Kapitalmarktrecht. Petra Buck-Heeb
für solche Unternehmen geeignet, die lediglich nationale Investoren ansprechen und die mit dem Listing verbundenen Kosten möglichst gering halten wollen. Die Zulassung eines Papiers zum General Standard erfolgt automatisch mit der Zulassung zum regulierten Markt. Die im General Standard geführten Unternehmen müssen vier Transparenzanforderungen erfüllen. Sie haben zum ersten und dritten Quartal Halbjahresfinanzberichte (§ 115 WpHG) zu erstellen[51], die internationalen Rechnungslegungsstandards zu erfüllen (idR IFRS oder US-GAAP[52]), einen sog. Unternehmenskalender über die wesentlichen Termine (Hauptversammlung, Bilanzpressekonferenz, Analystenveranstaltungen usw) sowie Ad-hoc-Mitteilungen zu veröffentlichen.
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Durch die Zulassung zum Prime Standard[53] sollen Unternehmen v.a. internationale Investoren ansprechen können. Diese Zulassung ist eine Voraussetzung für die Aufnahme in die Aktienindizes DAX[54], M-DAX[55], Tec-DAX[56] und S-DAX[57]. Diese Indizes stellen also keine eigenständigen Marktsegmente dar. Über die Einbeziehung in die Indizes entscheidet die Deutsche Börse AG[58]. Es besteht keine besondere vertragliche Beziehung zwischen ihr und den einbezogenen Emittenten[59].
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Für den Prime Standard müssen die Gesellschaften hohe internationale Transparenzanforderungen erfüllen, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen im General Standard des regulierten Markts hinausgehen (vgl §§ 48 ff BörsO Ffm, Stand: 1. April 2020). Die Zulassungsfolgepflichten im Prime Standard müssen neben denen des General Standard erfüllt werden. Zusätzliche Anforderungen sind die Veröffentlichung der Halbjahresberichte, die Veröffentlichung des Unternehmenskalenders sowie die Ad-hoc-Mitteilungspflicht auch in englischer Sprache, die Durchführung mindestens einer Analystenveranstaltung pro Jahr. Zudem sind der Unternehmenskalender sowie die Finanzberichte der Börsengeschäftsführung in elektronischer Form übermittelt werden.
2. Multilaterale Handelssysteme (MTF)
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Multilaterale Handelssysteme (Multilateral Trading Facility, MTF) sind in Konkurrenz zu den Börsen entstanden.
→ Definition:
Multilaterale Handelssysteme sind börsenähnliche Handelssysteme, die von einem Finanzdienstleister, einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder einem Betreiber eines geregelten (organisierten) Markts[60] auf privatrechtlicher Ebene betrieben werden (§ 2 Abs. 6 BörsG, § 2 Abs. 8 Satz 1 Nr. 8 WpHG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR)[61].
Die Pflichten für die Betreiber eines multilateralen Handelssystems ergeben sich aus den §§ 72–74 WpHG sowie aus der VO 600/2014 (MiFIR), welche durch die DelVO 2017/567 ergänzt wird. Ziel ist es, wie bei einer Börse die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten in einer Weise zusammenzuführen, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt[62]. Systeme, die lediglich den Kontakt der Parteien ermöglichen, sind keine MTF[63]. Das erste in Deutschland betriebene MTF war die Handelsplattform Tradegate, die inzwischen als Börse zugelassen ist.
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Der Betrieb eines MTF ist eine Wertpapierdienstleistung (§ 2 Abs. 8 Nr. 8 WpHG)[64]. Das bedeutet umgekehrt, dass nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen das Betreiben eines MTF möglich ist. Da der Betrieb eines multilateralen Handelssystems auch eine Finanzdienstleistung iS des § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1b KWG ist, bedarf dieser einer schriftlichen Erlaubnis der BaFin (§ 32 Abs. 1 Satz 1 KWG)[65]. Die Aufsicht nimmt die BaFin wahr. Der Freiverkehr[66] unterliegt allerdings ausdrücklich nach wie vor der Aufsicht durch die zuständige Börsenaufsichtsbehörde (§ 48 Abs. 2, 3 iVm § 3 Abs. 1 BörsG).
