Verteidigung in der Hauptverhandlung. Klaus Malek
zur Bewährung; die Vermeidung einschneidender Nebenfolgen: z.B. Führerscheinentzug, Berufsverbot u.Ä. Die Einzelheiten sind hier stets vom konkreten Fall abhängig.
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2. Verteidigungsstrategie
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Die Verteidigungsziele bestimmen die Verteidigungsstrategie. Das aus dem Griechischen stammende Wort Strategie bedeutete ursprünglich die Kunst der Kriegsführung (während die Taktik die Kunst umschrieb, ein bestimmtes Gefecht zu führen). Gewisse Analogien zur Situation in der Hauptverhandlung sind nicht zu übersehen.
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So wie es in der Kriegsführung nützlich ist, über Truppenstärke und Waffenzahl der beteiligten Heere informiert zu sein, das Gelände zu kennen, in dem der Kampf stattfinden wird, und den Charakter der gegnerischen Generale richtig einzuschätzen, so muss auch der Verteidiger bei der Entwicklung seiner Verteidigungsstrategie, d. h. des Gesamtplanes zur Verwirklichung der Verteidigungsziele, die unterschiedlichsten Faktoren berücksichtigen und in seine Erwägungen einbeziehen.
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Dies ist zunächst und in erster Linie das in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu würdigende Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, wie es Eingang in die Anklageschrift gefunden hat. Ohne profunde Aktenkenntnis kann auch der erfahrenste Strafverteidiger keinen Verteidigungsplan entwickeln. Zu prüfen ist hierbei vor allem die Qualität der Beweismittel, sowohl der belastenden wie der entlastenden. Der Verteidiger darf bei der Bewertung dieser Beweismittel allerdings nicht vergessen, dass das Gericht bei der Eröffnung des Hauptverfahrens diese Prüfung ebenfalls vorzunehmen hatte (und oft auch vorgenommen hat) und die belastenden Beweismittel für hinreichend gewichtig gehalten hat, die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen. Zu prüfen ist daher weiter, ob und mit welchen Aussichten der Beschuldigte weiteres Entlastungsmaterial ins Feld führen kann. Entlastend können z.B. weitere Beweismittel sein, aber auch eine besonders geschickte – wahre oder nicht zu widerlegende – Einlassung des Mandanten.
Hinweis
Ein weiterer nicht unwesentlicher Faktor ist die Frage, vor welchem Gericht und mit welchen Richtern verhandelt wird.[3] Gegen Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts steht nur noch das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung, weshalb prozessrechtliche Fragen hier größere Aufmerksamkeit beanspruchen als beim Schöffengericht oder beim Strafrichter. Kennt der Verteidiger die zuständigen Richter oder kann er ausreichend zuverlässige Informationen über sie einholen, so sind auch deren Eigenarten, insbesondere ihre Verhandlungsführung und Spruchpraxis, in die Überlegungen zur Verteidigungsstrategie einzubeziehen.
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3. Verteidigungstaktik
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Der Verfolgung der Verteidigungsstrategie dienen verteidigungstaktische Schritte. Die Möglichkeiten sind vielfältig und in weit höherem Maße vom aktuellen Verfahrensablauf in der Hauptverhandlung abhängig als die Verteidigungsstrategie. Während diese im Wesentlichen im Voraus geplant werden kann, ja muss, und einen Wechsel nur bei ganz entscheidenden Änderungen im Verfahrensablauf erfahren darf, erfordern jene häufig eine schnelle und entschlossene Reaktion des Verteidigers. Ablehnungsanträge etwa können – schon aus prozessualen Gründen – nicht lange aufgeschoben werden; dasselbe gilt z.B. für Protokollierungsanträge, die Wahrnehmung von Erklärungsrechten, den Verzicht auf Beantragung der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen u.Ä.
