Verteidigung in der Hauptverhandlung. Klaus Malek
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Auch der Angeklagte hat einen Anspruch auf einen Platz im Sitzungssaal, der seiner Würde und seinem Anspruch auf Gleichbehandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten entspricht.[2] Ein solcher Platz befindet sich nicht in der Mitte des Saales vor der Richterbank, sondern neben dem Verteidiger, von wo aus der ungehinderte Kontakt zu diesem möglich ist. Der Angeklagte hat auch das Recht, Verteidigungsunterlagen zu benutzen und – unabhängig vom Umfang des Prozessstoffs – Aufzeichnungen anzufertigen,[3] was ihm verwehrt wird, wenn ihm lediglich ein Stuhl ohne Tisch zur Verfügung steht. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze kann ebenfalls die Revision wegen eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 8 begründen.[4]
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Entspricht die Situation im Gerichtssaal nicht den genannten Grundsätzen, so sollte der Verteidiger zunächst versuchen, mit dem Gericht eine einvernehmliche Änderung der Situation herbeizuführen.[5] Ist eine Einigung nicht möglich, so empfiehlt sich ein schriftlich formulierter Antrag auf Zuweisung eines angemessenen Sitzplatzes. Weist der Vorsitzende diesen Antrag zurück, so ist eine Gerichtsentscheidung gemäß § 238 Abs. 2 herbeizuführen. Zur Sachleitung im Sinne dieser Vorschrift gehören nach richtiger Auffassung auch sitzungspolizeiliche Maßnahmen.[6] Bestätigt das Gericht die Anordnung des Vorsitzenden, so bleibt dem Verteidiger nichts anderes übrig, als die Sitzordnung jeweils durch entsprechende Protokollierungsanträge aktenkundig zu machen und im Bedarfsfall (etwa nach einer Zeugenaussage) einen Unterbrechungsantrag für ein ungehindertes Gespräch mit dem Mandanten zu stellen.[7] Der Antrag ist bei mehrtägigen Sitzungen zu Beginn eines jeden Sitzungstages zu wiederholen.[8]
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Muster 1 Antrag auf Zuweisung eines angemessenen Sitzplatzes für den Angeklagten
An das
Landgericht
…
In der Strafsache gegen…
beantrage ich, dem Angeklagten einen Platz neben mir zuzuweisen und dafür Sorge zu tragen, dass es ihm möglich ist, die von ihm mitgebrachten Verteidigungsunterlagen, u.a. Kopien aus den Ermittlungsakten, vor sich auszubreiten und zu benutzen.
Begründung:
Dem Angeklagten wurde für die heutige Hauptverhandlung ein Platz auf der Bank hinter dem Verteidiger zugewiesen. Es besteht weder Sichtkontakt zwischen mir und meinem Mandanten, noch hat dieser die Möglichkeit, seine Verteidigungsunterlagen vor sich auszubreiten oder Notizen über den Gang der Hauptverhandlung zu machen. Diese Anordnung, die angeblich der Üblichkeit am hiesigen Landgericht entsprechen soll, verletzt den Anspruch des Angeklagten auf Gleichbehandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten und stellt eine Behinderung der Verteidigung i.S.v. § 338 Nr. 8 StPO dar (vgl. OLG Köln NJW 1980, 302 und BayObLG StraFo 1996, 47). Es ist ohne weiteres möglich, einen zweiten Tisch und einen Stuhl an der Seite des Verteidigers aufzustellen, um dem gerügten Mangel abzuhelfen.
Anmerkungen
OLG Köln NJW 1961, 1127.
OLG Köln NJW 1980, 302; BayObLG StraFo 1996, 47.
BayObLG StraFo 1996, 47.
OLG Köln NJW 1980, 302, 303.
Vgl. hierzu Münchhalffen StraFo 1996, 18; Stern StraFo 1996, 47.
Pfeiffer § 238 Rn. 2.
So die empfehlenswerten Vorschläge bei Münchhalffen StraFo 1996, 18 ff.
Burhoff Hauptverhandlung, Rn. 2525.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › V. Fesselung des in Haft befindlichen Angeklagten
V. Fesselung des in Haft befindlichen Angeklagten
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Es macht einen überaus peinlichen Eindruck,wenn man…einen Angeklagten,dessen Schuld bis zur Beendigung derHauptverhandlung immer noch zweifelhaft sein muss,schon beim Beginne derselben… wie eingefährliches wildes Thier bewacht und behandelt sieht(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 226) |
Gemäß § 119 Abs. 5 S. 2 a.F. ist der Angeklagte in der Hauptverhandlung in der Regel ungefesselt. Dieser Grundsatz entspricht immer noch der Würde der Angeklagten,[1] gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung. Durch das am 1.1.2010 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.7.2009[2] ist diese Regelung entfallen. Beschränkungen zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr richten sich jetzt nach § 119 Abs. 1. Dieser enthält keine generelle Regelung der Fesselung; sie fällt auch nicht unter die Regelbeispiele des S. 2. Die Maßnahme ist daher unter Beachtung der Tatsache, dass es sich bei der Fesselung um einen gewichtigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt[3] auf ihre konkrete Erforderlichkeit zu prüfen und im Einzelnen zu begründen.[4] Dabei erscheinen die in § 119 Abs. 5 S. 1 a.F. genannten Kriterien für die Anordnung der Fesselung brauchbar, wonach diese bei Gefahr der Gewaltanwendung oder des Widerstandes (Nr. 1), bei Fluchtgefahr oder Gefahr der Befreiung aus dem Gewahrsam (Nr. 2) sowie bei Suizidgefahr oder Gefahr der Selbstschädigung (Nr. 3) als zulässig erachtet wurde. Allerdings ist die „Fluchtgefahr“, die für eine Fesselung erforderlich ist, nicht gleichzusetzen mit der Fluchtgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2. Anderenfalls würde jeder wegen Fluchtgefahr erlassene Haftbefehl die Fesselung rechtfertigen.
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Der Fesselungsgrund muss auf konkreten Tatsachen beruhen[5] und zur Beseitigung oder Verringerung der in § 119 Abs. 5 S. 1 a.F. genannten Gefahren notwendig sein.[6] Die Anordnung für lediglich denkbare künftige Ereignisse reicht nicht aus. Aus der Anordnungskompetenz des Richters ergibt sich, dass dieser die Maßnahme in eigener Verantwortung und nach eigener Prüfung der Sachlage trifft. Es genügt nicht, dass er sich auf die Anordnungen der Haftanstalt beruft, die für den Transport des Angeklagten aus der Haft in die Hauptverhandlung verantwortlich ist. Die Kriterien, die für den Transport gelten, können nicht unbedingt für die Hauptverhandlung Geltung beanspruchen. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der aus der Haft in die Hauptverhandlung verbrachte Angeklagte dort regelmäßig besonders bewacht wird. Zwei vor dem einzigen Ausgang des Verhandlungssaales postierte Polizeibeamte dürften die Fluchtgefahr im Normalfall auf ein Minimum reduzieren. Etwas anderes mag bei einem Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität gelten, wobei in diesem Fall aber auch die sonstigen Sicherungsmaßnahmen der möglichen Gefahr angepasst sein dürften, so dass es auch hier letztlich nicht auf die (Hand-)Fesselung des Angeklagten ankommen wird.
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Auch die Art der Fesselung hat sich an der Notwendigkeit der Maßnahme zu orientieren.[7] Danach ist nur die Fesselung an den Händen