig.
bb)
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Die örtliche Zuständigkeit eines anderen deutschen Gerichts könnte sich nur ergeben, soweit sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auf den Satzungssitz der Beklagten stützt. Die örtliche Zuständigkeit wird nicht von Art. 18 Abs. 1 Hs. 1 Brüssel Ia-VO mitgeregelt und bestimmt sich daher nach nationalem deutschem Recht.
Zu erwägen ist eine ausschließliche Zuständigkeit nach § 29c ZPO (Haustürgeschäft). Dazu müsste der Vertragsschluss im Internet eine § 312b Abs. 1 BGB unterfallende Abschlusssituation darstellen. In Betracht käme nur § 312b Abs. 1 Nr 1 BGB (mündliche Verhandlung in Privatwohnung); der „Dialog“ über das Internet kann jedoch der Verhandlungssituation nicht gleichgestellt werden, weil weder die zugrunde gelegte Überrumpelungslage noch der Druck zum Vertragsschluss besteht.
§ 17 Abs. 1 S. 2 ZPO folgt entgegen dem Anschein, der sich aus dem Wortlaut ergibt („wo die Verwaltung geführt wird“), nicht der im IPR geltenden Lehre vom effektiven Verwaltungssitz, sondern stellt nach hM auf den Satzungssitz ab. Örtlich zuständig ist damit auch das AG München, wo die GmbH ihren satzungsmäßigen Sitz hat.
Ergebnis:
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Die Klage zum AG Passau ist zulässig; die Klage hätte auch vor dem AG München erhoben werden können.
Frage 3: Zulässigkeit der Klage zum Amtsgericht Passau
(Variante Delaware)
1. Parteifähigkeit der Come let‘s buy it Inc.
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Im Verhältnis zwischen Deutschland und den USA gilt für das Gesellschaftsstatut Art. XXV Abs. 5 S. 2 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrags v. 29.10.1954.[16] Danach gelten Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils, was die Gründungstheorie impliziert. Von wo aus die Gesellschaft verwaltet wird, ist hier also unerheblich. Nicht relevant ist damit im Verhältnis zu den USA die strittige Frage, ob in Konsequenz der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit, die nur für Gesellschaften aus EU-Mitgliedstaaten und mittelbar für solche aus EWR-Mitgliedstaaten gilt, gegenüber Gesellschaften aus Drittstaaten weiterhin die Sitztheorie gilt.[17]
Heimatrecht der Come let‘s buy it Inc. ist also das US-Recht. Die Kollisionsnorm enthält zugleich selbst die im Mehrrechtsstaat USA zu suchende Unteranknüpfung, denn sie verweist auf die Gesetze, nach denen die Gesellschaft gegründet wurde, hier also das Recht von Delaware. Parteifähigkeit besteht danach (MAT d).
2. Zuständigkeit
a) Räumlicher Anwendungsbereich Brüssel Ia-VO
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Die internationale Zuständigkeit könnte sich nach der Brüssel Ia-VO bestimmen, wenn die Beklagte in einem Mitgliedstaat ihren Wohnsitz hat (Art. 5 Abs. 1, 63 Brüssel Ia-VO). Das ist hier offenbar nicht der Fall; der Satzungssitz liegt in Delaware, der Verwaltungssitz auf den Bahamas und das registered office (das dem Satzungssitz gleichstünde, läge es im UK oder Irland) ebenfalls in Delaware.
b) Erweiterung bei Niederlassung Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO
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Die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO kann sich in Verbrauchersachen auch ohne Wohnsitz des Unternehmers in einem Mitgliedstaat aus Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ergeben. Erforderlich ist dazu eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung in einem Mitgliedstaat. Fraglich ist, ob es sich bei der Versandagentur in Amsterdam (Niederlande sind Mitgliedstaat) um eine Zweigniederlassung etc handelt. Legt man den Begriff des Art. 7 Nr 5 Brüssel Ia-VO zugrunde, so käme es darauf an, in welchem Maß die Versandagentur der Leitung und Aufsicht durch das Stammhaus unterliegt und zur Führung eigener Geschäfte ausgestattet[18] ist. Eine bloße Versandagentur, die selbst nicht kontrahiert, fällt an sich nicht unter Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; um eine solche handelt es sich bei der Versandagentur in Amsterdam. Da diese auch nicht vor Vertragsschluss nach außen erkennbar wird, wird auch nicht der Anschein erweckt wird, es handle sich um eine Niederlassung.
Damit liegen die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht vor. Es wird also nicht fingiert, dass die Beklagte einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, so dass grundsätzlich auch Art. 17 ff Brüssel Ia-VO nicht anwendbar sind.
c) Erweiterung nach Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO
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Jedoch ergibt sich aus dem gegenüber Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-VO neu gefassten Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO, dass die Zuständigkeit am Wohnsitz des Verbrauchers „ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners“ besteht. Daraus folgt, dass in Verbrauchersachen (nur) die Wohnsitzzuständigkeit für den Verbraucher als Kläger auch gegen einen Beklagten gilt, der innerhalb der Mitgliedstaaten weder einen eigenen, noch einen nach Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO fingierten Wohnsitz hat.
Ergebnis:
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Die Klage zum AG Passau ist zulässig.
Frage 4: Zulässigkeit der Klage zum Amtsgericht Augsburg
1. Parteifähigkeit der FlyHigh Ltd.
a) Sitztheorie
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Die Parteifähigkeit der Komm kaufen wir‚s GmbH ergibt sich wie zu Frage 1. Es stellt sich aber auch für die Beklagte FlyHigh Ltd. die Frage der Parteifähigkeit.
Zu ermitteln ist wieder das Gesellschaftsstatut. Die Sitztheorie hätte angesichts des schon bei Gründung effektiven deutschen Verwaltungssitzes am Wohnsitz des Flug in Augsburg zu einem deutschen Gesellschaftsstatut geführt. Da im deutschen Recht eine Rechtsform „private limited company“ nicht vorgesehen ist und die für die Gründung einer GmbH geltenden Bestimmungen (insbesondere § 7 Abs. 1 GmbHG, Anmeldung beim AG Augsburg) nicht eingehalten wurden, wäre die Gesellschaft nicht rechtsfähig gegründet, somit (§ 50 Abs. 1 ZPO) nicht parteifähig.
b) Niederlassungsfreiheit Art. 49, 54 AEUV
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Dieses Ergebnis könnte jedoch wegen der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV gegen Europarecht verstoßen. Aus der Centros-Entscheidung des EuGH[19] ergab sich insoweit