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Die Verteidigungstaktik hat sich der Verteidigungsstrategie ebenso unterzuordnen, wie diese im Dienste des Verteidigungszieles steht. Besteht dieses z.B. in einem hochkomplexen Wirtschaftsstrafverfahren darin, dem Angeklagten eine tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe zu ersparen, so kann, wenn eine Vereinbarung hierüber zu akzeptablen Bedingungen nicht zu erreichen ist, eine mögliche erfolgversprechende Strategie in einer weiteren Verkomplizierung des Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht liegen, um am Ende zu einem Urteil zu gelangen, das entweder durch Reduktion der Anklagepunkte auch im Strafmaß für den Angeklagten akzeptabel ist, oder das so revisionsanfällig geworden ist, dass das Gericht zu einem Urteil bereit ist, von dem es annehmen kann, der Angeklagte werde es ohne Durchführung der Revision akzeptieren. Mögliche taktische Mittel zur Komplizierung des Verfahrens sind vornehmlich Beweisanträge, prozessuale Rügen, Protokollierungsanträge oder die (in der Praxis allerdings nicht sehr häufige) Ablehnung von Richtern oder Sachverständigen. Welcher taktische Schritt zur Verfolgung einer Verteidigungsstrategie und damit zur Erreichung des Verteidigungsziels notwendig ist, ist jedoch eine Frage des konkreten Einzelfalls und entzieht sich jeder verallgemeinernden Beantwortung.
Teil 2 Allgemeines › V. Verteidigungsziele – Strategie und Taktik in der Hauptverhandlung › 4. Exkurs: Ein wenig Psychologie
4. Exkurs: Ein wenig Psychologie
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Der Verteidiger muss wissen, dass in weitaus größerem Ausmaß als gemeinhin vermutet, psychische Faktoren, die den Beteiligten zumeist nicht einmal bewusst sind, auf die Entscheidungsfindung des Gerichts Einfluss haben.[4] Grundlage dieser Annahme sind die Ergebnisse zahlreicher psychologischer Experimente, die – zunächst ohne jeden Bezug zum Strafprozess – seit vielen Jahren durchgeführt und publiziert worden sind. Zu nennen sind vor allem die Erkenntnisse von Daniel Kahnemann, die dieser, teilweise gemeinsam mit seinem Kollegen Amos Tversky, seit den frühen 1970er Jahren veröffentlicht hat[5], und Leon Festinger[6], dessen Theorie von der kognitiven Dissonanz zum festen Bestand sozialpsychologischer Erkenntnisse gehört.[7]
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Da eine ausführliche Darstellung psychologischer Forschungsergebnisse zu diesem Themenkreis an dieser Stelle schon aus Platzgründen nicht möglich ist, soll lediglich punktuell auf solche Erkenntnisse verwiesen werden, die von der Verteidigung im Rahmen der Hauptverhandlung ggf. fruchtbar gemacht werden können. An den Unzulänglichkeiten menschlicher Informationsgewinnung und -verarbeitung, „kognitiven Verzerrungen“, kann der beste Verteidiger nichts ändern. Möglicherweise hilft aber deren Kenntnis, ihre Auswirkungen, soweit sie zu Lasten des Angeklagten gehen, abzumildern.
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Den vermutlich wichtigsten und bestens experimentell abgesicherten, bei der Urteilsfällung wirkenden psychischen Mechanismus stellt der sogenannte Ankereffekt dar. Darunter versteht die Psychologie einen Effekt, der beim Schätzen und Beurteilen von Quantitäten auftreten kann. Er bezeichnet die Assimilation eines numerischen Urteils an einen vorgegebenen Vergleichsstandard, der zwar nicht zwangsläufig, aber durchaus auch unabhängig von dessen inhaltlicher Relevanz wirkt.[8] Der Vergleichsstandard zieht wie ein „Anker“ die endgültige Schätzung oder Beurteilung in seine Richtung.[9] Zwar handelt sich bei diesem Effekt um ein allgemeines Phänomen, die Wirksamkeit im juristischen Kontext ist aber ebenfalls zuverlässig nachgewiesen.[10] Der Ankereffekt ist äußerst robust und wirkt sogar auch dann, wenn die Versuchspersonen um die Beliebigkeit des vorgegebenen Ankers wissen. Auch