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Da die MTF eine börsenähnliche (idR internetbasierte) Handelsplattform ist, gelten weitgehend übereinstimmende Anforderungen. So ist auch hier eine Zulassung der Handelsteilnehmer erforderlich. Der Betreiber hat Regelungen für den Zugang von Handelsteilnehmern festzulegen (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 WpHG)[67]. Für den Zugang zu einem multilateralen Handelssystem muss mindestens § 19 Abs. 2, Abs. 4 BörsG analog (Zulassung zur Börse) eingehalten werden (§ 74 Abs. 1 WpHG). Allerdings besteht, anders als bei den Börsen, kein Zulassungszwang[68]. Vorzusehen sind außerdem auch hier Bestimmungen für die Einbeziehung von Finanzinstrumenten, die ordnungsgemäße Durchführung des Handels und der Preisermittlung, die Verwendung von einbezogenen Referenzpreisen und die vertragsgemäße Abwicklung der abgeschlossenen Geschäfte (§ 72 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Regelungen bzgl des Handels und der Preisermittlung dürfen dem Betreiber keinen Ermessensspielraum gewähren (§ 74 Abs. 2 WpHG).
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Der Betreiber hat Regelungen zur Kontrolle der Bestimmungen nach § 72 Abs. 1 Nr. 2 WpHG sowie zur Kontrolle des Insiderhandelsverbots (Art. 14 MAR) und des Verbots der Marktmanipulation (Art. 15 MAR) zu treffen (§ 72 Abs. 1 Nr. 3 WpHG). Über Verstöße ist die BaFin nach § 72 Abs. 6 WpHG zu unterrichten. § 73 WpHG regelt den Inhalt und das Verfahren bei einer Aussetzung des Handels von Finanzinstrumenten und deren Ausschluss[69].
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Im Unterschied zum regulierten Markt bestehen für multilaterale Handelssysteme bei der Einbeziehung in den Handel keine bestimmten Anforderungen an die Finanzinstrumente und die Emittenten. Damit werden schnelle, sichere und billige Transaktionsinfrastrukturen zur Verfügung gestellt. Bestanden ursprünglich bestimmte Zulassungsfolgepflichten für die MTF nicht, so gilt dies inzwischen nicht mehr, dh es gelten weitgehend gleiche Regelungen[70]. Ansonsten gelten weitgehend gleiche Anforderungen wie für den regulierten Markt.
a) Grundlagen
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Der Freiverkehr ist ein privatrechtlich organisierter außerbörslicher Markt zwischen Freimaklern und Handelsteilnehmern. Er ist häufig ein erster Schritt von Unternehmen an den Markt[71]. Auch der Freiverkehr (Open Market) gilt als multilaterales Handelssystem (§ 48 Abs. 3 Satz 2 BörsG)[72]. Da er, anders als die sonstigen multilateralen Handelssysteme, nicht von Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituten, sondern von Börsen betrieben wird, unterliegt er der Börsenaufsicht und nicht derjenigen der BaFin[73]. Da der Freiverkehr stärker international positioniert werden sollte, erfolgte an der Frankfurter Wertpapierbörse im Jahr 2005 die Umbenennung in „Open Market“.
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Zur Durchführung des Open Market werden die Einrichtungen der Börse genutzt. § 48 Abs. 1 BörsG enthält die Ermächtigung an die Börsen, einen Freiverkehr zuzulassen, wenn durch (zivilrechtliche) Geschäftsbedingungen eine ordnungsmäßige Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung gewährleistet erscheint. An der Börse Frankfurt etwa ist die Deutsche Börse AG Trägerin des Freiverkehrs[74].
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Für die Einrichtung eines Freiverkehrs ist eine schriftliche Erlaubnis der Börsenaufsichtsbehörde erforderlich (§ 48 Abs. 3 Satz 1 BörsG). Hintergrund ist, dass für die Öffentlichkeit oft nicht erkennbar ist, ob ein Wertpapier im regulierten Markt oder im Open Market gehandelt wird, sodass die Gefahr besteht, dass Missstände des Freiverkehrs der Börse insgesamt angelastet werden. Liegt ein Missstand vor, kann die Börsenaufsichtsbehörde nach § 48 Abs. 2 BörsG den Handel im Freiverkehr untersagen.
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Gemäß § 48a Abs. 1 BörsG kann der Börsenträger unter bestimmten Voraussetzungen einen Freiverkehr bei der Börsenaufsichtsbehörde als KMU-Wachstumsmarkt[75] registrieren lassen.