Internationales Privatrecht. Klaus Krebs

Internationales Privatrecht - Klaus Krebs


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      Anmerkungen

       [1]

      Viele Autoren differenzieren zwischen Vor-, Erst- und Teilfragen. Auf diese erhebliche Verkomplizierung wird hier nicht eingegangen, da sie in der Sache kaum weiterführt und zudem keinen hinreichenden Rückhalt in der Rechtsprechung findet.

       [2]

      Weiterführend Rauscher § 5 Rn. 504 ff.; Hoffmann/Thorn § 6 Rn. 60 ff.; in der Klausur bedarf es regelmäßig keines Eingehens auf diesen „Grundsatzstreit“.

       [3]

      Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts [J/H Nr. 34]; dazu Rn. 111 ff.

       [4]

      Siehe hierzu Gade JuS 2013, 779, 782.

       [5]

      Haager Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiete der Eheschließung [J/H Nr. 30].

      2. Teil Allgemeiner Teil des IPR › E. Ordre public

      61

      Die Suche nach dem anwendbaren Recht erfolgt neutral ohne Rücksicht auf den Inhalt der berufenen Rechtsordnung. Sie gleicht damit einem „Sprung ins Dunkle“. Doch was gilt, wenn deutsche Gerichte bei anzuwendendem ausländischem Sachrecht feststellen müssen, dass dessen Anwendung zu einem nach hiesigen Wertvorstellungen unerträglichen Ergebnis führen würde?

      Die in Deutschland lebenden iranischen Staatsangehörigen M und F streiten um das Sorgerecht ihres Sohnes S. S möchte zu F, da der drogenabhängige M ihn in der Vergangenheit oft heftig geschlagen hat. Das mit dem Sorgerechtsstreit befasste Gericht in Frankfurt gelangt zur Anwendung iranischen Sachrechts. Nach diesem unterstehen minderjährige Kinder grundsätzlich der Obhut des Vaters. Das Gericht müsste danach also dem M das Sorgerecht zusprechen.

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      Der M und die F sind Staatsangehörige von Haiti. Sie leben in Deutschland. M wird das Eheleben mit F bald zu langweilig. Er vergnügt sich daher regelmäßig mit anderen Frauen, mit denen er aber nicht zusammenlebt. F ist sehr gekränkt darüber und wünscht vor einem zuständigen deutschen Gericht die Scheidung. Das deutsche Gericht kommt aufgrund einer wirksamen Rechtswahlvereinbarung zur Anwendung des Scheidungsrechts von Haiti. Danach ist zwar der Ehebruch der Ehefrau stets Scheidungsgrund (Art. 215); der Ehebruch durch den Ehemann ist nach dem Scheidungsrecht von Haiti dagegen nur dann Scheidungsgrund, wenn der Mann die Konkubine im Haushalt hält (Art. 216).

      Da M nicht mit seinen Liebhaberinnen zusammenlebt und mithin kein Scheidungsgrund nach dem Recht von Haiti vorliegt, dürfte das deutsche Gericht die Ehe im Ergebnis nicht scheiden. Dieses Ergebnis verstößt jedoch gegen den ordre public. Anstelle des gleichheitswidrigen Art. 216 des Scheidungsrechts von Haiti bietet sich als Ersatzrecht an, den Scheidungsgrund des Art. 215 auch auf den Fall zu übertragen, dass der Ehemann Ehebruch begeht. Da dieser Fall eingetreten ist, könnte die Ehe zwischen M und F geschieden werden.

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      Der Muslim M war bis zu seinem Tod im Jahr 2007 mit der Christin F kinderlos verheiratet. Die Erbfolge richtet sich nach ägyptischem Sachrecht. Danach beträgt bei kinderlosen Ehepaaren der Erbteil des Ehemannes die Hälfte des Nachlasses, der Erbteil der Ehefrau nur ein Viertel. Bei einer Ehe zwischen einem Muslim und einer Nichtmuslimin erbt die Ehefrau nichts.

      Diese beiden an das Geschlecht bzw. die Religion anknüpfenden Vorgaben des ägyptischen Rechts sind mit den Grundrechten des Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 GG unvereinbar. Nach Art. 3 Abs. 2 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Gem. Art. 3 Abs. 3 GG darf niemand wegen seines Geschlechts oder seines Glaubens und seiner religiösen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Die Diskriminierung der F durch die zweifache Benachteiligung im ägyptischen Erbrecht wird wegen Verstoßes gegen den ordre public dergestalt korrigiert, dass F erbrechtlich wie ein Mann zu behandeln ist.

      JURIQ-Klausurtipp

      In der Klausur dürfte der ordre public des Öfteren zu prüfen, meist jedoch abzulehnen sein. Dies u.a. deshalb, weil die Ermittlung des Ersatzrechts stark vom Einzelfall abhängt und keiner stringenten Dogmatik folgt.

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      Der ordre public wird auch als allgemeine Vorbehaltsklausel bezeichnet. Dieser gehen sog. besondere Vorbehaltsklauseln vor (Art. 13 Abs. 2 Nr. 3, Art. 13 Abs. 3, 13 Abs. 4 S. 1, 17 Abs. 2, 17 Abs. 3 S. 2, 18 Abs. 2, 23 S. 2), die für spezielle Einzelfälle die Anwendung deutschen Rechts verlangen.

      Allgemeines Prüfungsvorgehen im IPR

       I. Weist der Sachverhalt Auslandsbezug auf?

       II. Wenn ja: Qualifikation des Sachverhalts zu passendem Anknüpfungsgegenstand aus

       1.vorrangigem Staatsvertrags- oder Europarecht

       2.sonst: EGBGB

       III. Anwendung der Kollisionsnorm mit ihrem maßgeblichen Anknüpfungsmoment

       IV. Verweisung auf deutsches Recht?

       1.Wenn ja: Anwendung deutschen Sachrechts

       2.Wenn nein: Sach- oder Gesamtnormverweisung auf das fremde Recht?

       a)Wenn Sachnormverweisung: Anwendung des ausländischen Sachrechts

       b)Wenn


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