Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Thomas Rauscher
Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaates die Verlegung des Verwaltungssitzes und damit die Niederlassung in Deutschland trotz der Sitztheorie im deutschen IPR zu gestatten. Wenn die Gesellschaft jedoch zudem ihren Satzungssitz ändern und sich in eine deutsche Gesellschaft umwandeln wolle, berühre dies nicht mehr die Niederlassungsfreiheit; die Cartesio-Entscheidung des EuGH wende sich lediglich an den Wegzugsstaat.[25]
Dem ist entgegenzuhalten, dass ein Mitgliedstaat, der eigenen Gesellschaften einen Rechtsformwechsel gestattet, hingegen Gesellschaften aus einem anderen Mitgliedstaat, die ihren Sitz in das Inland verlegen, hiervon generell – nicht nur in Missbrauchsfällen – ausnimmt, die ausländische Gesellschaft ohne Rechtfertigung anders behandelt, als seine eigenen Gesellschaften (vgl Art. 54, 49 Abs. 2 aE AEUV). Zwar ist kein Mitgliedstaat durch Art. 49, 54 AEUV gehalten, einen identitätswahrenden Rechtsformwechsel zu ermöglichen; tut er es aber für inländische Gesellschaften, so muss er auch Freizügigkeit genießende Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten einbeziehen.[26] Dass im Fall, anders als in dem vom EuGH (Vale) entschiedenen Fall, Zuzug und Rechtsformwechsel nicht zur selben Zeit erfolgen, ändert hieran nichts; die bereits in Deutschland verwaltete FlyHigh Ltd. ist erst recht gleich einer deutschen Gesellschaft zu behandeln. Erleichterungen gegenüber §§ 190 ff UmwG erfordert die Niederlassungsfreiheit hingegen nicht.[27]
c) Frist
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Da die Zulässigkeit des Formwechsels ausschließlich auf der von Art. 54, 49 AEUV gewährleisteten Freizügigkeit beruht, entfällt in dem Zeitpunkt, in dem das UK den Status eines Mitgliedstaats der EU oder zumindest des EWR verliert, die Zulässigkeit des (identitätswahrenden) Formwechsels. Ein Völkervertrag, der die Anerkennung der Gründungstheorie sichert, würde zwar nicht den Formwechsel absichern, aber die weitere Existenz der Limited aus deutscher Sicht. Daher muss die Umwandlung analog §§ 190 ff UmwG vor dem Ausscheiden des UK vollzogen sein. § 122m UmwG, der nur die Beurkundung des Verschmelzungsplans bis zu dem Zeitpunkt fordert, von dem ab das UK nicht mehr als Mitgliedstaat gilt, ist nicht analog auf den Formwechsel anzuwenden.
Ergebnis:
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Der Rechtsformwechsel in eine GmbH ist in EU-Rechtskonformer Analogie zu § 1 Abs. 1 Nr 4 UmwG zulässig, wenn sämtliche sonstigen Voraussetzungen der §§ 190 ff UmwG erfüllt sind; der Rechtsformwechsel muss bis zum Ausscheiden des UK aus der EU vollzogen sein, sofern das UK nicht im EWR verbleibt. Eine Verschmelzung auf eine deutsche GmbH oder GmbH&Co KG wäre hingegen intertemporal durch § 122m UmwG begünstigt.
Frage 6: Umwandlung in luxemburgische Sárl ohne Verwaltungssitzverlegung
1. Anwendbares Recht
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Wie zu Frage 5 bestimmt sich die Umwandlung nach dem Gesellschaftsstatut; da die FlyHigh GmbH mit Verwaltungssitz in Deutschland ein deutsches Gesellschaftsstatut besitzt und der geplante Rechtsformwechsel zu einer luxemburgischen Sarl ohne Änderung des Verwaltungssitzes erfolgen soll, ändert sich bei Anwendung der Sitztheorie auch das Gesellschaftsstatut nicht. Damit müsste nach deutschem Recht eine luxemburgische Sarl mit deutschem Verwaltungssitz zulässig sein.
2. Europarechtliche Garantie der Umwandlung aus Sicht des Wegzugsstaates
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§ 4a GmbHG sieht ausdrücklich vor, dass eine GmbH ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland hat. Eine Verlegung des Satzungssitzes nach Luxemburg als GmbH käme also nicht in Betracht. Die gewollte Umwandlung in eine luxemburgische Sarl unter Verlegung des Satzungssitzes scheitert hingegen nicht an § 4a GmbHG, aber daran, dass in Anwendung der Sitztheorie nur deutsche Gesellschaftsformen für die Umwandlung von Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland zur Verfügung stünden und die Sarl keine deutsche Gesellschaftsform ist.
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Dem könnten jedoch wieder Art. 49, 54 AEUV entgegenstehen. Hierzu hat der EuGH in der Sache Polbud[28]entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit das Recht einer nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft auf Umwandlung in eine Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates erfasst, sofern der Staat, in dessen Rechtsform umgewandelt werden soll, das zulässt. Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft nach der Umwandlung im „Zuzugsstaat“ keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben will. Da jeder Mitgliedstaat frei ist, die kollisionsrechtliche Anknüpfung der seinem Recht unterliegenden Gesellschaften zu bestimmen, darf sich Deutschland der Umwandlung nicht, insbesondere nicht durch Auflösung der GmbH, in den Weg stellen, wenn das Recht von Luxemburg bereit ist, die Umwandlung in eine seinem Recht unterstehende Gesellschaft zu akzeptieren, insbesondere eine Verlegung des Verwaltungssitzes nicht verlangt (sog. „isolierter Formwechsel“). Dies ist vorliegend der Fall, da das Recht von Luxemburg eine Sarl auch ohne inländischen Verwaltungssitz vorsieht (MAT e). Im Übrigen erlaubt das luxemburgische Recht auch eine Sárl unipersonnelle.
Ergebnis:
Der Rechtsformwechsel ist zulässig, da das Recht von Luxemburg nicht verlangt, dass der Verwaltungssitz nach Luxemburg verlegt wird und das deutsche Recht sich wegen der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV dem nicht durch Auflösung der GmbH entgegenstellen darf.
Anmerkungen
Vgl Grossfeld/Berndt RIW 1996, 630.
OLG München IPRspr 1997 Nr. 25.
BGH EuZW 2000, 412.
Zuletzt EuGH Rs. C-378/10 ECLI:EU:C:2012:440 (Vale); EuGH Rs. C-106/16 ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud).
BGHZ 154, 185; BGH NJW 2011, 3372, 3373.
BGHZ 80, 76.
OLG Düsseldorf IPRax 1996, 423.
BGH NJW 1999, 1871.
OLG Hamm IPRax 1998, 363.
Strittig ist, ob dies die Rechtsform wahrt, so Knof/Mock GmbHR 2007, 852, 856; aA Kindler NJW 2008, 3249, 3251.
EuGH Rs. 81/87 ECLI:EU:C:1988:456 (Daily Mail).
EuGH Rs. C-210/06 ECLI:EU:C:2008:723 (Cartesio).
EuGH